Ich stelle Euch nach Harald Wohlfahrt gleich noch ein zweites Kochbuch mit hohem Anspruch vor – und zwar eines, das trotzdem völlig anders ist:
Heiko Antoniewicz wird von Kollegen gerne auch mal “der Professor” genannt. Er kocht, das ist klar, aber er analysiert auch gerne und möchte wissen, was für chemische und physikalische Vorgänge beim Kochen stattfinden und wie man sie nutzen kann, um die erwünschten Geschmackserlebnisse zu bekommen. Er tauscht sich dafür nicht nur mit Kollegen aus, sondern schaut auch gerne über den Tellerrand und unterhält sich mit Menschen aus anderen Disziplinen.
Ein Restaurant gibt es da nicht – es gibt Workshops in Europa und Asien – hier und hier habe ich berichtet, Produktentwicklungen und Catering. Und es gibt Bücher. Den Büchern ist gemein, dass sie sich jeweils fundiert mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen – das passt nicht nur gut zum Professoren-Image, sondern ist auch lehrreich und spannend.
Um Umami geht es in vorliegendem Buch. Der Begriff ist inzwischen bekannter als noch vor einigen Jahren – aber was ist das denn genau? Für viele ist das gleichbedeutend mit dem weißen Pulver, das gerne in Chinarestaurants das Essen in andere Sphären hebt und auch Tütensuppen und Instantbrühen aufmöbelt. Und irgendwie kommt der Begriff ja auch daher: es war ein japanischer Chemiker, der aus Seetang kristallines Mononatriumglutamat extrahierte und für eine industrielle Verwendung verfügbar machte. Das passende Wort dazu hat der Chemiker auch gleich erfunden – zusammengesetzt aus den Worten “köstlich” und “Geschmack”.
Das bekannte “China-Restaurant-Syndrom”, das von synthetischem Glutamat herrühren soll, ist übrigens eher eine urban legend. In der physiologischen Auswirkung gibt es tatsächlich keinen Unterschied zwischen künstlich isoliertem und natürlich in Lebensmitteln enthaltenem Glutamat. Der Geschmack allerdings kann mit Lebensmitteln, die von Natur aus Glutamat enthalten, nicht mithalten.
Umami ist also neben süß, salzig, sauer und bitter die fünfte Geschmacksrichtung. Diejenige, die dafür sorgt, dass wir Speisen als besonders schmackhaft empfinden, die andere Geschmäcker hebt und Gerichte vollmundiger schmecken lässt. Und natürlich gibt es Umami nicht nur als weiße Kristalle – viele Lebensmittel, die wir besonders gerne mögen, weisen einen hohen Gehalt an natürlichem Glutamat auf. Getrocknete Pilze, Parmesan, richtig reife Tomaten…und auch die Art der Zubereitung spielt eine Rolle.
Aber ich schweife ab. Was ist Umami und wie setze ich es in meinen Gerichten ein? Darum geht es. Nach einem Vorwort von Nikolai Wojtko und einem spannenden Zwiegespräch zwischen Heiko Antoniewicz und dem Molekularbiologen Michael Podvinec geht es unmittelbar an die Rezepte. Sortiert sind sie in nach ihrem Umami-Gehalt in den Stufen 1 bis 5.
Eins ist logischerweise zurückhaltend – ein Teller mit geprasseltem Kopfsalat, selbstgemachter Kondensmilch, einer Eigelbcreme und Frühlingszwiebeln und fünf natürlich eher stark; da gibt es zum Beispiel Aal-Sellerie-Rindfleischextrakt, ein Gericht aus gegartem Aal, Selleriepüree, einem Sud aus gegrilltem Sellerie, in Mirin mariniertem Staudensellerie, gerösteten Cashews und Bärlauchkapern.
Es geht dabei aber nicht darum, zu zeigen wie man möglichst viel Umami an Gerichte bekommt – es geht um ausgewogene Geschmackserlebnisse, nicht um unstrukturierten Wumms ;-). Und so wird auch gerne zum Ausgleich mit blumigen Aromen gearbeitet. Wenn man Umami-Komponenten richtig einsetzt, kommt man oft mit weniger Salz oder Fett aus – das mögen wir doch alle. Umami geht oft mit Zubereitungen einher, die Zeit brauchen – alles, was reift oder fermentiert, geht mit einem höheren Umami-Gehalt einher.
