Aber ein zweiter Blick auf die Zwischenzeiten zeigt: so richtig rund lief die ganze Sache nicht, denn die 2. Hälfte der Strecke habe ich mitnichten wie in der reinen Marathonlehre angenommen schneller gelaufen als die 1. Hälfte, sondern nicht ganz unwesentlich langsamer. Und was lernt man daraus: die 42km in Köln waren ziemlich hart für mich!
Aber viel mehr erwarten kann man vielleicht auch nicht bei einer solchen Vorbereitung: lediglich 400km bin ich in den 3 Monaten vor dem Wettbewerb gelaufen, und meine längste Strecke dabei lag deutlich unter 30km – also überhaupt nicht zu vergleichen mit den Kilometern vor dem Hannover-Marathon, denn da lag mein Pensum bei etwa dem Doppelten… samt wirklich langen Läufen bis zur Marathondistanz selbst.
Also habe ich für mich die ersten beiden Lehren aus diesem Rennen in Köln gezogen:
- 700km in der Vorbereitung sollten es schon sein und
- 5-6 lange Läufe über 30km sind ebenfalls dringend erforderlich.
Na, und die direkte Vorbereitung war dann auch wieder Erwarten eher schlecht; eigentlich wollten wir am Samstag gemütlich nach Remscheid in ein gutes Hotel fahren und uns dort mit Freunden treffen, nachdem wir uns nachmittags in Bochum das Musical „Starlight Express“ angesehen hätten… doch daraus wurde nichts, denn eine Vollsperrung der Autobahn bescherte uns neben vielen Stunden Stau und der totalen Verzweiflungeine abenteuerliche Abfahrt von der Autobahn, eine kurzfristige Verlegung der Vorstellung auf den Abend und ein sehr spätes Ankommen im Hotel.
Doch trotz dieser Widrigkeiten kam ich erstaunlich ausgeschlafen rechtzeitig am Sonntagmorgen nach Köln an den Start – und selbst das Wetter spielte zu diesem Zeitpunkt noch mit, denn es war trocken und sogar die Sonne lugte ein wenig hervor. Doch pünktlich zum Start fing es an zu nieseln, was man zu diesem Zeitpunkt schon ein wenig gesenkte Stimmung nicht gerade aufheiterte: Grund war allerdings nicht das Wetter allein, sondern der Umstand, dass ich – für mich ganz ungewöhnlich und überraschend – schon vor dem Start einen Puls um die 100 Schläge hatte; erklären konnte ich mir diesen überhaupt, denn besonders aufgeregt wegen des Starts war ich nicht. Aber vielleicht waren dies noch die Nachwirkungen einer nicht ausgebrochenen, aber sich immer wieder ankündigenden Erkältung – die ich auch heute noch nicht bekommen habe. Ein ganz komisches Gefühl war jedenfalls in mir, genau so komisch wie der hohe Puls am Start.
Als es dann mit 12 Minuten Verspätung auf die Strecke ging, nahm ich mir vor, einfach so zu laufen, wie es gerade geht – und dies durchaus auch mit der Option, vorzeitig auszusteigen, wenn es nicht mehr gehen würde. Schliesslich hatte ich mir für die ersten Kilometer einen viel niedrigen Pulsverlauf vorgenommen, denn innerlich hatte ich mich im Vorfeld darauf eingestellt, dass es spätestens nach der Hälfte des Rennens durchaus schwer werden könnte.
Aber so richtig schwer fing es dann doch nicht an, denn die ersten Kilometer über die Rheinbrücke und am Rhein entlang war das Laufen sehr angenehm, auch wenn die Pulsfrequenz gleich mal auf etwa 150 Schläge anstieg. Im Nachhinein war es dann so, dass sie konstant so blieb und sich nicht mehr weiter erhöhte, damit bekam ich also nicht wirklich Probleme.
Doch problematisch wurde dann zeitweise das weiterhin eher ungemütliche Wetter – aber Nein, es gibt ja bekanntlich kein schlechtes Wetter, und deswegen ignorierte ich die kleineren Wetterkapriolen und lief mit ziemlich gleichmässigen Tempo unter 06:00 Minuten pro Kilometer weiter. Zu diesem Zeitpunkt kam mir die Strecke auch noch sehr abwechslungsreich vor, wenn ich auch relativ wenige Sehenswürdigkeiten der Stadt Köln wahrnahm – so richtig in Erinnerung geblieben ist mir eigentlich nur die noch nicht fertiggestellte Moschee…
Da ich mir ja meiner Form nicht so ganz sicher war, lief ich jeden Getränkepunkt an – und beherzigte auch den wichtigen Hinweis, nicht gleich auf den ersten Tisch los zu stürzen, sondern möglichst weit hinten mein Getränk zu holen. Am Anfang gab es nur Wasser, und davon genehmigte ich mir immer einen Becher im Gehen, während ich den zweiten Becher zum Erfrischen nutzte (der Regen hatte inzwischen aufgehört). Und damit komme ich gleich zu zweit weiteren wichtigen Hinweisen, wovon der erste in der Folgezeit für mich entscheidend wurde zum Erreichen des Ziels:
- jeden Getränkestand anlaufen und in Ruhe genügend Flüssigkeit zu sich nehmen und
- niemals den ersten Tisch anlaufen, sondern immer in den hinteren Bereich, wo nicht gedrängelt wird.
