Kommunikation als Spiel: Demokratie in der digitalen Revolution

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Das Internet revolutioniert die Gesellschaft. Am Beispiel der Piratenpartei lässt sich der Stand dieser Revolution ablesen.

von Florian Hauschild

Dem informierten Beobachter wird nicht entgangen sein, dass die Piratenpartei seit einigen Wochen (mal wieder) eine Zereißprobe durchläuft. Noch kann nicht abgeschätzt werden, in welche Richtung sich die Partei entwickeln wird, klar ist aber: Es wurden Fragen gestellt, die nun beantwortet werden sollten.

Nach den vielen Fehden und Skandalen (Piratenjargon: “Gates”) der vergangenen Jahre ist die Partei längst geschwächt. Viele Engagierte haben das Weite gesucht oder halten sich im Hintergrund, ein langsames Ausbluten schien das bereits besiegelte Schicksal der Partei zu sein.

Unter diesem Radar ging die konstruktive Arbeit indes weiter: Eine Vielzahl von Basispiraten arbeitet tagtäglich an programmatischen Fragen, Werkezeuge des digitalen Meinungsaustausches wurden weiterentwickelt, organisatorische Fragen wurden und werden gestellt und manchmal sogar beantwortet. Es wird auch weiter am Ziel gearbeitet, die digitale Revolution in Einklang mit menschlichen Bedürfnissen zu bringen, sie als Chance zu begreifen, nicht als Gefahr. Für all dies bedarf es keiner großen Öffentlichkeit, gleichsam interessiert sich die Öffentlichkeit kaum für diese Geschichten.

So war es letztendlich abzusehen, dass nur eines der berühmt-berüchtigen Piraten”gates”, noch einmal eben jene Energie freisetzen konnte, die den kritisch-interessierten Beobachter zu einem vorerst letzten längeren Blick auf die Partei bewegen konnte. Das Schicksal wählte hierfür “Bombergate”.

Anne Helm kam die undankbare Rolle zu, das Gesicht dieses Parteiskandals zu sein, was jedoch nicht von den eigentlichen Fragen, die es hier zu stellen gilt, ablenken sollte.

Denn schnell wurde dem Beobachter klar, dass das was hier als Partei firmiert, mit dem Begriff “gesamtgesellschaftliche Therapiegruppe” wohl besser beschrieben wäre. Zahlreiche verhaltensauffällige Akteure sind zu beobachten, ebenso wie die Schlichter, Erklärer und “Heiler”, die in solchen Fällen stets vor Ort sind. Neben den, in der Regel “unsichtbaren”, Organisatoren der Infrastruktur und der Programmarbeit bildet die genannte Melange den für die Öffentlichkeit wahrnehmbaren Teil der Partei.

Das mag nun alles etwas verächtlich klingen, das Gegenteil ist jedoch der Fall. Jede Erfahrung von Kommunikation im digitalen Raum zeigt: Kaum etwas braucht diese Gesellschaft mehr als eben jene barrierefreien “Therapiegruppen”. Hier findet sich was zusammengehört, auch wenn dies die Beteiligten wohl selbst am liebsten leugnen würden.

Die Piratenpartei geht damit weit über das übliche Konzept klassischer Parteibildungen hinaus: Geboren im Internet fungiert das Mem “Piraten” wie eine Art Brennglas zur Analyse gesamtgesellschaftlicher Kommunikationsfragen.

Wer das Internet zum politischen Meinungsaustausch nutzt, kennt sie: die Shitstorms, die Hypes, die Dynamiken, die nicht nur Ansichten transportieren sondern natürlich auch formen. Oft reichen schon einige Grundkenntnisse über die Logik des Informationsflusses aus, um selbst diese Dynamiken in Gang zu setzen. Einige – vor allem Berliner – Piraten, bewaffnet mit ihren Smartphones und Macbooks lernten schnell und nutzten ihre Kenntnisse nicht immer gemeinwohlorientiert. Die Filterblase und zu starke Orientierung an der eigenen Peergroup ließen den Blick einiger Akteure vernebeln und führten sie zu dem Trugschluss sie wären die einzige Kraft im digitalen Raum, die über diese Fähigkeiten und Methoden verfügt. Welch ein Irrtum.

Gemeinsam lassen sich dank des Internets, und mehr noch: der sozialen Netzwerke, wertvolle Erkenntnisse in die Welt tragen, per Crowdfunding lassen sich Spenden für bisher unberücksichtigte soziale Projekte sammeln, es lässt sich so aber auch Rufmord auf Kritiker organisieren und genauso ist es möglich “im Schwarm” Listenplätze und Vorstandspöstchen zu verschachern. Während vor allem der gezielte Rufmord geächtet werden sollte und der Sanktion bedarf ist das schwarmhafte Aushandeln von Posten und Ämtern letztendlich jedoch genuiner Bestandteil jeder Politik.

