In jüngerer Zeit waren in einem Forum Fragen nach der Bedeutung des Vinaya im Zen aufgekommen. Aus diesem Anlass fasse ich Kapitel VII über die „institutionelle Geschichte des frühen Ch’an“ aus der Dissertation von T. Griffith Foulk zusammen, die den Titel trägt: The Ch’an School and its Place in the Buddhist Monastic Tradition (University of Michigan 1987). Der Einfachheit halber verzichte ich auf den durchgängigen Konjunktiv, auch wenn ich Foulks Erkenntnisse wiedergebe.
Die Forschung zu Klöstern des Chan in der Tang-Zeit (618-907) konzentrierte sich auf drei Punkte: 1) die Frage nach frühen Klosterregeln (ch’ing-kuei), besonders dem so genannten „Pai-chang Kodex“ (Pai-chang ch’ing-kuei); 2) die Frage nach dem institutionellen Umfeld der Chan-Mönche vor der Zeit Pai-changs; 3) die Frage nach gemeinschaftlicher körperlicher Arbeit (p’u-ch’ing tso-wu) im frühen Kloster-Chan und der behaupteten ökonomischen Unabhängigkeit der Chan-Schule von traditionellem Gönnertum. Foulk weist nach, dass die Studien zu frühen klösterlichen Einrichtungen im Chan die Existenz von gesonderten Chan-Institutionen in der Tang-Zeit eher spekulativ annahmen als beweisen konnten.
Frühe Klosterregeln im Chan
Der älteste erhaltene Text mit „reinen Regeln“ (ch’ing-kuei)ist das Ch’an-yüan ch’ing-kuei, das 1103 zusammengestellt wurde. Laut der Überlieferung im Ch’an-men kuei-shih und in nachfolgenden Texten aus der Sung- und Yüan-Zeit sollen die ersten Klosterregeln jedoch etwa dreihundert Jahre früher von Pai-chang formuliert worden sein. Die genannte Schrift behauptet freilich nicht, dass Pai-chang selbst einen solchen Kloster-Kodex (ch’ing-kuei)verfasst hätte. Erst in der südlichen Sung-Zeit (1127-1280) findet man Hinweise auf ein Regelwerk mit dem Titel „Pai-chang Kodex“ (Pai-chang ch’ing-kuei), das von diesem Pai-chang stammen soll. Die Autoren Ui Hakuju, Ôkubo Dôshû, Ôishi Shuyû und Kondô Ryôichi vertraten die Ansicht, dass Pai-chang ein solches Werk verfasst hatte und dieses bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts überlebte, weswegen sogar Dôgen es gesichtet haben könnte. Die Autoren Kagamishima Genryû, Imaeda Aishin, Kosaka Kiyû, Yanagida Seizan und Harada Kôdô halten einen Kodex von Pai-chang für wahrscheinlich, glauben jedoch, dass er 988, 1004 oder 1103 verloren ging. Okimoto Katsumi hält das Ch’an-men kuei-shi selbst für den Pai-chang Kodex. In späteren Artikeln bezweifeln Kimura Shizuo und Kondô Ryôichi, dass dieser Kodex je existierte, halten aber Pai-chang für einen innovativen Regler des Klosterlebens, dessen Gedanken nur mündlich tradiert worden seien. Martin Collcutt bezweifelt sowohl den Kodex als auch Pai-changs Rolle als Innovator, vielmehr habe es wohl schon vor dessen Zeit Chan-Regeln gegeben, denen man bei ihrer Ausarbeitung einfach seinen Namen beigab. Bei all diesen Unterschieden glauben alle Autoren, dass spätestens mit Beginn des neunten Jahrhunderts die Chan-Schule ihre eigenen Klosterregeln hatte.
