Heute in der Rubrik "Dinge, die mir kein Begriff sind": dieses "Heimatgefühl" von dem immer alle sprechen. Vor fast drei Jahren haben mein Freund und ich den Entschluss gefasst, gemeinsam nach Berlin zu ziehen. Für uns beide stand schon lange fest, dass wir Koblenz verlassen und irgendwo anders ein neues Leben anfangen würden. Vielleicht stand damals noch nicht ganz so fest, dass wir das gemeinsam tun würden, aber dazu ein anderes Mal mehr. Wir wussten eigentlich beide nicht, wohin es gehen würde, notfalls einfach dorthin, wo man beruflich oder studientechnisch angenommen wird. Den letztendlichen Startschuss für die ganze Organisation, Planung und Aufregung gab dann aber doch meine Mutter: sie eröffnete mir, dass, pünktlich zu meinem Schulabschluss, ihr bester Freund aus seiner Eigentumswohnung in Berlin ausziehen wird, da er sich nun ein Häuschen am Stadtrand gebaut hat. Es war wie ein Zeichen, wie ein Schubs in die richtige Richtung, ein blinkender Leuchtpfeil mit der Aufschrift "Der richige Weg".
Als Kind fuhr ich einmal auf dem Weg nach Rügen quer durch Berlin. Ich las "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" und sah Reportagen, die wohl jedes Kind neugierig auf diese wahnsinnige Stadt machen würden. Ich wollte immer nach Berlin, verwarf das Ganze aber ziemlich schnell wieder, denn es schien mir absolut realitätsfern, irgendwann dort landen zu dürfen.
Es wurde also schlussendlich doch absolut real und einmal hier angekommen, stand für uns fest, dass es zu 200% die richtige Entscheidung war. Die 600 Kilometer Entfernung nachhause stört uns auch heute in keinster Weise. Die Freiheit und Anonymität, die mit einer so großen Stadt zusammenhängen, sind einfach unvergleichlich und erfüllen mich ganz und gar. Berlin ist verrückt, Berlin ist vielseitig, Berlin ist lebendig und interessant - also ganz einfach genau das Gegenteil zu unserer Heimatstadt. Mit Koblenz habe ich ganz einfach abgeschlossen. Außerdem sollte erwähnt werden, dass ich zwar kein großartiger Party-Gänger bin, aber selbst wenn einen die Lust darauf packt, findet man die besten Parties ganz sicher nicht in Koblenz und auch auf die zweitbesten Parties wartet man in Koblenz etwa so lange wie auf den nächsten Bus. Vielleicht sind meine Erwartungen zu hoch, vielleicht bin ich verwöhnt durch die Großstadt, vielleicht bin ich grundsätzlich zu schnell gelangweilt. Mittlerweile läuft es so, dass wir höchstens zu Ostern, im Sommer und an Weihnachten nach Koblenz fahren und in diesem Jahr wird es zum ersten Mal vielleicht doch nur Sommer, denn prinzipiell würden wir Weihnachten gerne zum ersten Mal alleine feiern, aber ob das familientechnisch bezüglich diverser Erwartungen durchsetzbar ist, das bleibt abzuwarten. Jedenfalls sage ich gerne, dass ich zu diesen Terminen "nachhause" fahre, aber ganz ehrlich: das trifft es eigentlich nicht. Ich fahre nach Koblenz, ich fahre zu meinen geliebten Brüdern, meiner Mutter und unseren Tieren. Es ist vielleicht realistisch betrachtet meine Heimat, aber wenn ich an diese sogenannte "Heimat" denke, dann ist da eigentlich kaum etwas Positives. Zu viele negative Erlebnisse, zu viel Schmerz, zu viele Tränen, zu viele Erinnerungen und zu viel Vergangenheit. Natürlich gibt es noch ein paar übrig gebliebene Menschen dort, die sich auch nach unserem Umzug noch mehr oder minder regelmäßig dazu berufen sehen, sich bei uns zu melden, aber es ist eben überwiegend ganz einfach nicht mehr diese Freundschaft von damals. Das ist auch mit ein Grund dafür, dass die Freundschaft an sich mittlerweile nicht mehr den gleichen Stellenwert genießt. Zu viele Enttäuschungen, zu viele Menschen, die einem den Rücken zugewendet haben, zu viele Missverständnisse und Verletzungen.
Das ist es also, was ich gebraucht habe, was ich mir immer gewünscht habe. Für mich ist es ganz einfach mehr als ein riesengroßes Glück, dass ich mit diesem großartigen Mann in dieser großartigen Stadt sein und mit ihm ein großartiges gemeinsames Leben aufbauen darf. Jeder einzelne Tag in dieser Stadt macht mich glücklicher als ich es mir hätte erträumen können. Wir gehen durch wunderbare Höhen und auslaugende Tiefen, die aber schnell gemeistert werden können und hinterher einfach ein Teil von uns sind. Ein Stück des Weges, der durch unser gemeinsames Leben führt, der uns stark macht und uns darauf vorbereitet, was noch alles passieren könnte. Ich bin mir sicher, dass wir nicht für immer in Berlin bleiben werden, aber für den Moment und die nächsten Jahre ist es einfach das Richtige und es tut wirklich gut, so etwas mit Gewissheit sagen zu können.