Umami kommt also einerseits von den verwendeten Produkten – Fischsauce oder verschieden aufbereitete Tomatenrprodukte zum Beispiel. Es kann aber auch mit der Art der Zubereitung einhergehen, und so wird in diesem Buch viel fermentiert oder gedörrt.
Die Rezepte sind nicht gerade das, was man mal eben schnell auf den Tisch bringt – man braucht durchaus Kocherfahrung, Zeit und auch eine gewisse Küchenausstattung: ohne Dörrgerät, Vakumiergerät und Sous-Vide-Becken kommt man nicht sehr weit. Auch die verwendeten Zutaten sind oft eine Herausforderung – Dinge wie Irish Moos, gefriergetrocknete Erbsen oder Japanischen Zierapfel muss man erst einmal finden. Es soll auch nicht verschwiegen werden, dass Heiko Antoniewics durchaus auch selbst entwickelte Produkte verwendet, die es nur bei ihm zu kaufen gibt.
Allerdings finde ich, dass man ja nicht unbedingt systematisch Teller um Teller nachkochen muss – man kann sich gut einzelne Komponenten herauspicken und in sein Essen einbauen. Da gibt es eine Menge reizvoller Ideen wie ein Miso mit Kürbiskernen, fermentierte Senfkörner, eine Umami-Bouillon und viele andere spannende Komponenten. Die Rezepte sind auch sehr übersichtlich strukturiert; für jede Komponente eines Tellers gibt es jeweils einen Absatz, in dem erst die Zutaten gelistet sind gefolgt von der Arbeitsanweisung. Das ist nicht nur praktisch, wenn man das ganze Gericht kochen möchte, sondern man findet auch leicht die Einzelkomponenten.
Spannend ist auch der hintere Teil des Buches: nach dem Rezeptteil gibt es noch eine Menge Grundrezepte und eine Warenkunde, – verschiedene Tomatenzubereitungen und Salzmischungen zum Beispiel, eine Übersicht über Misosorten, oder Vinaigrettes. Abgerundet wird alles durch ein Glossar und einen Artikel von Michael Podvinec über die gesundheitlichen Vorteile von Umami.
Noch einige Worte zur Aufmachung des Buches – es ist großformatig und hochwertig aufgemacht. Zu jedem Teller gibt es ein ganzseitiges Foto; die Foodfotos sind ohne drumherum auf das Wesentliche konzentriert. Die Arbeitsanweisung steht auf der dem Foto gegenüberliegenden Seite, man kann so gut analysieren, was auf dem Teller ist. Das Layout ist übersichtlich und doch abwechslungsreich. Und natürlich gibt es auch ein Lesebändchen.
Einen Teller habe ich nachgekocht: Schweinefilet-Schinken, Apfel, Algen: dafür wird zunächst Schweinefilet über zwei Wochen gepökelt, anschließend sous-vide gegart und schließlich in schäumender Butter gewendet. Dazu gibt es Äpfel, mariniert in Holunderblütenessig, Kakaobohnen und Sichuan-Pfeffer, die mit frittierten Algen bestreut werden außerdem Kirschen und frische Algen, die jeweils in einer Sesamvinaigrette mariniert werden, sowie zwei Saucen: einmal eine konzentrierte Sauce, hergestellt aus Schweinefond, Portwein, Ketjap Manis und Balsamico, sowie eine leichte Sauce aus Sesamvinaigrette und Schweinefond. Das hat nicht nur allen wunderbar geschmeckt (mein Mann war besonders von den Äpfeln angetan), sondern war auch sehr entspannt herzustellen, auch wenn es gedauert hat.
Fazit:
Zugegebenermaßen findet man hier keine Rezepte für jeden Tag. Das ist aber auch nicht notwendig. Das ist für mich ein grundlegendes Buch zum Thema Umami mit vielen Informationen, innovativen Ideen und Inspirationen. Ich werde es sicher noch oft zur Hand nehmen, sei es um nochmals tiefer in das Thema einzusteigen oder um einzelne Komponenten in meiner Küche zu verwenden.
- Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
- Verlag: Tre Torri Verlag
- Sprache: Deutsch
- ISBN: 978-3960330448
- € 49,90