Kommentar zu den Äußerungen der niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan (CDU)

Kommentar zu den Äußerungen der niedersächsischen Sozialministerin Aygül Özkan (CDU)
von Thomas Baader

Die Äußerungen von Frau Özkan in der Form, wie sie bei WELT Online wiedergegeben werden.

"Die Diskussion um muslimische Frauen dürfe nicht auf die Themen Zwangsheirat, Ehrenmord und Unterdrückung reduziert werden, sagte Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan (CDU).
Vielfach seien muslimische Frauen in Deutschland bereits weitaus emanzipierter als gedacht, sagte sie auf der Islamkonferenz. "Faktum ist, dass muslimische Mädchen und Frauen mittlerweile höhere Schulabschlüsse als muslimische Jungen und Männer aufweisen und erfolgreicher in der Ausbildung sind."
Auch zeigten Studien, dass die reale Rollenverteilung in den Familien ganz anders sei als gemeinhin angenommen. Es dominiere in den muslimischen Familien vielfach eine partnerschaftliche Arbeitsteilung, Mädchen würden genauso gefördert wie Jungen. "Meist sind es die Frauen, die das letzte Wort bei grundlegenden familiären Entscheidungen haben." Dennoch dürften Themen wie häusliche Gewalt und Unterdrückung nicht ausgeblendet werden, sagte Özkan."

Quelle:
http://www.welt.de/politik/deutschland/article106204954/Muslime-aechten-Gewalt-und-Zwangsheirat.html

Kommentar:
Die Tatsache, dass muslimische Mädchen und Frauen in Schule und Ausbildung erfolgreicher sind als Jungen und Männer, lässt nicht den Schluss zu, dass damit der Beweis einer besonderen Emanzipiertheit von Musliminnen erbracht wäre.
Genauso gut könnte man diesen Befund nämlich auch als Argument für die gegenteilige Behauptung auslegen: Muslimische Mädchen und Frauen sind deswegen besser in Schule und Ausbildung, weil sie viel stärker als ihre Brüder diszipliniert, kontrolliert und reglementiert werden. Dadurch entsteht letztlich ein besonderes Pflichtbewusstsein und eine Selbstdisziplin, welche sich natürlich auch positiv auf den Schulerfolg auswirken. Muslimische Jungen hingegen, denen zu Hause nichts abverlangt wird, werden hingegen i. d. R. zu Schulversagern.
Der Befund könnte also auch als Indiz für eine besonders ausgeprägte Form der Geschlechterungerechtigkeit dienen: nämlich für extrem unterschiedliche Arten der Erziehung für Mädchen und Jungen.
Hier besteht ein Desiderat für weitere Forschungen, z. B. darüber, ob muslimische männliche Schulversager ihren Statusverlust zu kompensieren suchen, indem sie umso stärker die Rolle des Wächters über die "Ehre" und Jungfräulichkeit ihrer weiblichen Familienmitglieder verinnerlichen. Indizien, die diese Vermutung rechtfertigen, gibt es.
In diesem Sinne sind die Äußerungen von Frau Özkan ärgerlich, weil sie - wieder einmal - nur an der Oberfläche der Problematik kratzen und einen beruhigend-relativierenden Ton anschlagen.

Dass Frauen "das letzte Wort bei grundlegenden familiären Entscheidungen" haben, ist im übrigen ein beliebtes klischeehaftes Argument bei allen reaktionären Kräfte, die damit die Nichtbeteiligung von Frauen bei außerfamiliären Entscheidungen rechtfertigen wollen. Man vergleiche hierfür entsprechende Emanzipationsdebatten aus der frühen Zeit der Bundesrepublik Deutschland.

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