Knöpfle mit getrockneten Tomaten in Knoblauch-Sahne aus Tim Mälzers Greenbox

Von Nokitchenforoldmen

"VEGETARISCH? Ist das dein Ernst, Küchenbulle?"


///Jim
Eine Kochbuchrezension von Tim Mälzers Greenbox.


Wenn Tim Mälzer ein neues Kochbuch auf den Markt schmeißt ist ihm meine ungeteilte Aufmerksamkeit gewiss. Es ist kein Geheimnis, dass ich ein großer Freund seiner Küche bin und sein Erstlingswerk Born to Cook mein erstes eigenes Kochbuch war. Enttäuschungen habe ich seitdem mit seinen Büchern noch nicht erlebt und war im vergangenen Herbst somit hocherfreut, dass es neues vom Küchenbullen gibt. Ein Besuch in seiner Bullerei im vergangenen Jahr und das Vernaschen des besten Steaks ever ließen die Erwartungen an dieses Buch natürlich nochmal um einiges steigen.
Und dann erfuhr ich Titel und Inhalt des Buches: Greenbox, ein vegetarisches Kochbuch. VEGETARISCH? Ist das dein Ernst, Küchenbulle? Ist es nicht schlimm genug, dass ich mich bei George ständig mit diesem Thema auseinandersetzen muss? Fängst du jetzt auch noch mit diesem Mist an?
Nachdem der erste Schock verflogen war sagte ich mir: "Jim, du musst sachlich bleiben und der ganzen Sache eine Chance geben. Immerhin ist es vom Mälzer. Geschmacksvielfalt schreibt er. Vielleicht ist es ja doch was für dich." Es gibt nur einen Weg herauszufinden, ob das Buch wirklich so schlimm ist, wie das Thema vermuten lässt. Es muss auf Herz und Nieren geprüft werden - wenn man das bei einem vegetarischen Kochbuch überhaupt darf. Nur gut, dass es für eine solche Prüfung eine vernünftige Grundlage gibt: die Bewertungskategorien der No Kitchen For Old Men:
Rezepte - ★★★★★★☆ "Kein Fleisch - keine Sterne!" scheint mir ein plausibler, aber auch sehr unfairer Wahlspruch für diese Kategorie zu sein, weswegen ich mir doch das ein oder andere Rezept mal etwas genauer angeschaut habe. Die Vielfalt der Rezepte in Mälzers Greenbox ist recht groß. Asiatische Rezepte findet man ebenso wie Mediterranes, klassisch Deutsches und eine Mischung aus alldem. Basisrezepte für Brühen und Soßen sind ebenso vorhanden wie Rezepte für kleine Snacks, schnelle Gerichte und Rezepte zum Angeben - oder wie würdet ihr ein Rezept für einen Griechischen Salat mit Gurken "sous-vide" bezeichnen? Aber man findet zudem auch den Burger mit dem passenden Rezept für selbstgemachten Ketchup. Ich weiss garnicht, was ich alles aufzählen soll, weil die Vielfalt einfach sehr groß ist und es zudem schwierig ist die Rezepte in Schubladen zu stecken. Was die meisten gemeinsam haben ist ihre Gradlinigkeit und der Verzicht auf Schnick-Schnack, wodurch eine Alltagstauglichkeit durchaus gegeben ist. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Tatsache, dass man nicht versucht hat Fleischrezepte zu vegetarisieren, indem man zwanghaft versucht das Fleisch durch vegetarische Ersatzprodukte welcher Art auch immer zu ersetzen. Sehr gelungen. 
Fotos - ★★★★★★☆ Die Fotos stammen von Matthias Haupt, der auch schon für Mälzer & Witzigmann fotografierte. Im Foodstyling wurde er unterstützt von Tim Mälzer, Marcel Stut, Stevan Paul und Felix Cordes.
Fotos zu jedem Rezept? Check! Appetitmachende Fotos? Check! Gute Fotoqualität? Check! Es gibt zu diesen Themen einfach wenig zu sagen. Die Fotos sind sehr schön und machen Lust auf das Essen, ohne das irgendwelche überraschenden Dinge passieren. Besonders gut gefällt mir, dass es bei vielen Rezepten nicht nur bei einem Foto bleibt, sondern auch Bilder von Zutaten und Arbeitsschritten Verwendung finden. Kleine Fotos von Tim und seiner Crew, von schön gedeckten Tischen und Impressionen aus Mallorca, wo das Buch entstanden ist, runden das Buch gekonnt ab. 
