Insbesondere asiatisch Migranten berichten auf einer Potsdamer Konferenz, wie sie mit den Imponderabilien der europäischen Gesellschaftsformationen, wie sie in ihren Alltagen zurecht kommen.
Für die Migranten Potsdams spricht Frau Hương Giang, und Hương Giang – lerne ich – bedeutet duftender Fluss.
Frau Hương Giang spricht in einer fehlerfreien Sprache, beherrscht Deutsch offenbar besser als mancher Deutscher, ist beim Vortragen sehr bestimmt, mit großer Sachkompetenz, interpretiert dergestalt Schaubilder. Beim Reden merkend, dass nicht alle Konferenzteilnehmer der deutschen Sprache mächtig sind, wechselt sie nach höflicher Nachfrage – “Ist es ihnen lieber, wenn ich diesen Vortrag Englisch halte?” – nahezu übergangslos ins Englische.
Es waren schwere Zeiten, hört man sie sagen, doch sie haben es gewagt. Sie selbst war Vertragsarbeiterin in jener DDR, von der wir alle wissen, dass sie vom Lauf der Geschichte weggefegt wurde, wie eine überflüssige Idee. Als sich die Deutschen eines Tages einigten, blieb den vietnamesischen Vertragsarbeitern das Bleiberecht nur unter der Bedingung, dass sie keine staatliche Fürsorge in Anspruch nehmen.
Ihnen blieb also die nahezu aussichtslose Suche nach einem Job oder Selbständigkeit, die anfangs nur Handel sein konnte. Die meisten machten sich also “selbständig”, gründeten kleine Gesellschaften. Für sie galt es, viele Sprachen zu lernen: Die deutsche Sprache des Alltags, die der Bücher, die der Verordnungen und die Sprache des Steuerrechts… <Heiterkeit>
Der große Vorteil asiatischer Lebensformen sei Genügsamkeit. Ein Vietnamesin, zum Beispiel, könne ihren Arbeitstag nur zum Essen und zum Schlafen unterbrechen und wird dennoch so lange nicht von Konsum träumen, so lange das Haus der Familie nicht auf solide Fundamente gestellt ist. Und nun sei bereits die zweite Generation am Ruder, einige vietnamesische Läden haben Filialen, Erfolg kennt Beispiele… <Beifall>
Dieser und jener tritt auf jener Konferenz noch auf, was mir aber nach dem interessanten Vortrag der Vietnamesin belanglos scheint.
In der Mittagspause suche ich Nähe.
“Ich bin fasziniert von ihrer Sprachkompetenz”, sage ich ihr und sie nimmt es – wahrscheinlich – wie gesagt, also als ehrlich, wahr. Weshalb sie mir zeigen will, worüber sie sprach. So lassen wir die Konferenz Konferenz sein und begeben uns in die Potsdamer Innenstadt. Ich begleite sie – diesmal ohne zu murren – in eine Boutique, die zu einer Kette gehört. IHRE Kette verschiedener Läden, die sie selbst mit Kleidung bestückt und in denen sie verkaufen lässt.
“Ist die Miete hier eigentlich teuer?”, fragt der Buchhalter in mir.
“Nein”, sagt Frau Hương Giang, weil: Das Haus hat sie gekauft. Günstig. Noch zu De-Mark-Zeiten. Für 1,3 Millionen, was – wenn man es mit heutigen Preisen vergleicht – geradezu ein Schnäppchen war.
“Sie können sich gern etwas umsehen, ich habe zu tun.”
So stehe ich vor einem Kleid, welches vielleicht meiner Frau passen könnte.
“Schick”, denke ich, und werde von einer dicken Frau aus den Gedanken gerissen. Diese Kundin zieht ausgerechnet dieses Kleid vom Haken und ruft Richtung Tresen:
“Hey duda, kommen her, haben du das hier auch größer?”
Es ist die Sprache des Alltags der Kundschaft, die eine Vietnamesin ebenfalls versteht.
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