© T. Kwiatosz / IBUS Architekten
„Plusenergie“ steht für ein Zuviel an Energie. Das war vor kurzem noch undenkbar. Aber tatsächlich können Gebäude zu Kraftwerken mutieren und mehr Energie erzeugen, als ihre Bewohner das Jahr über brauchen.
Doch funktioniert das auch unter den lebhaften Bedingungen einer ganz normalen Schule, wo zahlreiche Schüler optimale Lernbedingungen vorfinden sollen? Und vor allem: Ist das wirtschaftlich? Rechnen sich extreme Energieeffizienz und regenerative Energieversorgung?
Ingo Lütkemeyer ist der federführende Architekt der Plusenergieschule in Hohen Neuendorf. Mit ihm sprechen wir über die neue Grundschule, die Mitte 2011 in Betrieb genommen wurde.
Herr Prof. Lütkemeyer, Sie haben schon viele Schulgebäude geplant. Was ist jetzt das besondere an der neuen Grundschule in Hohen Neuendorf?
„Ich denke, das Besondere an der neuen Schule in Hohen Neuendorf ist der sehr weitgehende integrale Planungsansatz. Das Konzept ist im Dialog mit dem Nutzer und den anderen an der Planung Beteiligten entstanden. Die von allen getragene Absicht war es, eine Architektur zur entwickeln, die optimale Nutzungsbedingungen sowohl bzgl. der pädagogischen Notwendigkeiten, aber auch im Hinblick auf die thermische Behaglichkeit, die Luftqualität und den visuellen Komfort schafft. Die Energieeffizienz des Gebäudes ist sehr gut. Dabei gewährleistet eine hohe bauliche Qualität, auch hinsichtlich des Wärmeschutzes, die Umsetzung eines einfachen technischen Konzepts.
Interessant ist dabei, dass Ausgangspunkt und Voraussetzung für die Planung die Überlegungen der Stadt gewesen sind, die langfristigen Kosten für die Kommune so gering wie möglich zu halten. Daraus ist dann die Idee der Plusenergieschule entstanden.“
Wozu ist eigentlich Plusenergie gut? Macht das für Schulen überhaupt Sinn?
„Die Notwendigkeit, neue Wege der Energieversorgung zu gehen, dürfte inzwischen außer Frage stehen. Den Gebäuden kommt dabei aufgrund ihrer Langlebigkeit eine besondere Bedeutung zu. Die Häuser, die wir heute bauen werden auch in 50 Jahren noch stehen – vermutlich auch mit den energetischen Eigenschaften, die wir heute bauen. Das heißt, alles, was wir heute versäumen, wirkt über einen sehr langen Zeitraum nach.
Es ist also einerseits dringend notwendig, energieeffiziente Gebäude zu planen – das ist ohne weiteres möglich, die Technologien sind ausreichend bekannt. Andererseits stehen inzwischen diverse Optionen zur Nutzung regenerativer Energie zur Verfügung. Der Einsatz regenerative Brennstoffe wie den Holzpellets ist inzwischen so weit entwickelt, dass man Pellets kostengünstig auch im Schulbau einsetzen kann. Zudem stehen große Dachflächen für die Nutzung von Photovoltaik zur Verfügung. Damit lässt sich ein minimierter Energiebedarf mit der Produktion regenerativer Energie zusammenführen und es kann ein Plusenergiegebäude geschaffen werden. Also ein Gebäude, das mehr Primärenergie erzeugt, als es verbraucht, und somit auch klimaneutral ist.
Eine Schule wird von vielen Menschen, den Schülern und ihren Eltern besucht. So kann und sollte die Schule auch ein Ort sein, an dem neue Konzepte zur effizienten Nutzung von Energie und die Erzeugung regenerativer Energie veranschaulicht werden.
In Schulen spricht man jetzt immer mehr über gute Akustik, visuellen und thermischen Komfort und vor allem über gute Luft. Das ist wohl dringend geboten. Doch ist das vereinbar mit Energieeffizienz und dem ehrgeizigen Plusenergiekonzept?
„Die Basis eines jeden Konzeptes muss sein, die Aufenthaltsbedingungen so gut wie möglich zu gestalten. Das bedeutet, dass optimale Bedingungen für das Lernumfeld geschaffen werden müssen. Dieses kann man entweder mit großem technischen Aufwand und entsprechend hohen Kosten realisieren, oder durch ein intelligentes Konzept, dass bauliche und technische Konzepte zusammenführt.