Übersichtlichkeit - ★★★★★☆☆ Der gewohnte Stil aus den neueren Mälzerbüchern wurde beibehalten, wodurchman sich gleich zurechtfindet. Die Rezepte sind übersichtlich gestaltet. Das Rezeptregister ist...nunja, das Rezeptregister gibt es garnicht mehr wirklich, sondern ein Sammelsurium von Kategorisierungsversuchen. Die Rezepte werden zum einen nach dem Alphabet sortiert, zusätzlich noch nach den Hauptdarstellern, also Apfel, Blumenkohl, Kartoffel etc. Beides sehr sinnvoll. Ein drittes Register sortiert nach Saison, wobei nahezu ebenso viele Rezepte in der Kategorie Rund ums Jahr sind, wie in den Jahreszeitenkategorien zusammen. Ein Register Einfach beinhaltet alle Rezepte für Kochanfänger, das Register Schnell sortiert nach Zubereitungszeit mit den Unterkategorien 10, 15, 20, 25 und 30 Minuten. Ich bezweifle an dieser Stelle mal, dass es diese feine Untergleiderung braucht, da der Unterschied zwischen einem Rezept aus Kategorie 20 und 25 nicht greifbar ist und in der Kochrealität sowieso anders aussieht. Zwei Kategorien hättens vielleicht auch getan. Wer glaubt, dass ich mit den Registern durch bin irrt. Zum Abschluss unterscheidet das Register Gäste die Rezepte danach, ob sie eher für eine Party oder ein Menü taugen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass man sich durch verschiedene Register gut zurechtfinden kann und man findet wieder, was man einmal gesehen hat. Ob es dafür tatsächlich sechs verschiedene Register braucht bezweifel ich. Ich glaube sogar, dass hierdurch ein unnützes Kuddelmuddel geschaffen wird, dass den Leser eher überfordert, als dass es ihm hilft. Ich kann mir aber gut vorstellen woher die Problematik rührt. Die Rezepte lassen sich einfah schlecht in bekannte Kochbuchkapitelschubladen stecken. Eine Unterscheidung nach Fleischsorten fällt weg, eine Unterteilung nach Gemüsesorten, wie wir es von Slater kennen wäre denkbar gewesen, hätte aber vielleicht das Konzept des Buches verändert. Und dieses Konzept ist einfach schlecht kategorisierbar, was auch schon das Inhaltsverzeichnis zeigt. Greenbox ist das einzige Kochbuch das ich kenne, indem das Inhaltsverzeichnis keine Unterteilung in Kapitel vornimmt. Man findet die Rezepte auf den Seiten 16-255, sagt es. Und so läuft das wohl, wenn man entscheidet, dass man ein vegetraisches Kochbuch machen will, mit fünf bis sieben Leuten nach Malle fliegt, sich einen Container Gemüse in die Küche stellt und losgeht. Dagegen ist auch nichts zu sagen und das Ergebnis spricht für sich. Ich finde es auch nur konsequent die Rezepte nicht in irgendwelche künstlich erzeugten Kapitel zu stopfen. Warum man bei den Registern nicht ähnlich konsequent war erschließt sich mir leider nicht. 
Persönlichkeit - ★★★★★☆☆
Dieses eben erwähnte mögliche Konzept des Buches strotzt nur so von dem, was wir hier gern als Persönlichkeit bezeichnen. Eine Gruppe von Freunden und Fremden macht sich auf, um ein vegetarisches Kochbuch zu kreieren. Ich kann mir gut vorstellen, wie es auf dieser Finka zugegangen sein muss und wie man die Kreativität und den Geschmack förmlich spüren konnte. Kleine Ergänzungen, Sprüche und Fotos bei den jeweiligen Rezepten bringen ein wenig dieser Atmosphäre in das Buch. Trotzdem denke ich, dass man dieses Miteinander und das gemeinsame Entwickeln von Rezepten und Ideen mehr hätte thematisieren können, um das Buch noch ein wenig einzigartiger zu machen und ihm eine große Persönlichkeit mitzugeben. Im Buch ist oft die Rede davon, dass Kochen auch Ausprobieren ist und man sich nicht strikt an die Rezepte halten soll. Diese Idee hätte man ruhig etwas mutiger umsetzen können und zumindest einen kleinen Schritt weiter weg vom klassichen Kochbuch machen können, wie es beispielsweise ein Nigel Slater mit Tender getan hat. Ich bin sicher viele Hobbyköche würden durch die "Teilnahme" am kreativen Entstehungsprozess mehr mitnehmen, als durch das Studieren der endgültigen Rezepte. Die Grundvorraussetzung mit einem tollen Team, einer super Location und einer guten Idee war durchaus gegeben, um mal etwas anderes auf Papier zu bringen als lediglich ein Buch voller Rezepte. Ich hätte auf jeden Fall gern Mäuschen gespielt bei der Entstehung des Buches. 
Bei einem Kochbuchtest muss natürlich auch gekocht werden. Vier, fünf Gerichte aus dem Buch habe ich bereits ausprobiert. Eines möchte ich euch an dieser Stelle vorstellen. 

