Kohl – eine kleine Liebererklärung

Von Cookinblog

Regelmäßigen Lesern von cookin’ wird nicht entgangen sein, dass ich meinen kleinen Blog gerne hier und da zur kulinarischen Traumatherapie nutze. Das ist günstiger als einen ausgebildeten Therapeuten zu bemühen und mindestens so effektiv. Nachdem es in diesem Zusammenhang schon mal um das Thema “Wirsing” ging, soll heute die Kohl-Familie im Allgemeinen im Zentrum der Betrachtungen stehen. Neben dem eben erwähnten Wirsing sind es vor allem zwei Begegnungen, die mein Verhältnis zum Kohl nachhaltig eingetrübt haben: zum einen handelt es sich um die, in überwiegend weiblich dominierten, Abnehm-Zirkeln hochgeschätzte Kohlsuppe, die durch das (viel zu) lange Kochen eine derartige olfaktorische Pestilenz verbreitet, dass durch den Geruch an sich jedes Hungergefühl final abgetötet wird. Zum zweiten ist mir der Rosenkohl aus Kindheitstagen in nachhaltigsten Erinnerungen geblieben. Bei letzterem handelt es sich nämlich – wie ich durch meine Recherchen gelernt habe – um diejenige Kohlsorten mit dem höchsten Anteil an schwefelhaltigen Verbindungen überhaupt und damit um die für Kinder mit Abstand ungeeignetste Variante. Hätte meine Mutter doch einen Blick in das phantastische, damals leider eben erst erschienene, Buch “On food and cooking” von Harold McGee geworfen – uns wäre die ein oder andere Auseinandersetzung erspart geblieben…

Und so brauchte es trotz einer kleinen aber heißen Liebelei mit Rot- und Grünkohl den jüngst gefassten Entschluss, verstärkt auf regionale und saisonale Produkte zu setzen, um den Fokus auf dieses tolle Gemüse zu legen.

Lange Rede – kurzer Sinn: heute geht es um eine frische Liebe, den Kohl. Denn meine Recherchen haben nicht nur Erstaunliches zutage gefördert sondern auch ein für mich überraschend großes kreatives Feld beleuchtet, mit dem man den Blog locker ein paar Monate füllen könnte – keine Sorge, ich sorge für ausreichend Abwechslung

Zur Sache

Die Kohl-Familie ist erheblich größer und vielseitiger, als man es auf den ersten Blick vermuten mag. Allen Kohlsorten ist gemein, dass sie grundsätzlich gut mit kräftigen Zutaten klar kommen: Knoblauch, Zwiebeln, Ingwer, Kartoffeln, Äpfel oder Speck – funktioniert alles super. Erstaunlicherweise geht es aber auch feiner: Kohl, Meeresfrüchte und Trüffel geben z.B. ebenfalls eine außergewöhnliche gute Kombination ab. Ich war völlig erstaunt, wie viele tolle Rezepte man in kürzester Zeit findet, wenn man sich mit dem Thema Kohl beschäftigt.

Man kann die Familie, für mehr Struktur, in vier Gruppen einteilen, nämlich Knollen, Stengel, Blätter und Blüten. Fangen wir unten an: bei den Wurzeln tummeln sich sowohl die herrlich frischen wie – mal mehr mal weniger – scharfen Rettich-Arten (Food Pairing-Baum) wie auch die vermeintlich fade und wenig beliebt Kohlrübe. Zu der ist ein Blick in Wikipedia ganz kurzweilig. Dort erfährt man z.B., dass die deutsche Bevölkerung selbst im Hungerwinter 1917 so wenig Lust auf die Knolle hatte, dass die Reichskartoffelstelle zum Ende des Winters noch 80 Millionen Zentner Rüben übrig hatte. Autsch! Sich mit den Rüben nicht zu beschäftigen wäre dennoch ein grober Fehler, wie tolle Rezepte bei Arthurs Tochter oder Highfoodality zeigen.

Ein Stockwerk höher tummelt sich der Kohlrabi (Food Pairing-Baum). Der ist nämlich keine Wurzeln sondern ein in die Breite gegangener Stengel (junge Blätter können wie normales Blattgemüse behandelt und gegessen werden) und enorm vielseitig einsetzbar, z.B. sauer eingelegt.

Die meisten klassischen Kohl-Sorten finden sich in der Gruppe „Blätter“: z.B. Weißkohl, Grünkohl (Food Pairing-Baum), Wirsing, Rotkohl (Food Pairing-Baum), Chinakohl, Pak Choi oder Spitzkohl – um nur einige zu nennen.

Bei den Blüten sticht der Blumenkohl eindeutig heraus. Der ist nämlich vergleichsweise fein und ungeheuer vielseitig: roh, sauer eingelegt, geschmort, gedünstet, gekocht, gegrillt – es gibt kaum eine Garmethode, die beim Blumenkohl nicht funktioniert. Durch seine Feinheit passt er auch relativ gut zu Fisch.

Schneiden macht einen Unterschied

Wenn man Kohl hackt, z.B. für Krautsalat, werden diejenigen chemischen Verbindungen aktiviert, die für den bitteren, scharfen und „kohligen“ Geschmack zuständig sind.  Gibt man den gehackten Kohl im Anschluss in kaltes Wasser, so werden die meisten dieser Verbindungen neutralisiert. Am mildesten wird Kohl, wenn man man ihn fermentiert (vgl. McGee, 2004, S. 322).

Hitze macht einen Unterschied

Kohl hat die Eigenart, dass sich die schwefelhaltigen Verbindungen durch längeres Kochen immer weiter intensivieren. Dabei gilt: Blanchieren bzw. kochen führt zu milderen Ergebnissen als Braten oder Pfannenrühren.

