Heute gehts um ein ernstes Thema, das mir in den vergangenen Wochen mehrmals in verschiedenen Settings begegnet ist.
Zum einen habe ich abends in eine TV-Doku geschaltet, wo es um junge Leute ging, die ein freiwilliges Jahr in einem Entwicklungsland machen und dort in Schulen, Kindergärten oder auch Krankenhäusern arbeiten. Indien war das Traumland eines der Mädchen, die Mischung aus Yoga, Yogitee, Buddhismus und was sonst noch als Klischee in westlichen Ländern wabert, hat sie in eine indische Dorfschule gebracht. Dort sollte sie Englisch unterrichten. Die Kinder waren zum Teil völlig übermüdet, der Tag mit Unterricht extrem lang, manchen hatten weite Schulwege. Sie schliefen vornüber gebeugt schlichtweg ein. Die Aufgabe der Lehrerin ist es nun, die Kinder wach und vor allem folgsam zu halten. Mit dem Rohrstock. Klappt etwas nicht, sind die Schüler zu laut und laufen sie nicht in der Bahn, gibts eins drüber. Das Mädchen hat sich dazu nicht überwinden können und hat diese Stelle aufgegeben.
Eine ähnliche Geschichte gibt es aus Ghana. Dorthin ist die Tochter von Freunden gegangen, um in Kindergarten und Krankenhaus zu helfen. Auch dort ist der Rohrstock das Erziehungsmitel der Wahl. (Mit Entwicklungshilfegeldern unterstützt und von einer der beiden großen deutschen Kirchen unterhalten. Da wird mir schlecht.)
Zum zweiten habe einen alten Freund aus Texas bei Facebook ausfindig gemacht, wir haben uns seeeeehr lange nicht gesehen. Er ist an sich ein total liebenswürdiger Mensch, weich, nicht sehr selbstsicher und ein wirklich guter Freund. Heute hat er eine Familie, scheint sehr konservativ zu sein und verteidigt, nein, proklamiert die "Notwendigkeit", seine Kinder für ihre Vergehen durch Schläge zu strafen. Es folgte eine längliche Diskussion im Kommentarfeld zwischen mir, liberaler Europäerin, und dem konservativen Südstaatler. Au weia. Ich habe ernsthaft überlegt, ob ich mit diesem Menschen befreundet sein möchte. Er ist aus allen Wolken gefallen, als ich sagte, dass es in einigen europäischen Ländern sogar gesetzlich verboten ist, seine Kinder zu schlagen, Stichwort Körperverletzung. Das verstand er als staatlichen Übergriff. In die Erziehung seiner Kinder habe sich niemand einzumischen.
In seinem Jazzblog erzählt Hannes, wie die Kochlöffelschläge seines Vaters heute mit den Worten "Es hat dir nicht geschadet" kommentiert werden. Seine Replik: “Doch, es hat mir geschadet. Uns geschadet. Es hat ein Band zwischen uns zerschnitten. Das Band bedingungslosen Vertrauens.” sollten all jene Eltern mal überdenken, die ein Küchengerät das Gespräch ersetzen lassen.
Susanne von Geborgen Wachsen hat eine Blogparade ins Leben gerufen, die sich mit dem Thema Gewalt gegen Kinder auseinandersetzt. Wir dürfen das Thema nie aus den Augen verlieren. Bei uns selbst nicht und nicht bei Kindern aus unserem Umfeld.
Wie kann man nur? frage ich mich jedes Mal. Ein kleiner Mensch, der einem Erwachsenen hilflos ausgeliefert ist. Der angewiesen ist auf dessen Fürsprache, Hilfe und Anleitung. Ich verstehe nicht, dass man sich als Erziehungsberechtigter nicht gegenüber einem Kind durchsetzen kann, ohne körperlich aggressiv zu werden. Dass man billigend in Kauf nimmt, dass das Kind sich nie vertrauensvoll an einen wendet, wenn etwas schief gegangen ist aus Angst vor Schlägen. Und dass es allein aus dieser Angst heraus Dinge tut oder lässt - nicht etwa aus dem eigenen Verständnis heraus. Niemand, der seinen Kindern Ohrfeigen oder Gürtelschnallen zuteil hat werden lassen, sollte sich heute über Jugendgewalt wundern. Das gute alte Bundeswehrmotto gilt auch hier: Führen durch Vorbild.