Bei der Frage nach den frühen Klosterregeln des Chan gibt es zwei Annäherungsweisen. Foulk kritisiert die eine, nach der man sich auf die Regeln im Ch’an-men kuei-shi und verwandten Sung-Quellen verließ, da in der Sung-Zeit die Chronologie und Objektivität der Ereignisse durch das Bemühen verfälscht wurden, die Chan-Tradition als unabhängigen und orthodoxen Vermittler des Buddha-Dharma zu etablieren. Der zweite Ansatz, vertreten von Kagamishima, Kosaka, Kondô und Harada, sucht nach Überbleibseln des „alten Pai-chang Kodex“ (der um das Jahr 800 formuliert worden sein soll) im Ch’an-yüan ch’ing-kuei von 1103. Um diese Spuren herauszuarbeiten, werden besonders die sozialen und ökonomischen Einflüsse der späteren nördlichen Sung erhoben. Dieser spekulative Ansatz hat den Nachteil, dass er auf Vorurteilen gegenüber dem frühen Kloster-Chan fußt. Man nimmt dabei an, dass zu Zeiten des alten Kodex das Klosterleben einfacher und ärmer war und sich im Lauf der Zeit eine zunehmende Säkularisierung breit machte, bei der die Abhängigkeit von kommerziellen Unterfangen wie der Landverpachtung und Getreideproduktion wie auch der Zeremonien für Patrone eine Rolle spielten. Diese Entwicklung des Chan zwischen dem 12. und 14. Jhd. werde laut Foulk jedoch rückprojiziert auf die Zeit zwischen dem 9. und 12. Jhd. Außerdem könne die bloße Zusammenfassung von Regeln wie im alten Kodex des Ch’an-men kuei-shih nicht mit dem kompletten Regelsatz des Ch’an-yüan ch’ing-kuei verglichen werden, und auch der Annahme eines Sittenverfalls in Klöstern im Gefolge des letztgenannten Kodex entbehrt es der korrekten Vergleichbarkeit, da die Texte sich auf verschiedene Umstände und Klöster beziehen.
Foulk sieht das eigentliche Problem moderner Historiker darin, dass sie fälschlich annehmen, die frühe Chan-Schule hätte sich als Sekte in klarer Abgrenzung zu anderen konstituieren wollen (und hernach auch schon bald ein entsprechendes Regelwerk erzeugt). Tatsächlich sei anzunehmen, dass es keine besonderen Chan-Institutionen gab, und viele Elemente im Ch’an-yüan ch’ing-kuei weisen tatsächlich auf frühere Klosterformen hin, die nicht typisch für Chan sind.
Die „anti-institutionelle“ Haltung der Bodhidharma-Schule
Traditionell galten die Chan-Meister der Lankâvatâra-Schule (Leng-chia tsung) der zwei, drei Generationen nach Bodhidharma als Wanderasketen, die zurückgezogen Meditation praktizierten und nichts auf Gelehrtentum, Zeremonien und die Unterstützung durch Laien gaben. Ui Hakuju vertritt die These, dass zwar einige frühe Chan-Meister Lehrer in Klöstern waren, jedoch Schlüsselfiguren wie Hui-k’o (487-593) als Einsiedler und Asketen (zudagyôsha)lebten. Auch Yanagida bezeichnet Bodhidharma und seine Gefolgschaft als Übende der Enthaltsamkeit (zuda, t’ou-t’o), die in den Bergen lebten und den „Tempelbuddhismus“ des nördlichen China ablehnten. Dabei beriefen sich diese und andere Buddhologen meist auf Tao-hsüans Hsü kao-seng chuan und andere „Überlieferungen der Lampe“ wie das Ch’uan fa-pao chi und das Leng-chia shih-tzu, auf deren Grundlage sie jedoch Tao-hsüans Werk rückwirkend interpretierten. Denn dieses spricht noch von keiner Chan-Linie, die von Bodhidharma ausging, und verbindet auch den vierten und fünften Patriarchen, Tao-hsin und Hung-jen, nicht mit Bodhidharma. Es spricht nur von dhyâna-Übenden (hsi-ch’an) im Umfeld Bodhidharmas und Hui-kos, die sich auf Gunabhadras Übersetzung des Lankâvatâra-Sutra stützten.