Schwierig fand ich, dass in Köln tatsächlich mehrmals die gleiche Strecke hin- und zurückgelaufen werden musste. Bei Kilometer 12-17 fand ich das noch nicht so ganz schrecklich, aber später war das wirklich demotivierend – dazu später mehr. Schwierig fand ich auch – wie in Hannover – die vielen Staffelläufer, da die insgesamt für ein sehr unruhiges Tempo sorgten. Naja, Schwamm drüber, zu diesem Zeitpunkt konnte ich ja mein Tempo noch sehr gleichbleibend halten – tatsächlich bis etwa km 28 blieb meine Zeit pro Kilometer immer unter 06:00 Minuten, und dies teilweise sogar deutlich. Allerdings musste ich schon vor dem Erreichen der Halbmarathondistanz mein erstes Energiegel nehmen, denn ich merkte, dass allein das Wasser wohl nicht ausreichend sein würde.
Zwischen km 25 und km 30 erwischte es mich dann – durchaus erwartungsgemäss – recht heftig, und das hatte zwei Ursachen: die erste war, dass ich bei km 26 nicht nur schon das zweite Energiegel schluckte, sondern dazu auch noch 1,5 Becher Isogetränk. Ich versprach mir davon zusätzliche Energie – aber mir drehte es erst einmal heftig den Magen um und zusätzlich ging auch noch die Herzfrequenz nach oben – offensichtlich hatte mein Körper ziemlich viel Mühe mit den Kohlehydraten und dem Zuckergesöff.
Und die Zweite? Die stand bei km 36 und war ein gelbes Auto, ausgestattet mit einer Diskothekenanlage – und eigentlich zur Läufermotivation gedacht. Das Problem war nur, dass diese Motivation eben nicht nur die Läufer bei km 36, sondern auch die bei km 28 beschallte, die in der Gegenrichtung unterwegs waren und sich ausrechnen konnten, dass sie diese Motivationsstelle erst in 8 km oder – in meinem Fall – weiteren etwa 45 Minuten erreichen würden… wenn bis zu dieser Stelle mein Schweinehund nur leise ums Aufhören gewinselt hatte, jetzt jedenfalls jaulte er in den höchsten Tönen.
Aber auch das lauteste Jaulen kann man ruhig stellen… wenn es nicht wirklich der „Mann mit dem Hammer“ ist, sondern eher ein erwarteter Einbruch durch mangelndes Training. Ich jedenfalls zog jetzt für mich eine Strategie aus der Tasche, die ich mir zurecht gelegt hatte: ich hangelte mich beim Laufen von Verpflegungspunkt zu Verpflegungspunkt; ich dachte einfach nur noch in 5 km – Schritten und kämpfte mich an den Isogetränken entlang – die ich dann bei 35km durch Cola ersetzte. Tatsächlich, sogar bei km 40 nahm ich noch einen kräftigen Schluck, denn inzwischen hatte sich auch die linke Fusssohle kräftig und unmissverständlich dahingehend gemeldet, dass sie das Weiterlaufen für unnütz und zutiefst schmerzhaft halten würde.
Aber egal, nach km 40 biegt man in Köln in die Gasse der Tribünen ein, und so banal es klingt, irgendwie sah ich da noch ein Schild mit der eigentlich wenig originellen Aufschrift „Umkehren wäre jetzt auch blöd!“ – und das ging mir dann nicht mehr aus dem Kopf, und zwar auch in dem Augenblick, als sich meine Polar grinsend mit dem Ende der Marathonstrecke meldete – die Strecke aber offiziell noch 500m lang war…
Den Dom habe ich allerdings nur aus den Augenwinkeln wahrgenommen, dafür aber den Zielteppich umso klarer – und als ich dann wirklich im Ziel war, überkamen mich nur zwei Gefühle: Erleichterung und Hunger!
Aber die letzten Kilometer haben mir noch 2 Erfahrungen gebracht:
- Teile Dir die Strecke in übersichtliche Häppchen ein und
- habe Respekt vor jedem Kilometer dieser Strecke und denk immer daran, dass man auch noch auf den letzten 100 Metern das Ziel verfehlen kann.
Apropos Ziel und Hunger: meinem Magen stand dann noch eine letzte Bewährungsprobe bevor, denn ich stopfte binnen weniger Minuten in mich hinein:
- HotDog
- Suppe
- Fleischwurst mit Brot
- Wasser
- alkoholfreies Bier
Normalerweise müsste ich mich in unangestrengtem Zustand davon wohl übergeben, aber mein Körper war in diesem Augenblick selbst daran wenig interessiert…. und so konnte ich mich zusammen mit meiner Familie und meinen Freunden bei einem gepflegten Capuccino doch noch am Anblick des Doms erfreuen.
Und mein körperlicher Zustand nach diesem Marathon? Erstaunlich gut, denn sowhl direkt nach dem Zieleinlauf als auch am nächsten Tag konnte ich schon wieder weitgehend schmerzfrei laufen zB. bei der Erkudung der Zeche Zollverein – und heute würde ich zwar noch keine 10 km laufen, aber muss mich auch nicht um Wege zu Fuss samt Treppensteigen drücken.
Letztendlich lief es also doch bei mir – beim Köln-Marathon 2016.