"Es geht um Gemüse. Slaters Gemüse. Das wird vom ersten Wort an klar."
★★★★★★★
///George
Rezension von Nigel Slaters Tender/Gemüse
Dass der Engländer Nigel Slater der beste unterbewertete Kochbuchschreiber der Welt ist, habe ich bereits erwähnt. Woher diese Einschätzung? Nun, außerhalb des Verinigten Königreiches ist er kaum bekannt, misst man es etwa daran, wieviele seiner Bücher ins Deutsche übersetzt wurden. Dabei gibt es sogar eine liebevolle Verfilmung seiner Autobiographie "Toast". Wer des Englischen in der Küche mächtig genug ist, war bislang also definitiv im Vorteil. War? Jap, denn sein wohl größter Wurf erscheint dieser Tage drei Jahre nach der Veröffentlichung auch auf Deutsch. Das zweibändige Werk mit dem Titel "Tender" erscheint hier beim Dumont-Verlag und die haben die erste Hürde schon mal wenig elegant genommen, indem sie das Buch plump "Gemüse" betitelt haben. Der zweite Band wird sicherlich "Obst" heißen und beide Bände werden dabei die Gedanken vernachlässigen, die sich Slater zu dem Originaltitel gemacht hat und über die er im Vorwort poetisch sinniert. Schade eigentlich. Rezensieren wollte ich es aber schon lange mal, also ist jetzt eine gute Gelegenheit. Und glaubt mir, in den nächsten Wochen werden die Foodblogs von dem smarten Mr. Slater überquillen! Schauen wir uns also an, wie gut Tender unseren Bewertungskategorien stand hält.
Persönlichkeit - ★★★★★★★Es geht um Gemüse. Slaters Gemüse. Das wird vom ersten Wort an klar. Der Mann lässt mich daran teilhaben, wie er sich ganz persönliche Gedanken darüber macht, wie er seinen Stadtgarten anlegen möchte und dies dann tut. Ich spüre förmlich, wie er im Boden gräbt. Ich bin dabei, wenn er ein Rezept vorstellt und dann revidiert, ergänzt, überarbeitet und neu vorstellt. Er sagt, er mag Bohnen, auch wenn man davon furzen muss. Er beschreibt mir, wie an seinen frischen Karotten noch Erde hängt und was für eine Sauerei sie beim waschen in der Spüle hinterlassen, wie gut sie aber schmecken, wenn man sie in frischen Hummus tunkt. Das ist so wunderschön subjektiv und seine Sprache dabei so schön gewählt, dass ich ihn sofort zu mir einladen möchten. Oder ich mich zu ihm. Das, Ladies and Gentlemen, ist Persönlichkeit.
Rezepte - ★★★★★★★Es geht um Gemüse, aber Slater kocht nicht rein vegetarisch. Er komponiert seine Gerichte dennoch um das jeweilige Gemüse herum und er empfiehlt zunächst stets, was alles gut dazu paßt. Das sind manchmal Kleinigekeiten wie Minze zu Erbsen ("Yes, I know, it's unfashionable. Do I care? No."), Offensichtlichkeiten wie Eier zu Spinat, oder Überraschungen wie Muskatblüten (Macis) zu Pastinaken. Danach folgen die Rezepte - Suppen, Salate, Aufläufe, Vorspeisen, Pies, Eintöpfe und mehr. Auch wenn eine Vielzahl der über 400 Rezepte ausführlich vorgestellt sind, bleiben viele davon Vorschläge, Andeutungen und inspirierende Ideen. Hier überlässt er es dem Leser ihm zu folgen und dann selbst zu improvisieren. In diesem Sinne ist das Buch sicher nicht der ideale Begleiter für den blutigsten Anfänger, aber trotzdem bleiben seine Rezepte leicht nachzukochen und beschränken sich meist auf eine handvoll Zutaten, die sehr wohlweislich ausgewählt sind und manchmal gerade in ihrer Schlichtheit wahre Augenöffner sind.
Fotos - ★★★★★☆☆Die Fotos sehen genau so aus, wie sie aussehen müssen. Die Farben sind lebendig, die Einstellungen clever, die abgebildeten Gerichte im genau richtigen Winkel eingefangen, so dass ich zugreifen möchte. Einziges Manko: es könnten mehr sein. Mehr, mehr, mehr! Aber ich kann verstehen, dass nicht zu jedem der rund 400 Rezepte ein Foto gezeigt werden kann. Vorallem nicht dann, wenn es teilweise nur kleine Veränderungen sind, die Slater an Rezepten macht. Vieles spielt sich wie ein Gedankenexperiment ab, was man nicht einfangen kann. Wenn er mir beispielsweise einen "Mangold Auflauf" vorstellt, darüber sinniert, wie es noch leckerer wäre und dann das Rezept für einen "besseren Mangold Auflauf" zeigt. Ich kann ihm die verhältnismäßig(!) wenigen Fotos verzeihen, dennoch lasse ich hier ganz streng zwei Sterne aus.