Foulk hält die These, dass das Eremitenleben der beiden etwas Besonderes war, für falsch, da Tao-hsüan etliche andere Übende (z.B. Chih-i) ebenfalls als Einsiedler beschreibt. Man gewinnt bei ihm den Eindruck einer großen Flexibilität des Mönchslebens, dass von Zurückgezogenheit bis zum Leben in Klöstern und der Inanspruchnahme von finanzieller Unterstützung reichte. Für Tao-hsüan sind Eremiten wie Priester gleichfalls „herausragende Mönche“ (kao-seng). Bei Bodhidharma und Hui-k’o handelte es sich für ihn um Mitglieder einer Gruppe, die die Meditation dem Vinaya- und Schriftstudium vorzog. Im sechsten und siebten Jahrhundert nahmen dhyâna-Meister Laien wie Mönche als Schüler an, gründeten Meditationseinrichtungen (ch’an-shih, ch’an-fang, ch’an-t’ang) in Klöstern und führten öffentliche Debatten. Viele von ihnen wollten auch Vinaya-Regeln in die Praxis umsetzen. Tao-hsüan spricht von dhûta im Sinne der asketischen Praktiken im frühen Buddhismus, z. B. dem Einnehmen nur einer Mahlzeit pro Tag, dem ständigen Sitzen ohne Hinlegen, dem Verwenden von Lumpen für Roben, dem Erbetteln von Nahrung usw. Diese frühen Chan-Buddhisten rebellierten also nicht gegen die indische buddhistische Tradition, sondern banden sie wahlweise dank der ins Chinesische übersetzten Materialen zum Vinaya in ihren Lebensalltag ein (eremitische oder zönobitische – gemeinschaftliche – Lebensweise), wobei im China dieser Zeit das Eremitenideal als das höhere galt.
Die Gemeinschaften vom Ostberg
Buddhologen sind sich nicht einig, wann die Chan-Schule ihre ersten unabhängigen Klöster schuf. Yanagida und Okimoto etwa glauben, dass sie zuerst von Nachfolgern Ma-tsus, besonders Pai-chang, eingeführt wurden. Ui Hakuju und andere halten die so genannten Klöster des Ostberges der vierten und fünften Generation in der Chan-Linie (Tao-hsin und Hung-jen) für die ersten typischen Chan-Klöster. Laut Ui haben die Wandermönche begonnen, sich niederzulassen, wenn auch noch abseits der Städte, zunächst auf den Bergen Shuang-fen (auch P’o-t’ou) und Feng-mu im Bezirk Huang-mei (heutiges Hupeh). Ui schloss von der hohen Anzahl der Mönche auf einen Selbstversorgerstatus der Gemeinschaften auf dem Ostberg. Neben dieser Notwendigkeit sei die körperliche Arbeit (p’u-ch’ing) jedoch auch Teil der neuen Doktrin, nach der die buddhistische Übung keiner speziellen Rituale bedürfe, sondern inmitten der Alltagstätigkeiten ausgeführt werden könne. Dhyâna sei damit nicht aufs Sitzen beschränkt, sondern könne in der körperlichen Arbeit ausgeübt werden und sei so auch Laien zugänglich. Dhyâna wurde zum Einblick in den eigenen Geist. Ui hält diesen Schritt, der aus der Notwendigkeit des Selbstversorgens entstand, für die „Sinifizierung“ des indischen dhyâna hin zum chinesischen Chan. Ui sieht deshalb Tao-hsin und Hung-jen (nicht Pai-chang) als die Begründer eines unabhängigen Kloster-Chan an. Foulk nun hält diese Anschauung für spekulativ, da nicht klar sei, ob wirklich auch Ordinierte körperlicher Arbeit derart nachgingen. Eine Studie von Shiina Kôyû habe gezeigt, das die Gegend des Ostberges sich nicht für Landwirtschaft eignete und Hung-jen mächtige Beamte zu Schülern und wohl auch als Gönner hatte. Kondô Ryôichi hält dagegen, die Gemeinschaften auf dem Ostberg seien kleiner gewesen und es gäbe keine Unterlagen über größere Spenden oder geförderte Bauprojekte. Foulk hält die These für wahrscheinlich, dass der Glaube an die ökonomische Unabhängigkeit der Ostberg-Klöster eine Rückrojektion späterer Zenschulen ist.
