Koljah Kolerikah - so lautet der nom de guerre auf den Solojoint des Antilopengangmitglieds. Und der Albenname ist Programm - ein jeder bekommt seine klatschende Watsche. Ob pimmelbesitzender Rapper, heranwachsender Balg oder treuer Fan - keiner kommt hier nicht lachend raus, denn die 13 (im Gratisdownload) oder 17 (als erstehbare CD) Tracks geiseln auf groteske Weise so ziemlich alles, was sich im eingeschränkenden Blick des Rapkosmos auf dieses Erdenrund finden lässt.
Battle? Aber durchgehend. Sprüche? Aber ständig! Inhalte? Trotz der Verneinung in den ersten Nummern des Albums kommt es zur Mitte hin zu einigen sehr tiefsinnigen Nummern, die zumindest mal mich nicht unberüht liessen.
Der krass ehrliche, ein hässliches Beziehungsende thematisierende Featuretrack "Sprache verloren" (mit NMZS) ist eines der besten Beispiele hierfür. Kostprobe?
"Früher musstest du mal lächeln, wenn du mich gesehen hast, alleine der Gedanke daran wirkt auf mich wie Tränengas".
Haunting!
Leider fehlt auf der Platte eine Zweiernummer mit Danger Dan, mit dem Koljah die grandiose, inhaltlich dichte "Traurige Clowns"-EP stemmte, dessen Featurepart geht bei der mit 15 MCs absurd überladenen Grossfeaturenummer Kol & The Gang leider ein wenig unter. Der Track ist allerdings einfach nur ein grandioser Silbentsunamispass ... feat. die erwartbaren Verdächtigen form, H aka N, Fatoni, Panik Panzer, Lea-Won usw. Aber dafür scheint er wieder gewohnt einzigartig im Triumvirat mit Panik Panzer & dem Kolerikah, wenn es um punchy lines geht.
Koljah flowt inzwischen derart souverän, dass ich mich mehr als einmal an Savas in seinen besseren Neongelbtagen erinnert fühle (mit deutlich mehr Aussage versteht sich) somit wird der Ex-König gezwungen endlich ma seine Krone abtreten, ich hoffe er wagt keinen Mubarakmove.
Aber der krakeelende Spötter wäre nicht konsequent in der Wahl seines Albentitels, wenn nicht auch die "linke" Szene dick ihr Fett wegkriegen würde.
Er übt hier (glücklicherweise zeigefingerlos) berechtigte Kritik am teilweise verdammt bequemen Weltbild manch eines Gutmenschen, ich reiche gerne noch ne Gastronomiepackung Salz rüber, denn auch diese Wunden wollen umsorgt sein. Und ja, dieser Mensch könnte (bzw. wird) mit Worten tatsächlich den ein oder anderen verletzten.
Aber werte Strassenkämpfer, trocknet euch rasch das blutende, gerötete Näschen und lauschet weiter, denn hier muss man zwischen den Zeilen lesen.
Koljah schreit nicht mehr die klassischen Parolen, sondern zimmert zwei, drei finstere Texte, die härter mit den tatsächlichen Funktionsweisen unserer Gesellschaft ins Gericht gehen als manch eine Pamphlet"wahrheit". Nachzuhören bei "Drogengeld" oder auch dem herrlich doppelbödigen "Liebe Kinder" - vielleicht der Song mit der besten Hook des Albums.
Aber auch die persönlichen Krisentracks kommen nicht zu kurz, egal ob man nun das düstere "Monotonie" oder das retrospektive "Von Stadt zu Kaff" nimmt, bei beiden schimmert (bei aller Sprüchefreudigkeit) eine scharfe Selbstbeobachtungsgabe durch, die in Deutschland auch seltener geworden ist.
Mir persönlich gefielen aber trotz aller Inhaltsschwere die wuchtigen, punchlineverliebten Abfahrten am besten. Egal ob als Soloabrissunternehmen oder im Truppenverband mit anderen Antilopen - man stellt klar: Es geht im Sprüche.
Und die Bilder triefen vor grotesker Übertreibung in guter alter CITC-Manier. "Endstation S-Bahn-Schiene, leider bist du nicht Houdini, am Ende des Tages sieht dein Kopf aus wie ein Drittel Bifi" - noch Fragen? Falls ja, dann kann man nur sagen - ja du weisst nix!
Ihr könnt dieses gutgelaunte Salz für eure Wunden im digitalen Hauptquartier der Antilopengang downloaden oder bestellen - und ja es mangelt Koljah nicht an Marketingüberheblichkeit, wenn er es mit "Album des Jahres, nicht Demo des Monats" bewirbt.
Sicherlich nicht gänzlich zutreffend, aber spassiger als 90% der sonstigen Veröffentlichungen ist dieses Ding alle Mal. Also lasst euch gefälligst beschimpfen und gebt ihm ma ein bissl Liebe, vielleicht wird dann die nächste Platte versöhnlicher. Was ich nicht hoffe, denn meinen Nerv hat er mit dieser galligen Sause definitiv getroffen! Daher gibts auch die Flaneurempfehlung.
Und nun Musik zwecks Illustration der Kunst der gepflegten Verbalinjurien. Koljah feat. Panik Panzer & Danger Dan - "Es Geht Um Sprüche" - genau so isses. Endlich ma wieder Rap mit rabenschwarzem Humor.