Knöpfle mit getrockneten Tomaten in Knoblauch-Sahne
Zutaten:
2 Scheiben Toastbrot ohne Rinde
40g Butter
3 Eier (M)
Salz
175g Mehl
75ml kohlensäurehaltiges Mineralwasser
Muskatnuss
4 getrocknete Soft-Tomaten
1/2 Bund Schnittlauch
1 Knoblauchzehe
75g Schlagsahne
schwarzer Pfeffer aus der Mühle
Zitronensaft
Zubereitungszeit: 35 Minuten
1. Toastbrot sehr fein würfeln und in einer Pfanne in 10g Butter goldbraun rösten. Eier in einer großen Schüssel verquirlen, salzen. Mehl und Mineralwasser zufügen und mindestens 5 Minuten kräftig mit einem Kochlöffel zu einem glatten Teig verschlagen, bis dieser Blasen wirft. Mit etwas geriebener Muskatnuss würzen.
2. Die getrockneten Tomaten fein würfeln. Schnittlauch in Röllchen schneiden, beides unter den Teig rühren. Reichlich Salzwasser in einem großen Topf aufkochen. Vom Teig mithilfe eines Teelöffels kleine Nocken abstechen und mit dem Daumen über den Löffelrand direkt ins kochende Wasser geben. Die Nocken in siedendem Wasser 5 Minuten garen.
3. Knoblauch schälen und fein hacken. Sahne steif schlagen. Die übrige Butter in einer Pfanne leicht bräunen lassen. Nocken mit einer Schaumkelle aus dem Kochwasser nehmen, abtropfen lassen und heiß zur Butter geben. 2-3 Minuten braten, dann den Knoblauch zugeben und nochmals 2-3 Minuten braten. Sahne zugeben und mit Salz, Pfeffer und einem Spritzer Zitronensaft würzen und sofort servieren.
Varianten: Statt mit Knoblauch-Sahne schmecken die Knöpfle auch sehr gut in einer Sauce aus 2 EL Mascarpone, die mit 2 EL Wasser und 50g Gorgonzola verrührt und aufgekocht werden.
Die Knöpfle können auch mit Gruyère, Raclettekäse oder Parmesan im Ofen überbacken werden. Zu Endiviensalat servieren!
Ohne die Brotwürfel, die Tomaten und den Schnittlauch ist der Teig ein Grundrezept für klassische Spätzle oder Knöpfle. Dafür den Teig einfach mit der Spätzlepresse, dem Spätzlehobel oder mit der Kartoffelpresse portionsweise in reichlich kochendes Salzwasser drücken, schaben oder reiben und 5 Minuten garen lassen. Geübte Schwaben schaben den Teig natürlich frisch vom Holzbrett!
Quelle: Tim Mälzer, Greenbox, Mosaik Verlag, 2012, S. 54f.
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Praxistest - ★★★★★☆☆
Wie bereits erwähnt habe ich mehr als ein Rezept für diese Rezension aus der Greenbox nachgekocht, weshalb ich an dieser Stelle etwas differenzieren muss. Die oben beschriebenen Knöpfle waren grandios gut und ein Rezept genau nach meinem Geschmack. Ein klassisches Gericht wurde hier etwas aufgepimpt, ohne dabei über die Grenzen des Ertragbaren hinauszuschießen. Es ist absolut alltagstauglich, weil schnell und ohne großen Aufwand auf den Tisch gebracht. Ein kleiner Feheler steckt glaube ich im Rezept. Die Brotwürfel werden im Rezept lediglich gewürfelt und angeröstet und nicht weiter erwähnt. Ich habe sie mal in den Teig gegeben und das war gut so.