Die historischen Quellen geben mehr Aufschluss über die Anhänger der so genannten Nordschule des Chan, die in den beiden Hauptstädten und auf dem Berg Sung in Honan nahe Loyang florierte. In diesen Mainstream-Klöstern wurde der Vinaya praktiziert, sie genossen kaiserliche Unterstützung, den Chan-Mönchen wurden besondere Quartiere gestattet, was damals üblich war. Shiina hält die besonderen Quartiere (ch’an-yüan)der Nordschule für eine Zwischenstufe, die Abtsquartiere (fang-chang)und Dharma-Hallen (fa-t’ang) vorwegnahm, ehe sich die völlig unabhängigen Klöster der Südschule in Ma-tsus Linie etablierten.
Die Ideale der Selbstversorgung und gemeinschaftlicher Arbeit
Foulk arbeitet hier heraus, dass die japanischen Buddhologen an diesem Konzept interessiert waren, weil das moderne japanische Zen Arbeit (samu) und „Einsicht inmitten des Handelns“ (dôchû no kufû) betonte, besonders im Rinzai nach Hakuin, der Arbeit als „fortgesetzte Sitzmeditation“ (fudan zazen) bezeichnete. Im Falle D. T. Suzukis vermutet Foulk als Motiv auch, dass er dem Vorwurf, Zen sei quietistisch und nihilistisch, begegnen wollte, und die Arbeit im Kloster als Manifestation sozialer Gleichheit darstellte. Dies war auch dem Einfluss demokratischer Ideale im modernen Japan geschuldet. Pai-changs bekannter Ausspruch „Ein Tag ohne Arbeit sollte ein Tag ohne Essen sein“ könne hingegen nicht früher als 952 im Tsu-t’ang chi gefunden werden. In einer Schrift zur Verteidigung des Dharma aus dem 12. Jahrhundert wird zudem gegen Vorwürfe der Konfuzianer herausgehoben, dass die Chan-Mönche fleißig arbeiteten. In der Sung-Zeit finanzierten sich freilich Chan-Klöster durch Verpachten von Land an Farmer, durch das Pressen von Öl, das Mahlen von Getreide und sogar den Geldverleih. Sie genossen kaiserliche und aristokratische Unterstützung und mussten sich in der Regel nicht selbst versorgen, auch wenn die Mönche Gartenarbeit, Holzschlag, Bau- und Säuberungsarbeiten im Alltag betrieben. Es handelte sich dabei jedoch, laut Foulk, eher um eine symbolische Geste, die den Vorwurf des Parasitentums entkräften sollte. Demgegenüber standen Schriften wie die von Chung-fen Ming-pen (1263-1323), der die körperliche Arbeit als notwendiges Gegenstück zur Sitzmeditation propagierte.
Nach Kondô habe zwar die Südschule in der Tradition Hui-nengs tatsächlich die größte Unabhängigkeit bewahrt, in der Mitte des 9. Jahrhunderts hätten aber auch deren Klöster zu etwa 90 % finanzielle Unterstützung durch Laien und/oder den Staat erhalten. Foulk fasst zusammen, dass ökonomisch unabhängige Chan-Klöster nur eine kurze Zeit lang existiert haben können, und nur unter den Nachfahren von Ma-tsus Hung-chou-Schule, wonach das Kriterium von körperlicher Arbeit kaum unterscheidungskräftig für sie sein kann. Zur Zeit von Foulks Dissertation hatte noch keine Studie bewiesen, dass gemeinschaftliche Arbeit überhaupt nur in Chan-Klöstern geschah. Foulk fand jedoch Hinweise, dass bereits im frühen 5. Jahrhundert in China von buddhistischen Mönchen Landwirtschaft betrieben wurde. Auch im Kuo-ch’ing Kloster auf dem Berg T’ien-t’ai wurde im frühen siebten Jahrhundert von Nachfolgern Chih-is gemeinschaftliche Arbeit praktiziert. Der japanische Pilgermönch Ennin berichtet davon im neunten Jahrhundert aus Nordchina, auch wenn das von ihm genannte Kloster zugleich Patrone hatte. Foulk lehnt auch Yanagidas Deutung ab, die Arbeit der Chan-Mönche habe sich von der anderer insofern unterschieden, als die Chan-Mönche zu den niedrigsten Tätigkeiten bereit gewesen seien; eine solche Bedeutung werde der Arbeit in den überlieferten Dokumenten gar nicht zugesprochen.
