Sehen sie nicht zu hübsch aus, die kleinen Rundhäuser mit den Zipfelmützen? Dann kommt mal mit, wir sehen uns die genauer an. Ich stelle Euch heute nämlich einen ganz besonderen kulinarischen Reiseführer vor.
Stephan Winkler ist Historiker. Die Liebe zu Apulien hat ihn schon in jungen Jahren gepackt und so reist er bereits seit 1979 immer wieder dorthin. Auch beruflich hat er sich auf die apulische Geschichte spezialisiert, zudem hat er eine Kleinkellerei ins Leben gerufen und viele apulische Abende in seiner Schweizer Heimat veranstaltet. Man merkt, ihn fasziniert nicht nur die Geschichte, sondern auch die Esskultur in Apulien.
Ich habe eine Lieblingssendung, bei der ich mich bemühe, keine Folge zu verpassen. Gerne schaue ich mir auch die x-te Wiederholung an. Das ist “Zu Tisch” auf Arte. Es werden Familien in unterschiedlichen Ländern besucht, man begleitet sie durch ihren Alltag und erfährt was sie auf den Tisch bringen. So ähnlich funktioniert auch dieses Buch. Stefan Schwarz reist mit uns, ausgehend von Monopoli ausgehend durch das Valle d’Itria, das ist die Hochebene in der die Zipfelmützenhäuser stehen. Er besucht Bauern, Gastronomen, Hausfrauen, sogar ein Archäologe ist dabei. Wir erfahren viel über die Menschen, die Landschaft, die Geschichte und Esskultur. Und natürlich steuert jeder Besuchte Rezepte bei, die für das jeweilige Kapitel typisch sind.
Jetzt aber zu den Einzelheiten: die Reise startet am Meer; Meeresschätze und Strandkönige ist das Kapitel überschrieben. Danach geht zu Olivenhainen, wir reisen in die Vergangenheit, erfahren was Pferde und Eselsmilch mit Jazz zu tun haben, lernen Osterbräuche und Pfingsttraditionen kennen. So geht es weiter, bis wir am Ende in einer Masseria, einen alten Landgut Station machen. In jedem Kapitel wird eine Person besucht, die Interessantes zu erzählen hat, es werden typische Produkte vorgestellt und natürlich auch die passenden Rezepte. Im Anhang gibt es außerdem noch Reiseinfos für die vorgestellten Regionen, ein Ortsregister und ein nach Zutaten geordnetes Rezeptregister.
Ich greife als Beispiel ein Kapitel heraus. “Ein Meer von Olivenbäumen” erzählt von der Geschichte des Olivenanbaus. Zudem habe ich zu meinem Erstaunen gelesen, dass es auch in Apulien Dolmen gibt. Besucht wird Isabella Zaccharia-Laneve, die für uns kocht: gefüllte Auberginen, Auberginen mit Knoblauch und überbackene Zucchini. Frische Feigen gibt es zum Nachtisch und auch erfahre ich neues – Feigen ist nicht gleich Feige, es gibt Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Ernte.
Die Rezepte machen Spaß: es ist eine geradlinige, einfache Küche. Verarbeitet werden regionale Produkte, gerne aus Selbstversorgung. Beispiele? Da gibt es Pilzhüte, gefüllt mit Paniermehl und Pecorino, in Zitrone marinierte Aubergine, Pasta mit Mies- und Venusmuscheln oder Fleischvögel mit Pferdefleisch. Gegen Ende des Buches werden sogar Wurst und Käse gemacht. Technisch sind die Rezepte problemlos nachzukochen – die Grenze stellen manchmal verwendete regionale Produkte wie zum Beispiel eine ganz bestimmte Schneckenart oder Lampasconi, die Zwiebeln der Traubenhyazinthe, dar.
Und die Optik? das Buch ist ein solide gemachtes Hardcover mit Fadenbindung. Es gibt sehr viele Fotos, die das apulische Lebensgefühl zu uns tragen: Landschaften, Menschen, Lebensmittel – und natürlich die gekochten Gerichte. Es ist eine Mischung aus Farb- und Schwarzweiß-Fotos. Die Gerichte sind immer farbig, die vorgestellten Personen und auch manche landschaftliche Impression sind in Schwarzweiß gehalten. Ich mag diese Konzentration auf das Wesentliche. Was die Food-Fotos angeht, wurde kein aufwendiges Styling betrieben – die Menschen haben gekocht, die Ergebnisse wurden fotografiert. Das ist natürlich und appetitlich. Daneben gibt es zu den Rezepten noch kleine Step-by-Step-Fotos, auch in Schwarzweiß.
Cartellata sind eine typische Weihnachtsspezialität: ein mit Olivenöl und Weißwein angereicherter Teig wird ganz dünn ausgerollt, in Streifen geschnitten, die Streifen werden stellenweise zusammengedrückt, zu Rosetten gewickelt und frittiert. Der Teig ist relativ neutral, die Süße kommt vom Honig, mit dem das Ganze nappiert wird.
Nochmal Gebäck, Entschuldigung. Aber Taralli wollte ich schon so lange backen – genaugenommen, seit ich sie hier bei Eva gesehen habe. Naja, es kommt ja gerne mal was dazwischen. Aber jetzt – Taralli bestehen aus einem recht einfachen Teig, der Olivenöl und Weisswein als Flüssigkeit verwendet. Im Buch gibt es eine mürbe Version, in der die Kringel im Ofen gebacken werden und eine knusprige, für die sie erst in Salzwasser gekocht und dann gebacken werden. Beide Sorten kommen ohne Triebmittel aus – und ich habe beide probiert. Hinten im Bild seht Ihr meinen Favoriten, die krossen Taralli, die ich zusätzlich mit Kräutern aromatisiert habe.
Die überbackenen Zucchini sind denbar einfach – mit Semmelbröseln und Parmesan bestreut, Olivenöl und ein wenig Wasser dazu, ab in den Ofen. Einfach und gut.
Orecchiette mag ich sehr gern, am Selbermachen hat es aber bisher immer gehapert. Jetzt nicht mehr – endlich eine funktionierende Anleitung :-)
Lamm aus dem Ofen – eine einfache, aber köstliche Angelegenheit: Stücke vom Lamm werden mit Kartoffeln und Tomaten im Ofen gegart und am Ende noch mit einer Mischung aus Semmelbröseln und Pecorino überbacken.
Fazit? Ich würde mir mir mehr solche Bücher wünschen, die nicht nur Rezepte präsentieren, sondern auch geschichtliche Hintergründe, Traditionen und Menschen vorstellen. Das Buch nimmt uns mit durch eine touristisch wenig erschlossene Region Apuliens und wenn man es gelesen hat, dann möchte man auch hinfahren. Die Mischung aus Geschichten und Rezepten und die atmosphärischen Fotos machen das Buch zu einem Kleinod – nicht nur für Apulien-Fans.
- Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
- Verlag: Werd Weber Verlag; Auflage: 1
- Sprache: Deutsch
- ISBN: 978-3859326477
- € 49,00