Ein weiteres tolles Gericht war ein Strudel aus Nudelteig, gefüllt mit Wirsing und im Ofen überbacken. Ich hatte etwas mit dem Nudelteig zu kämpfen, aber dafür kann Mälzer sicher nichts. Auch hier hätte es sicher sechs Sterne für gegeben.
Dann gab es aber leider auch zwei Versuche die...so naja waren. Zwei hessische Klassiker (bei denen ich ja sehr penibel sein kann) versuchte er etwas zu verändern. Die Grüne Soße wollte Mälzer warm servieren, indem er die Kräuter in einer Bechamelsauce pürierte. Gute Idee, wirklich überzeugen kann mich das aber nicht, was auch daran liegen kann, dass ich kein großer Bechamelfan bin. Weiter nahm er sich dem Handkäs mit Musik an, den er lauwarm auf Buillonkartoffeln serviert. Auch hier gefällt mir die Idee recht gut. Im lauwarmen Zustand werden der Handkäs und ich allerdings keine großen Freunde. Mein Käse war sehr reif und ist daher schnell verlaufen. Vielleicht klappt es mit halbreifem Harzer Roller besser. Die Marinade zum Käse war hingegen sehr gut und die Kartoffeln dazu auch mal eine Abwechslung zu Handkäs mit Brot.
Zusammenfassend erhalten wir folgendes, subjektives Ergebnis:
Gesamtwertung - ★★★★★(☆)
Wenn es so viel über ein Kochbuch zu sagen gibt, wie über Mälzers Greenbox, ist das tendenziell eine gute Sache, glaube ich. Ich hatte anfangs wirklich Probleme mit dem Buch warmzuwerden. Lange Zeit lag es in einer Ecke des Zimmers und wurde nur von vegetarischen Freunden mit freudestrahlenden Augen gewürdigt. Bei mir dauerte es ein paar Rezepte, bis Mälzer mich überzeugt hatte. Einige Rezepte in diesem Buch werden sicher nie mein Geschmack werden, andere sind dafür gransios gut (siehe Knöpfle). Die Aufamchung des Buches, die Idee und die fotografische Umsetzung sind wirklich toll. Für meinen Geschmack orientiert man sich mit diesem Buch aber leider zu sehr an Kochanfängern und bleibt mit der inhaltlichen Umsetzung sehr nahe beim klassichen Kochbuch. Das ist sehr gut gelungen und überzeugt jeden Veggieneuling, da bin ich mir sicher.
Ein Buch für den geübten Hobbykoch, den man mittlerweile in vielen Haushalten unserer Landes findet hätte eine etwas andere Herangehensweise sicher auch gefallen. Mehr Einblicke in kreative Entstehungsprozesse, gerade wenn es um das kochbuchtechnisch bisher eher stiefmütterlich behandelte Feld des Vegetarismus geht, wären wünschenswert gewesen und man hat hier ein wenig versäumt das Potential der Situation und dieser kreativen Köpfe voll auszunutzen und mal einen Schritt weiter zu gehen, als es der Großteil aller Kochbücher in den Regalen vieler Läden tut.

Tim Mälzer
Greenbox - 
Tim Mälzers grüne Küche

272 Seiten, mit ca. 300 farbigen Abbildungen erschienen bei Mosaik Verlag ISBN 978-3-442-39243-8
19,99 €