Die Forschung zu Klöstern des Chan in der Tang-Zeit (618-907) konzentrierte sich auf drei Punkte: 1) die Frage nach frühen Klosterregeln (ch’ing-kuei), besonders dem so genannten „Pai-chang Kodex“ (Pai-chang ch’ing-kuei); 2) die Frage nach dem institutionellen Umfeld der Chan-Mönche vor der Zeit Pai-changs; 3) die Frage nach gemeinschaftlicher körperlicher Arbeit (p’u-ch’ing tso-wu) im frühen Kloster-Chan und der behaupteten ökonomischen Unabhängigkeit der Chan-Schule von traditionellem Gönnertum. Foulk weist nach, dass die Studien zu frühen klösterlichen Einrichtungen im Chan die Existenz von gesonderten Chan-Institutionen in der Tang-Zeit eher spekulativ annahmen als beweisen konnten.
Frühe Klosterregeln im Chan
Der älteste erhaltene Text mit „reinen Regeln“ (ch’ing-kuei)ist das Ch’an-yüan ch’ing-kuei, das 1103 zusammengestellt wurde. Laut der Überlieferung im Ch’an-men kuei-shih und in nachfolgenden Texten aus der Sung- und Yüan-Zeit sollen die ersten Klosterregeln jedoch etwa dreihundert Jahre früher von Pai-chang formuliert worden sein. Die genannte Schrift behauptet freilich nicht, dass Pai-chang selbst einen solchen Kloster-Kodex (ch’ing-kuei)verfasst hätte. Erst in der südlichen Sung-Zeit (1127-1280) findet man Hinweise auf ein Regelwerk mit dem Titel „Pai-chang Kodex“ (Pai-chang ch’ing-kuei), das von diesem Pai-chang stammen soll. Die Autoren Ui Hakuju, Ôkubo Dôshû, Ôishi Shuyû und Kondô Ryôichi vertraten die Ansicht, dass Pai-chang ein solches Werk verfasst hatte und dieses bis in die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts überlebte, weswegen sogar Dôgen es gesichtet haben könnte. Die Autoren Kagamishima Genryû, Imaeda Aishin, Kosaka Kiyû, Yanagida Seizan und Harada Kôdô halten einen Kodex von Pai-chang für wahrscheinlich, glauben jedoch, dass er 988, 1004 oder 1103 verloren ging. Okimoto Katsumi hält das Ch’an-men kuei-shi selbst für den Pai-chang Kodex. In späteren Artikeln bezweifeln Kimura Shizuo und Kondô Ryôichi, dass dieser Kodex je existierte, halten aber Pai-chang für einen innovativen Regler des Klosterlebens, dessen Gedanken nur mündlich tradiert worden seien. Martin Collcutt bezweifelt sowohl den Kodex als auch Pai-changs Rolle als Innovator, vielmehr habe es wohl schon vor dessen Zeit Chan-Regeln gegeben, denen man bei ihrer Ausarbeitung einfach seinen Namen beigab. Bei all diesen Unterschieden glauben alle Autoren, dass spätestens mit Beginn des neunten Jahrhunderts die Chan-Schule ihre eigenen Klosterregeln hatte.