Ziel kann es nicht sein, die generelle Kommunikation über diese Fragen als anrüchig anzusehen, und ja: Politik ist, wie wir von Max Weber wissen, oft auch Kampf. Die Frage lautet eher: Wo gilt es eine Grenze bei der Wahl der einzusetzenden Mittel zu ziehen? Messen lassen muss sich ein solcher Aushandlungsprozess überdies auch am Grad seiner Transparenz.

Kommunikation als Spiel

Kommunikation ist ein Spiel und folgt damit spieltheoretischen Gesetzmäßigkeiten. Als Analogie zur politischen Kommunikation im digitalen Raum kann das Poker-Spiel dienen. Wie im Pokerspiel gilt es auch in der politischen Diskussion sein Gegenüber davon zu überzeugen, dass man die bessere Hand (=das stärkere Argument) hält.

Die Spielertypen beim Poker lassen sich indes auf die Kommunikationstypen im digitalen Raum übertragen. So lässt sich zunächst zwischen “tighten” und “loosen” Spielern unterscheiden. Während der tighte Spieler nur wenige Hände spielt (=Information preis gibt), nämlich die Guten mit maximaler Sicherheit, setzt der loose (=lockere) Spieler mit fast jedem beliebigen Blatt in den Pott und ist für seine Mitspieler so nur schwer lesbar.

Übertragen auf die politische Kommunikation beschreiben tighte Spieler Diskutanten, die mit Information sehr sparsam umgehen und dann auch nur selten widerlegt werden können. Loose Diskutanten gehen mit ihrer Information sehr freigebig um, neigen zu Spekulationen, stellen Vermutungen an und werden deshalb auch oft frühzeitig widerlegt (=aus dem Pot vertrieben). In der Evolution des Onlinepokers hat sich gezeigt, dass das loose Spiel weitaus profitabler, gleichzeitig aber auch anspruchsvoller ist.

Das loose Spiel führt jedoch nur zum nachhaltigen Gewinn, wenn der Spieler zu hoher Empathie fähig ist: Ein looser Spieler der sehr genau auf die Reaktionen seiner Mitspieler achtet ist nur bereit höhere Einsätze auf den Tisch zu legen, wenn er sich sicher sein kann, dass seine Hand (=seine Information) im Spielverlauf Bestand haben wird. Er wird zum von Mitspielern gefürchteten “Rock”. Ein unempathischer looser Spielstil hingegen ist das Erkennungsmerkmal des so genannten “Maniacs”. Die pure Überzeugung des “Ich werde gewinnen, weil ich gewinnen muss” führt zu einer gewissen Nervenstärke und zu hohen Einsätzen. Sehr viele Hände werden sehr aggressiv gespielt, das konkrete Blatt (=die Information), die der Spieler auf der Hand hält wird ihm dabei immer unwichtiger.

So ist es auch das selbstbewusste Auftreten des Maniacs, das seine Mitspieler oft schon frühzeitig aus dem Pot verjagt, obwohl sie die bessere Hand (=die richtigere Information) halten. Eine Zeit lang bereiten hohe Gewinne dem Maniac Bestätigung und stärken das eigene Vertrauen in den Spielstil. Der Chip-Count steigt, die Risikobereitschaft auch. Und so ist es das Schicksal des Maniacs nach fulminanten Anfangsgewinnen am Ende alles auf eine Karte zu setzen, zu verlieren und broke von dannen zu ziehen.

Was bleibt? Politische Kommunikation der Zukunft

Das Internet ist ein Raum politischer Kommunikation. Hier werden Interessen verhandelt, hier wird gespielt und auch gekämpft. Das Internet ist kein Raum und wird auch niemals ein Raum sein für grenzenloses Gekuschel (Piratensprech: “Flausch”). Es gilt die Gesetzmäßigkeiten dieses Spiels anzuerkennen und gemeinsam mit Respekt und Achtung die besten Lösungen auszuhandeln.

“Shoot the messenger” ist ein Spiel das selbst der unbegabteste Spieler beherrscht. Es ist einfach das digitale Ego eines vermeintlichen “Gegners” zu scannen und mit den entsprechenden Kenntnissen über die Logik des Informationsflusses Rufschädigungen in Umlauf zu bringen. Es ist ebenso einfach Screenshots zu sammeln und bei Bedarf vorzuzeigen, jedoch ist das alles eine Ebene auf der wir sowohl unsere eigene Energie wie auch die großen Chancen die das Netz bereit hält verschwenden. Mehr noch: Mit diesen Handlungen werden wir selbst zu den Ausführenden einer allumfassenden Überwachungsmaschine, deren Verhinderung uns allen am Herzen liegen sollte.

Wer mit dem Poker-Spiel vertraut ist weiß: Unkluges Spiel führt am Ende zum eigenen Bankrott. Also lasst uns klug spielen. Mein Einsatz steht.

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Dieser Artikel erschien ursprünglich auf der Freitag und  ist ebenfalls auf le bohémien erschienen: http://le-bohemien.net/2014/03/08/die-piraten-als-gradmesser/



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