Übersichtlichkeit - ★★★★★★★Die Kapitel sind nach Gemüsesorten geordnet. Alphabetisch. Wenn ich etwas mit Roter Beete suche, schlage ich im Kapitel zu Roter Beete nach. Jedes Kapitel beginnt mit ein paar Gedanken zu dem jeweiligen Gemüse, gefolgt von der Art und Weise wie er es im Garten anbaut und wie er es in der Küche verwendet. Danach folgen die Gerichte. Sehr einleuchtend. Darüberhinaus gibt es noch einen Index, der mir vor allem all jene Zutaten hervorhebt, die nicht zu den 29 Gemüsekapiteln zählen - Couscous, Nüsse, Rosinen -, oder direkt Gerichte angibt - Kuchen, Salate, Suppen. Die Mengenangaben belaufen sich meist auf zwei hungrige Esser, manchmal gibt er aber auch an, dass es für vier oder mehr reichen würde, besonnders dann, wenn Slater der Ansicht ist, es sei sinnvoller etwa einen ganzen Kohl zu verbrauchen, anstelle die Hälfte davon aufzubewahren.
Kommen wir zum Praxistest. Das heißt, eigentlich ist der längst gelaufen. Der extrem saftige Schokolade Rote Beete Kuchen etwa stammt ja schon aus diesem Buch und hat ganz offensichtlich nicht nur mich überzeugt. Ich habe seit ich das Buch vor einem guten Jahr kaufte eine große Menge Slater Rezepte ausprobiert und improvisiert. Um zu zeigen, wie Kleinigkeiten etwas Großes entstehen lassen und weil es einer meiner Favoriten den gesamten Sommer über war, hier ein leckerer Salat mit dem Star der diesjährigen Gartenernte: Roter Beete. Ich habe das Rezept auf die Menge für 2½ Personen heruntergerechnet.
Ziegenkäse Rote Beete Salat
Zutaten:4 kleine bis mittlere Beete Knollen
2 TL Mohn
2 TL Hanfsamen (Ich: BtMG)
1 handvoll Kresse
200g Salat (Slater: Chicorée)
150g fester Ziegenkäse (Ich: Manouri)
Dressing:
1 TL Rotweinessig
1 TL Dijon Senf
1 TL Hanfsamenöl (Ich: Leinsamenöl)
3 EL Olivenöl
2 EL gehackte Petersilie
Salz & Pfeffer
Wasser in einem Topf zum kochen bringen. Für das Dressing Essig mit Senf vermischen, das Öl hinzugießen, die Petersilie dazugeben und mit etwas Salz und Pfeffer abschmecken. Die Beete von Erde befreien, die Blätter abschneiden (und morgen wie Spinat verwenden) ohne dabei die Schale zu beschädigen. Die Knollen in das Wasser geben, Hitze reduzieren und rund 30 Minuten köchlen lassen. Anschließend abgießen und wenn sie kühl genug sind, die Haut abziehen. Jede Knolle in sechs Keile (Wedges) schneiden und in das Dressing geben. Die Hanfsamen - falls zur Hand - für eine Minute anrösten. Den Salat waschen und auf Tellern verteilen. Rote Beete mit Dressing darauf anrichten. Ziegenkäse in Scheiben schneiden und ebenfalls auf den Salat geben. Mit Kresse, Hanfsamen und Mohn garnieren.
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Praxistest - ★★★★★★★
Die Kombi aus erdiger, noch warmer Roter Beete, die Würze der Kresse, dazu die frische Cremigkeit des Manouri. Hammer. Hanf habe ich wie gesagt weggelassen, einfach aus dem Grund, dass ich keinen bekommen habe und ich mir nicht die Mühe gemacht habe überall danach zu suchen. Das Hanfsamenöl habe ich ausgewechselt, eben auch einfach aus dem habe-ich-nicht Grund. Da ich Chicorée persönlich nicht mag, habe ich ihn durch verschiedene frische Salatsorten aus dem Garten ersetzt. Da Slater improvisieren mag, denke ich, das ist trotzdem in seinem Interesse. Und ich liebe diesen Salat. Vorallem, weil er mit frischem Brot eine vollständige Mahlzeit ist. Dem Käse und der Beete sei Dank.
Geben wir nun die Einzelwertungen in meine geheime Formel mit der Bauchgefühlskonstanten ein, erhalten wir folgendes, subjektives Ergebnis:
Gesamtwertung - ★★★★★★★
Würde ich nur ein einziges Kochbuch bis zum Ende meines Lebens mit auf eine einsame Kochinsel nehmen dürfen, hääte ich hiermit einen Favoriten.
Nigel Slater
Tender - Gemüse
618 Seiten, gebunden, Halbleinen mit Schmuckbanderole
erschienen bei Dumont Verlag
ISBN 978-3-8321-9449-9
Preis: 39,95 €