Bei der Frage nach den frühen Klosterregeln des Chan gibt es zwei Annäherungsweisen. Foulk kritisiert die eine, nach der man sich auf die Regeln im Ch’an-men kuei-shi und verwandten Sung-Quellen verließ, da in der Sung-Zeit die Chronologie und Objektivität der Ereignisse durch das Bemühen verfälscht wurden, die Chan-Tradition als unabhängigen und orthodoxen Vermittler des Buddha-Dharma zu etablieren. Der zweite Ansatz, vertreten von Kagamishima, Kosaka, Kondô und Harada, sucht nach Überbleibseln des „alten Pai-chang Kodex“ (der um das Jahr 800 formuliert worden sein soll) im Ch’an-yüan ch’ing-kuei von 1103. Um diese Spuren herauszuarbeiten, werden besonders die sozialen und ökonomischen Einflüsse der späteren nördlichen Sung erhoben. Dieser spekulative Ansatz hat den Nachteil, dass er auf Vorurteilen gegenüber dem frühen Kloster-Chan fußt. Man nimmt dabei an, dass zu Zeiten des alten Kodex das Klosterleben einfacher und ärmer war und sich im Lauf der Zeit eine zunehmende Säkularisierung breit machte, bei der die Abhängigkeit von kommerziellen Unterfangen wie der Landverpachtung und Getreideproduktion wie auch der Zeremonien für Patrone eine Rolle spielten. Diese Entwicklung des Chan zwischen dem 12. und 14. Jhd. werde laut Foulk jedoch rückprojiziert auf die Zeit zwischen dem 9. und 12. Jhd. Außerdem könne die bloße Zusammenfassung von Regeln wie im alten Kodex des Ch’an-men kuei-shih nicht mit dem kompletten Regelsatz des Ch’an-yüan ch’ing-kuei verglichen werden, und auch der Annahme eines Sittenverfalls in Klöstern im Gefolge des letztgenannten Kodex entbehrt es der korrekten Vergleichbarkeit, da die Texte sich auf verschiedene Umstände und Klöster beziehen.
Foulk sieht das eigentliche Problem moderner Historiker darin, dass sie fälschlich annehmen, die frühe Chan-Schule hätte sich als Sekte in klarer Abgrenzung zu anderen konstituieren wollen (und hernach auch schon bald ein entsprechendes Regelwerk erzeugt). Tatsächlich sei anzunehmen, dass es keine besonderen Chan-Institutionen gab, und viele Elemente im Ch’an-yüan ch’ing-kuei weisen tatsächlich auf frühere Klosterformen hin, die nicht typisch für Chan sind.
Die „anti-institutionelle“ Haltung der Bodhidharma-Schule
Traditionell galten die Chan-Meister der Lankâvatâra-Schule (Leng-chia tsung) der zwei, drei Generationen nach Bodhidharma als Wanderasketen, die zurückgezogen Meditation praktizierten und nichts auf Gelehrtentum, Zeremonien und die Unterstützung durch Laien gaben. Ui Hakuju vertritt die These, dass zwar einige frühe Chan-Meister Lehrer in Klöstern waren, jedoch Schlüsselfiguren wie Hui-k’o (487-593) als Einsiedler und Asketen (zudagyôsha)lebten. Auch Yanagida bezeichnet Bodhidharma und seine Gefolgschaft als Übende der Enthaltsamkeit (zuda, t’ou-t’o), die in den Bergen lebten und den „Tempelbuddhismus“ des nördlichen China ablehnten. Dabei beriefen sich diese und andere Buddhologen meist auf Tao-hsüans Hsü kao-seng chuan und andere „Überlieferungen der Lampe“ wie das Ch’uan fa-pao chi und das Leng-chia shih-tzu, auf deren Grundlage sie jedoch Tao-hsüans Werk rückwirkend interpretierten. Denn dieses spricht noch von keiner Chan-Linie, die von Bodhidharma ausging, und verbindet auch den vierten und fünften Patriarchen, Tao-hsin und Hung-jen, nicht mit Bodhidharma. Es spricht nur von dhyâna-Übenden (hsi-ch’an) im Umfeld Bodhidharmas und Hui-kos, die sich auf Gunabhadras Übersetzung des Lankâvatâra-Sutra stützten.
