Ich packe meinen Koffer und nehme mit … Windeln.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit: Windeln und Wechselsachen für die Kinder.
Ich packe meinen Koffer und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder und – Halt: Ich habe ja gar keinen Koffer! Aber ich habe einen Rucksack. Der muss genügen.
Also: Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder und Wechselsachen für mich.
Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Wechselsachen für mich und Zahnputz- und Waschzeug!
-> Hey, das ist kein Schummeln, ja? Läuft alles unter “Hygieneartikel”, OK?
Ich packe meinen Kofferucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Wechselsachen für mich, Hygieneartikel und Medizin. Die wichtigsten Medikamente: Antibiotika, Desinfektionszeug, einen Verbandkasten.
Ähhh … Hab kein Antibiotikum, hab kein Desinfektionszeug, hab nur ein bisschen was an Verbandsmaterial, zählt das?
Ich packe meinen Kofferucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Wechselsachen für mich, Hygieneartikel, Medizin und Bücher.
Ich habe keine Bücher.
Ich packe meinen Kofferucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Wechselsachen für mich, Hygieneartikel, Medizin und … Essen. So Sachen, die satt machen und nicht so schnell verderben. Ja, das ist gut!
Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Wechselsachen für mich, Hygieneartikel, Medizin, Essen und … Wasser! Trinkwasser! Das ist wichtiger als Essen. Aber langsam wird der Platz eng.
Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Hygieneartikel, Medizin, Essen und Trinkwasser! Wechselsachen für mich packe ich aus.
Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Hygieneartikel, Medizin, Essen, Trinkwasser und Geld und andere kostbare Besitztümer, sofern sie klein genug sind.
Aber so viele Reichtümer habe ich nicht, genau genommen nur ein bisschen Geld und ein einziges Schmuckstück, eine Haarnadel, geerbt, das passt also. Wenn ich dafür anderes weglasse.
Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Medizin, Essen, Trinkwasser und Geld und die Haarnadel. Hygieneartikel packe ich aus.
Ich packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Medizin, Essen, Trinkwasser, Geld und die Haarnadel und meine Liebsten.
Nein.
Die passen da nicht rein, die muss ich so an die Hand nehmen. Und mit allen Sinnen auf sie achten.
Ich nehme meine Liebsten an die Hand, packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Medizin, Essen, Trinkwasser, Geld und die Haarnadel und … weiß nicht, was ich sonst noch einpacken soll?
Vielleicht mein Leben? Aber das passt da nicht hinein in meinen Kofferrucksack. Nicht meine Heimat. Nicht das Haus, in dem meine Kinder geboren wurden, das Dorf, in dem ich geheiratet habe oder das Stück Land, auf dem meine Vorfahren beerdigt wurden. Nicht das Dorf, in dessen Straßen ich als Kind gespielt habe, nicht die Stadt, in der ich gelebt habe.
Auch nicht meine Nachbarn, Freunde, Verwandten.
Ich nehme meine Liebsten an die Hand, packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Medizin, Essen, Trinkwasser, Geld und die Haarnadel und Angst, Sorge und Kummer.
Weil ich nicht weiß, was passieren wird. Weil ich nicht weiß, wo wir ankommen werden. Weil ich gar nichts weiß, außer, dass ich Angst habe, unermeßliche Angst und dass das Einzige, was größer als meine Angst ist, meine Liebe zu meiner Familie ist.
Ich nehme meine Liebsten an die Hand, packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Medizin, Essen, Trinkwasser, Geld und die Haarnadel, Angst, Sorge und Kummer und … Erinnerungen. Denn mehr wird mir vielleicht nicht bleiben.
Ich nehme meine Liebsten an die Hand, packe meinen Kofferrucksack und nehme mit: Windeln, Wechselsachen für die Kinder, Medizin, Essen, Trinkwasser, Geld und die Haarnadel, Angst, Sorge und Kummer, Erinnerungen und … Zuversicht, Mut und Hoffnung! Darauf, dass meine Kinder in Sicherheit aufwachsen können. Unbeschwert und sorgenfrei draußen spielen können. Und ich ihnen dabei zusehen kann, ohne Todesangst zu haben.
Ich habe nichts mehr, dass ich packen könnte.
…
Ich lasse meinen Kofferrucksack zu Boden sinken, bin so unendlich, unsagbar müde, am Ende meiner Kraft. Sehe meine Kinder an, reiße mich zusammen, lächle, packe meinen Koffer aus und-
Nein. All diese Dinge sind noch immer in meinem Koffer. Auch meine Zuversicht, mein Mut und meine Hoffnung. Ich würde sie so gerne herausholen, aber ich darf noch nicht auspacken. Weil irgendwelche Menschen das Haus, von dem es hieß wir dürften eine Weile darin wohnen, angezündet haben.
Menschen, dessen Kinder und Enkel nur den Frieden kennen.
Müde nehme ich meinen Kofferrucksack wieder auf. Drücke meine Kinder an mein Herz und gebe ihnen all meine Liebe und Kraft.
Dann gehen wir weiter. Wir haben keine andere Wahl.
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