Wie war das noch, damals, als Kind? Als wir von unseren Eltern einer religiösen Gehirnwäsche unterzogen wurden? Und wann haben wir uns emanzipiert? Haben wir uns überhaupt emanzipiert? Mit welchem Background blicken wir eigentlich auf unsere Welt? Und wie stellen wir uns unsere Zukunft vor?
Fragen über Fragen über Fragen standen am Beginn des Projektes „Città del Vaticano“, das derzeit im Rahmen der Wiener Festwochen im Schauspielhaus zu sehen ist. Das Ensemble des Hauses erarbeitete gemeinsam mit dem Autor und Regisseur Falk Richter und dem Choreografen Nir de Volff einen Abend, an dem sich das Lebensgefühl der jungen Generation extrem verdichtet. Dabei blickt im Hintergrund einer von Francis Bacons Päpsten misstrauisch auf das Geschehen auf der Bühne.
Telmo Branco, Gabriel de Costa, Johannes Frick, Steffen Link, Tatjana Pessoa, Vassilissa Renikoff und Christian Wagner geben dafür Einblick in ihr eigenes Leben, ihre Befindlichkeiten, ihre Ängste aber auch Zukunftshoffnungen. Der Bogen dabei spannt sich von Vater-Erinnerungen über eine höchst humorvoll-satirische Beichtszene bis hin zur Vision einer Familie, in der ein Ungeborenes eine Mutter und zwei Väter haben wird.
Den Beginn macht ein rasant vorgetragenes Brainstorming über den Begriff Vatikan. „Einem der ältesten Staaten der Welt in dem noch nie jemand geboren wurde.“ Locker flockig wird darüber nachgedacht, dass Jesus so aussah „wie ein Mann, vor dem wir uns heute fürchten müssen, wenn er ins Flugzeug einsteigt“ und nur wenig später werden Dschihadisten den schwulen Priestern im Vatikan gegenübergestellt. Doch weg vom Allgemeinen, hin zum Persönlichen ist das Hauptmotto des Abends.
Der präsentiert sich in einer Art Revue, in der die unterschiedlichen Informationsstränge gebündelt werden. Mit Musik und Tanz, der die jeweiligen Befindlichkeiten höchst ästhetisch unterstreicht. Einer, der sein Innerstes nach außen kehrt, ist Steffen Link. In einer überaus amüsanten one-man-Performance macht er klar, dass er den Werten jener freichristlichen Gemeinde, in der er aufwuchs, nicht entkommen kann. Auch wenn er längst die Lern- und Prägemechanismen dieser sozialen Gruppe analysiert hat. Die Lieder, die er als Junge lernte, haben sich tief in sein Gedächtnis eingegraben, die Schuld, die ihm in Zusammenhang mit Sexualität vermittelt wurde, kann er nicht neutralisieren. „Du sollst nicht sein, der du bist!“ ist das Mantra, das er in seine Persönlichkeit eingeschrieben bekommen hat.
Breiten Raum nimmt die Aufarbeitung jener Zeit ein, in der die Männer ihre Homosexualität entdeckten. Dabei erlebt man, sofern man in den 70ern und 80er Jahren schon den Windeln entwachsen war, so manchen Flashback. Damals begannen die ersten Künstlerinnen und Künstler ihre eigene Sexualität coram publico zu thematisieren und Performances für Selbsttherapiezwecke zu nutzen. Auch in „Città del Vaticano“ hat man über weite Strecken den Eindruck, dass die Beteiligten sich dabei wie in einer Selbsthilfegruppe ihre Not von der Seele spielen.
Im Unterschied zu therapeutischen Einrichtungen macht dieses Spiel aber großen Spaß. Es wartet mit Wortwitz – Heil, Frauke Petry! – Petry Heil! (Petry ist Vorsitzende der rechtpopulistischen Alternative für Deutschland AfD) genauso auf wie mit Statements, in welchen die Ängste der Jungen thematisiert werden. „Ich bin Europa, ich habe keine Identität, ich falle auseinander. Ich bin Europa und niemand weiß, was das ist“ deklamiert an einer Stelle Raznikoff um kurz danach das Unbehagen gemeinsam mit allen anderen wegzutanzen.
Città des Vaticano © Matthias HeschlEs ist kaum zu glauben, aber am Ende der spritzigen, witzigen Show, die viel Satire-Couleur in sich trägt, wendet sich die dystropische Befindlichkeit hin zu einer Zukunftsvision, in der alle Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe und welcher Nation vielleicht doch einmal friedlich zusammenleben werden. Träumen wird man ja dürfen.
Weitere Infos auf der Seite des Schauspielhauses.