Es muss keinen Widerspruch zwischen Komfort und Energieeffizienz geben, vielmehr lassen sich die Anforderungen zum Teil synergetisch nutzen. Nehmen wir zum Beispiel die Luft; Aus gesundheitlichen Gründen wird verstärkt darauf geachtet, ausreichend frische Luft in die Klassenzimmer zu bringen. Die dafür notwendige Lüftungsanlage kann bei Einsatz eines Wärmetauschers erheblich zur Reduzierung des Energiebedarfs beitragen, so dass eine gute Luftqualität und Energieeffizienz erreicht werden.“
Nano-Gel, Licht lenkende Lamellen, Vakuumisolationspaneele und schaltbare Verglasung: Sie haben in Hohen Neuendorf ganz schön viel Hightech verbaut. Braucht Plusenergie so viel technologische Innovation?
„Das Gebäude ist zunächst ein ganz einfaches, jedoch komplex geplantes Gebäude. Eine einfache Baukonstruktion und ein schlankes anlagentechnisches Konzept bilden zusammen mit den Maßnahmen zur regenerativen Energieerzeugung die Basis für die Plusenergiebilanz.
Grundsätzlich braucht ein Plusenergiegebäude also diese neuen Technologien nicht, allerdings liefern neue Materialien auch neue Möglichkeiten und Potenziale. Diese sollen bei der Schule in Hohen Neuendorf ausprobiert und gezeigt werden.“
Können Sie etwas über die ersten sechs Monate Schulbetrieb sagen? Wird das neue Gebäude denn von Schülern und Lehrern angenommen? Funktioniert es? Und wird es überhaupt verstanden?
„Schüler und Lehrer sind, soweit ich das beurteilen kann, mit dem Gebäude sehr zufrieden. Die ersten Monate waren dadurch geprägt, dass der Betrieb des Gebäudes aufgenommen wurde. Es gab natürlich einige Punkte, die nicht auf Anhieb funktioniert haben. Auch wenn wir versucht haben, möglichst einfache technische Konzepte umzusetzen, so gibt es doch die eine oder andere Kinderkrankheit die in den ersten Wochen aufgetreten ist. Das intensive Monitoring hilft dabei, Schwachstellen zu entdecken und zu beheben.“
Plusenergie mit Hightech klingt nach teuer. Wäre ein solches Gebäude ohne öffentliche Förderung überhaupt finanzierbar?
„Das Gebäude kostet in der Investition unwesentlich mehr als ein entsprechendes konventionelles Gebäude. Im Vergleich mit anderen Schulbauten liegen die Baukosten im unteren Mittelfeld, die Kosten sind also niedriger als die mittleren Vergleichskosten von Schulen in Deutschland.
Dabei sind die forschungsbedingten Mehrkosten, also die Mehrkosten für die innovativen Materialien und das Monitoring nicht berücksichtigt. Nur für diese Kosten stand eine Förderung des BMWi zur Verfügung.“
Sie haben für dieses Gebäude sogar 50 Jahre in die Zukunft geschaut: Was treibt einen Architekten an, den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes zu analysieren? Und wie schneidet Ihre Plusenergieschule bei den Lebenszykluskosten ab?
„Die Betrachtung des Lebenszyklus bildet die tatsächlich zu erwartenden Gesamtkosten ab, also nicht nur die Baukosten, sondern auch die Baunutzungskosten – die Kosten für Reinigung, Instandsetzung, Wartung, Heizung, Wasser, Strom usw. Hierbei wird deutlich, welch großen Anteil die Betriebskosten an den Gesamtkosten haben.
Im Fall der Schule in Hohen Neuendorf ergibt sich unter Annahme einer sehr moderaten Energiepreissteigerung von nur 4 Prozent pro Jahr, dass die Betriebskosten (Heizung, Strom, Warmwasser) ca. 70 Prozent niedriger sind als bei einem Standardgebäude gleicher Größe und Form. Die gesamten Lebenszykluskosten sind 25% geringer als bei einem konventionellen Gebäude.
Dies ist besonders interessant, denn die Betrachtung der Gesamtkosten über den Lebenszyklus zeigt, dass zukunftsfähige Gebäude, wie die Plusenergie-Schule in Hohen Neuendorf erheblich wirtschaftlicher sind als konventionelle Bauten.“
ö