Grundsätzlich ist es immer günstig, Kohl nur solange zu garen wie unbedingt notwendig. Denn im Gegensatz zur Zwiebel-Familie, die durch langes Garen immer süßer wird, entfalten die meisten Kohlsorten mit längerem Garen ihre unangenehmen Eigenschaften (vgl. McGee, 2004, S. 322).


Zum Rezept…

Butternut-Creme

1 Butternut-Kürbis
1 – 2 Schüsse Orangensaft
2 EL kräftiger Hühner- oder Rinderfonds
1 cm frischer Ingwer, fein gewürfelt
Kreuzkümmel
Kurkuma
Koriander-Samen
Salz
Pfeffer

Den Kürbis schälen, entkernen, würfeln, salzen und pfeffern und mit dem Ingwer in einer leicht geölten Backform bei 180 Grad im Ofen backen bis er weich ist. Mit den gemörserten Gewürzen und dem Orangensaft und dem Fonds in einer Küchenmaschine zu einer feinen Creme verarbeiten und dann passieren.

Dann die Creme zurück in die Backform bugsieren und 20 – 30 Minuten räuchern, z.B. über Kirschholz. Kalt- oder Heiß-Räuchern macht hier keinen Unterschied.

Dehydrierter Grünkohl

Grünkohl
Olivenöl
Apfelessig
Meersalz

Vom Grünkohl kleine Blätter abzupfen. Aus den restlichen Zutaten eine schnelle Marinade herstellen. Die Blätter in den Marinade wenden, abtropfen lassen und dann bei um die 50 Grad im Deyhdrator, alternativ im Backofen mit leicht geöffneter Backofentür, trocknen – das dauert ca. 5 Stunden.

Die getrockneten Blätter in einer luftdichten Box aufbewahren.

Rote Beete

2 – 3 Rote Beete-Knollen
Salz
Pfeffer

Die Rote Bete-Knollen in der Alufolie auf etwas Meersalz bei 180 Grad ca. 90 Minuten im Backofen garen bis sie weich sind. Dann schälen und bis zur Verwendung beiseite stellen. Kurz vor dem Anrichten in der Pfanne aufwärmen und salzen und pfeffern.

Süß-sauer eingelegte Birne

2 Birnen, z.B. Abate
60 ml Reisessig
70 g Zucker
60 ml trockener Weißwein

Mit einem runden Ausstecher (alternativ mit einem kleinen Teelöffel) kleine Kugeln aus den geschälten Birnen ausstechen. Alle Zutaten außer den Birnen-Kügelchen aufkochen und den Sud über die Birne geben. Eine Stunde bei Zimmertemperatur ziehen lassen, dann den Sud abgießen.

Man sollte die Birnen-Kügelchen nicht allzu lange im Voraus zubereiten – sie werden bei zu langer Lagerung weich.

Nussbutter-Schaum

150 g Butter
100 ml kräftiger Hühnerfonds
1 Msp. Soja-Lecithin
0,3 g Xanthan
0,3 g Guarkernmehl
Salz, Pfeffer
Quattre Epices
1 cm frischen Ingwer
1 EL Ingwersirup
Schnittlauch
Rosensalz

Am besten vorab die Nussbutter herstellen. Dazu die Butter in einem kleinen Topf bei mittlerer Hitze bräunen.

Experimentierfreudige Naturen können 1/3 des Gewichtes der Butter in Milchpulver dazugeben. Dann werden die Karamell-Aromen noch intensiver.

Achtung: erst tut sich lange nichts, dann geht alles sehr schnell.

Sobald die Butter deutlich zu bräunen beginnt, sofort in ein kühles (!) Gefäß umziehen. Die Butter sollte sofort zu karamellisieren aufhören, sonst wird sie zu dunkel.

Dann mit Fonds und den Texturgebern (Lecithin, Xanthan, Guarkernmehl) in einen guten Mixer, z.B. einen Thermomix geben, sorgfältig homogenisieren und kühl stellen.

Die Nussbutter-Emulsion passieren, in einen ISI Siphon geben, zwei Kapseln eindrehen und im Wasserbad auf 50 Grad erhitzen. Als Wasserbad verwende ich einen großen Topf, die Wassertemperatur messe ich mit einem Fleischthermometer.

Das Wasserbad sollte nicht wesentlich heißer werden – sonst riskiert man einen explodierenden Siphon.

Anrichten

Alle Komponenten von oben
Frischer Ingwer
Unbehandelte Zitrone
Kresse

Die Creme mittig rund auf einem flachen Teller ausstreichen. Rote Beete, Birne und Grünkohl darauf verteilen. Etwas Ingwer und Zitronenschale darüber reiben. Den Nussbutter-Schaum aufspritzen. Mit der Kresse garnieren.


Dazu passt…

Henri Prudhon – St. Aubin „En Remiliy“ 2010

Allgemein heißt es, Chardonnay aus dem Burgund sei teuer.  Das ist im Großen und Ganzen auch nicht falsch, es gibt aber dennoch positive Ausnahmen. Dieser St. Aubin (~ 22€) besticht durch eine fast Riesling-hafte Mineralität, sehr dezenten Holzeinsatz und sehr schlanke Formen, die den Wein extrem trinkig machen. Er braucht ganz offensichtlich Zeit. Von allen bisher getrunkenen Flaschen des 2010ers war die letzte aus dem November diesen Jahres mit Abstand die beste. Durch die schlabke Statur eignet er sich deutlich besser als Essenbegeleiter als seine üppigeren Kollegen aus den Prestige-Regionen.


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