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Mein neuer Job machte mir richtig Spaß. Während meiner Ausbildung fand ich Buchhaltung einfach nur doof und langweilig. Doch jetzt war es eine Herausforderung für mich. Und ich nahm die Herausforderung an.Schnell arbeitete ich mich in mein neues Sachgebiet ein. Auch mit den Kolleginnen verstand ich mich gut. Jede Debitorenbuchhalterin hatte ihr eigenes regionales Gebiet, für das sie zuständig war. Täglich mussten Hunderte von Zahlungseingängen verbucht und abgestimmt werden. Mahnläufe mussten vorbereitet werden. Das Telefon stand nach einem Mahnlauf nicht mehr still. Bei den Monatsabschlüssen konnte es auch mal richtig stressig werden. Gerne hätte ich damit noch Jahre weiter gemacht. Doch nach 6 Monaten meiner Betriebszugehörigkeit musste mein Arbeitgeber Insolvenz anmelden.
Das war ein riesen Schock für mich! Natürlich hatte ich anhand der Außenstände und der Zahlungseingänge gesehen, dass es Probleme gab. Aber dass die Probleme so massiv waren, dass die Banken der Firma die Konten sperrten, damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.
Die Existenz meiner kleinen Familie stand auf dem Spiel. Nicht nur unsere, ich sah Schicksale, die mir unter die Haut gingen. Kollegen, die nur noch ein paar Jährchen zur Rente hatten und nun Angst vor der Arbeitslosigkeit haben mussten. Es gab viele Ehepaare, die in dieser Firma arbeiteten. Nun waren auf einmal beide Partner von der Arbeitslosigkeit bedroht. Familienväter, die sich um ihre Familien sorgten, so wie ich es tat...
Zu dieser Zeit ging es der Maschinenbaubranche sehr schlecht. Viele Firmen dieses Wirtschaftszweiges gingen damals pleite. Ich war nur eine unter Tausenden, die Gefahr lief, ihren Job zu verlieren.
Die Angst um meinen Job, der für mich ja immer gleichbedeutend mit unserer Existenz war, drückte mich schwer. Allgemein empfand ich die Stimmung in meinem Umfeld als sehr gedämpft und sorgenvoll. Und ich konnte nichts dagegen machen, konnte nur abwarten. In dieser Rezession einen neuen Arbeitsplatz als alleinerziehende Mutter zweier Kinder zu bekommen, war äußerst schwierig.
Es wurde ein Insolvenzverwalter für meinen Arbeitgeber bestellt und wir Mitarbeiter bekamen 3 Monate lang Insolvenzgeld ausbezahlt. Aber was würde danach kommen? Wie würde es weiter gehen? Würde sich ein Investor finden, der in diese marode Firma investieren würde? Wieviele Mitarbeiter konnten ihren Arbeitsplatz behalten? Würde ich dabei sein? Quälende Fragen, die sich alle meine Kollegen genauso stellten wie ich.
Nach den 3 Monaten des Insolvenzverfahrens war klar, dass die Firma so wie sie einmal war, nicht mehr fortbestehen würde. Der Konkurs war beschlossene Sache. So konnte man am einfachsten das lästige Personal los werden und sich gesund schrumpfen. Es wurde eine Auffanggesellschaft gegründet, bei der gerade mal noch 20% der ehemaligen Belegschaft mit ins Boot genommen wurden. Von den ca. 1.200 Mitarbeitern blieben nur noch ca. 250 Mitarbeiter übrig. Sämtliche Auslandsniederlassungen wurden geschlossen. Diese Nachricht schlug wie eine Bombe ein und jeder fragte sich: bin ich einer der 250 übrig Gebliebenen?
Ich machte mir nicht viel Hoffnung. Natürlich, es gab einen Sozialplan. Und man konnte nicht so einfach über mich als alleinerziehende Mutter hinweg gehen. Aber es gab noch genug andere "Härtefälle", die bereits jahrzehntelang in dieser Firma gearbeitet hatten. Ich war ja erst seit ein paar Monaten dabei, ich glaubte also nicht daran, in die Auffanggesellschaft übernommen zu werden.
In diesen Tagen bereute ich meine Kündigung bei der Versicherungsgesellschaft sehr. Dort wäre ich nach wie vor sicher gewesen.
Hätte... wäre... wenn... das nützte nun alles nichts mehr und ich musste der Realität in die Augen sehen.
Noch am gleichen Tag, an dem der ganzen Belegschaft das Ende der Firma in ihrer bisherigen Form verkündet wurde, rief mich mein Chef zu sich und erzählte mir, dass ich auf Grund meiner guten Leistungen und meines sozialen Status als alleinerziehende Mutter zweier kleiner Kinder in die Auffanggesellschaft aufgenommen wurde!
Ich konnte es erst gar nicht glauben! Da war ich erst seit Kurzem in der Firma, hatte erst ein paar Monate Betriebszugehörigkeit und sollte als eine der wenigen Übriggebliebenen weiter arbeiten dürfen? Mir fiel ein riesengroßer Stein vom Herzen und ich war unendlich erleichtert. Es würde weiter gehen für mich. Nur das zählte in diesem Moment.
Und so wie ich erfuhr, dass ich weiter arbeiten durfte, so erhielten noch viel, viel mehr Kollegen ihre Kündigung.
Es kam was kommen musste; der Neid untereinander war ausgebrochen. Viele, die die Kündigung erhalten hatten fragten sich:"Warum darf der Kollege X bleiben und ich muss gehen?" Es wurde verglichen. Die Leistung, das Alter, das Aufgabengebiet und die Betriebszugehörigkeit, ob man alleinstehend war oder Famlie hatte...
Die Entscheidung für mich wurde in der Luft zerrissen. Bei den zahlreichen Betriebsversammlungen, die der Insolvenzverwalter hielt, wurde ich oft als Negativbeispiel der himmelschreienden Ungerechtigkeit bei der Vergabe der Arbeitsplätze genannt.
Hinter vorgehaltener Hand wurde über mich getuschelt und so manch einer dachte sich, dass es der Kollege Y, der ebenfalls Familie hatte und bereits seit mehr als 10 Jahren der Firma treu ergeben war, es viel mehr als ich verdient hätte, weiter beschäftigt zu werden.
Ich konnte nur schwer mit dieser Situation umgehen. Einerseits war ich Egoistin genug, mich über meine Weiterbeschäftigung zu freuen. Andererseits aber konnte ich mit der Missgunst, die mir teils verständlicherweise entgegen gebracht wurde, nicht umgehen.
Erst als die meisten Kollegen nicht mehr da waren, trat wieder Ruhe für mich ein und ich konnte mich wieder ganz auf meine Aufgaben konzentrieren.
Das Arbeiten in einer Auffanggesellschaft ist kein Spaziergang. Es wird viel, sehr viel von einem erwartet. Überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft, unbezahlte Überstunden ohne Ende, jegliche Entscheidung ohne Murren mit zu tragen und sich mit aller Energie, die man hat, für deren Umsetzung einzusetzen, das waren die Basics, die man als Mitarbeiter einbringen musste.
Die Stimmung in einer Auffanggesellschaft ist einerseits gedrückt, weil die Zukunft noch so ungewiss ist, andererseits besteht sie aus einem ausgeprägten Kampfgeist und purem Zweckoptimismus. "Yes we can!" würde heute das Motto lauten.
Und wir schafften es.
Wir führten die Firma mit ungeheuren Anstrengungen eines jeden Einzelnen aus den roten Zahlen. Bald wurde auch ein Investor gefunden und von da ab befanden wir uns wieder in ruhigeren Gewässern.