Foulk hält die These, dass das Eremitenleben der beiden etwas Besonderes war, für falsch, da Tao-hsüan etliche andere Übende (z.B. Chih-i) ebenfalls als Einsiedler beschreibt. Man gewinnt bei ihm den Eindruck einer großen Flexibilität des Mönchslebens, dass von Zurückgezogenheit bis zum Leben in Klöstern und der Inanspruchnahme von finanzieller Unterstützung reichte. Für Tao-hsüan sind Eremiten wie Priester gleichfalls „herausragende Mönche“ (kao-seng). Bei Bodhidharma und Hui-k’o handelte es sich für ihn um Mitglieder einer Gruppe, die die Meditation dem Vinaya- und Schriftstudium vorzog. Im sechsten und siebten Jahrhundert nahmen dhyâna-Meister Laien wie Mönche als Schüler an, gründeten Meditationseinrichtungen (ch’an-shih, ch’an-fang, ch’an-t’ang) in Klöstern und führten öffentliche Debatten. Viele von ihnen wollten auch Vinaya-Regeln in die Praxis umsetzen. Tao-hsüan spricht von dhûta im Sinne der asketischen Praktiken im frühen Buddhismus, z. B. dem Einnehmen nur einer Mahlzeit pro Tag, dem ständigen Sitzen ohne Hinlegen, dem Verwenden von Lumpen für Roben, dem Erbetteln von Nahrung usw. Diese frühen Chan-Buddhisten rebellierten also nicht gegen die indische buddhistische Tradition, sondern banden sie wahlweise dank der ins Chinesische übersetzten Materialen zum Vinaya in ihren Lebensalltag ein (eremitische oder zönobitische – gemeinschaftliche – Lebensweise), wobei im China dieser Zeit das Eremitenideal als das höhere galt.
Die Gemeinschaften vom Ostberg
Buddhologen sind sich nicht einig, wann die Chan-Schule ihre ersten unabhängigen Klöster schuf. Yanagida und Okimoto etwa glauben, dass sie zuerst von Nachfolgern Ma-tsus, besonders Pai-chang, eingeführt wurden. Ui Hakuju und andere halten die so genannten Klöster des Ostberges der vierten und fünften Generation in der Chan-Linie (Tao-hsin und Hung-jen) für die ersten typischen Chan-Klöster. Laut Ui haben die Wandermönche begonnen, sich niederzulassen, wenn auch noch abseits der Städte, zunächst auf den Bergen Shuang-fen (auch P’o-t’ou) und Feng-mu im Bezirk Huang-mei (heutiges Hupeh). Ui schloss von der hohen Anzahl der Mönche auf einen Selbstversorgerstatus der Gemeinschaften auf dem Ostberg. Neben dieser Notwendigkeit sei die körperliche Arbeit (p’u-ch’ing) jedoch auch Teil der neuen Doktrin, nach der die buddhistische Übung keiner speziellen Rituale bedürfe, sondern inmitten der Alltagstätigkeiten ausgeführt werden könne. Dhyâna sei damit nicht aufs Sitzen beschränkt, sondern könne in der körperlichen Arbeit ausgeübt werden und sei so auch Laien zugänglich. Dhyâna wurde zum Einblick in den eigenen Geist. Ui hält diesen Schritt, der aus der Notwendigkeit des Selbstversorgens entstand, für die „Sinifizierung“ des indischen dhyâna hin zum chinesischen Chan. Ui sieht deshalb Tao-hsin und Hung-jen (nicht Pai-chang) als die Begründer eines unabhängigen Kloster-Chan an. Foulk nun hält diese Anschauung für spekulativ, da nicht klar sei, ob wirklich auch Ordinierte körperlicher Arbeit derart nachgingen. Eine Studie von Shiina Kôyû habe gezeigt, das die Gegend des Ostberges sich nicht für Landwirtschaft eignete und Hung-jen mächtige Beamte zu Schülern und wohl auch als Gönner hatte. Kondô Ryôichi hält dagegen, die Gemeinschaften auf dem Ostberg seien kleiner gewesen und es gäbe keine Unterlagen über größere Spenden oder geförderte Bauprojekte. Foulk hält die These für wahrscheinlich, dass der Glaube an die ökonomische Unabhängigkeit der Ostberg-Klöster eine Rückrojektion späterer Zenschulen ist.
