Ich: “Guten Morgen, was hat denn Ihre Tochter?”
Vater: “Das sollen Sie mir ja sagen.”
Ich: “Ahja, sehr schön. Und warum kommen Sie?”
Vater: “Weil Sie Arzt sind? Die ist krank?”
Ich: “Ja, Schnupfen, Husten, Durchfall, Erbrechen, Ohrenweh, Halsweh, Fusspilz, Depressionen?”
Vater: “Krank halt.”
Ich, mit Blick auf die Zweijährige: “So sieht sie ja ganz fit aus.”
Vater: “Hammsese heut´nacht gesehen?”
Ich: “Nein, wie auch?”
Vater: “Hatse nur durchgebrüllt.”
Ich: “Hat sie Fieber gehabt?”
Vater: “Weissichnicht, hammernicht gemessen.”
Ich seufze, wasche mir die Hände und greife nach meinem Stethoskop.
Ich: “Würden Sie ihr bitte den Pullover und den Body ausziehen?”
Vater: “Noch was? Die ist krank.”
Ich: “Soll ich sie untersuchen?”
Vater: “Geht doch auch so.”
Er hebt den Pullover und den Body unterhalb des Halses um ca. einen Zentimeter nach vorne – da soll wohl das Stethoskop rein.
Ich: “Nein, geht nicht.”
Ich rühre mich nicht. Lasse den Moment ein wenig durch den Raum schweben. Er schaut mich abwartend an.
Vater: “Nu?”
Ich: “Würden Sie sie bitte ausziehen?”
Vater: “Damit´se noch kranker wird hier bei Ihren Viren?”
Ich: “Noch weiß ich nicht, was sie hat.”
Vater: “Nicht?”
Vor sich hin murmelnd, zieht er die Kleine aus. Es folgt eine zwei- bis drei-minütige Untersuchung mit einem brüllenden rotköpfigen Kleinkind, nur unterbrochen durch Säuseleien des Vaters “alles nicht so schlimm, der Mann tut Dir nichts” und “gleich ist das alles vorbei, dann ist der Onkel wieder weg” und “sieseldiesäuseldidusel”.
Ich finde nichts.
Ich: “So sieht alles gut aus.”
Vater: “Kann gar nicht. Die ist krank.”
Ich: “Im Moment nicht. Sie dürfen Sie wieder anziehen.”
Vater: “War´s das jetzt?”
Ich: “Jep.”
Vater: “Und dafür bekommen Sie Geld?”
Ich: “Jep.”
Ich lächele, verzeihe ihm innerlich, vielleicht hat ihn seine Frau geschickt. Vielleicht sende ich auch seltsame vibrations oder sonst welche nonverbale Signale, die ihn mental und kommunikativ so wenig geöffnet haben. Whatever.
Ich drücke ihm die Hand – “Wenn´s schlimmer wird, kommen Sie nochmal vorbei” – und gehe.
Das zum Thema “Die Sprechende Medizin”.