Die historischen Quellen geben mehr Aufschluss über die Anhänger der so genannten Nordschule des Chan, die in den beiden Hauptstädten und auf dem Berg Sung in Honan nahe Loyang florierte. In diesen Mainstream-Klöstern wurde der Vinaya praktiziert, sie genossen kaiserliche Unterstützung, den Chan-Mönchen wurden besondere Quartiere gestattet, was damals üblich war. Shiina hält die besonderen Quartiere (ch’an-yüan)der Nordschule für eine Zwischenstufe, die Abtsquartiere (fang-chang)und Dharma-Hallen (fa-t’ang) vorwegnahm, ehe sich die völlig unabhängigen Klöster der Südschule in Ma-tsus Linie etablierten.
Die Ideale der Selbstversorgung und gemeinschaftlicher Arbeit
Foulk arbeitet hier heraus, dass die japanischen Buddhologen an diesem Konzept interessiert waren, weil das moderne japanische Zen Arbeit (samu) und „Einsicht inmitten des Handelns“ (dôchû no kufû) betonte, besonders im Rinzai nach Hakuin, der Arbeit als „fortgesetzte Sitzmeditation“ (fudan zazen) bezeichnete. Im Falle D. T. Suzukis vermutet Foulk als Motiv auch, dass er dem Vorwurf, Zen sei quietistisch und nihilistisch, begegnen wollte, und die Arbeit im Kloster als Manifestation sozialer Gleichheit darstellte. Dies war auch dem Einfluss demokratischer Ideale im modernen Japan geschuldet. Pai-changs bekannter Ausspruch „Ein Tag ohne Arbeit sollte ein Tag ohne Essen sein“ könne hingegen nicht früher als 952 im Tsu-t’ang chi gefunden werden. In einer Schrift zur Verteidigung des Dharma aus dem 12. Jahrhundert wird zudem gegen Vorwürfe der Konfuzianer herausgehoben, dass die Chan-Mönche fleißig arbeiteten. In der Sung-Zeit finanzierten sich freilich Chan-Klöster durch Verpachten von Land an Farmer, durch das Pressen von Öl, das Mahlen von Getreide und sogar den Geldverleih. Sie genossen kaiserliche und aristokratische Unterstützung und mussten sich in der Regel nicht selbst versorgen, auch wenn die Mönche Gartenarbeit, Holzschlag, Bau- und Säuberungsarbeiten im Alltag betrieben. Es handelte sich dabei jedoch, laut Foulk, eher um eine symbolische Geste, die den Vorwurf des Parasitentums entkräften sollte. Demgegenüber standen Schriften wie die von Chung-fen Ming-pen (1263-1323), der die körperliche Arbeit als notwendiges Gegenstück zur Sitzmeditation propagierte.
Nach Kondô habe zwar die Südschule in der Tradition Hui-nengs tatsächlich die größte Unabhängigkeit bewahrt, in der Mitte des 9. Jahrhunderts hätten aber auch deren Klöster zu etwa 90 % finanzielle Unterstützung durch Laien und/oder den Staat erhalten. Foulk fasst zusammen, dass ökonomisch unabhängige Chan-Klöster nur eine kurze Zeit lang existiert haben können, und nur unter den Nachfahren von Ma-tsus Hung-chou-Schule, wonach das Kriterium von körperlicher Arbeit kaum unterscheidungskräftig für sie sein kann. Zur Zeit von Foulks Dissertation hatte noch keine Studie bewiesen, dass gemeinschaftliche Arbeit überhaupt nur in Chan-Klöstern geschah. Foulk fand jedoch Hinweise, dass bereits im frühen 5. Jahrhundert in China von buddhistischen Mönchen Landwirtschaft betrieben wurde. Auch im Kuo-ch’ing Kloster auf dem Berg T’ien-t’ai wurde im frühen siebten Jahrhundert von Nachfolgern Chih-is gemeinschaftliche Arbeit praktiziert. Der japanische Pilgermönch Ennin berichtet davon im neunten Jahrhundert aus Nordchina, auch wenn das von ihm genannte Kloster zugleich Patrone hatte. Foulk lehnt auch Yanagidas Deutung ab, die Arbeit der Chan-Mönche habe sich von der anderer insofern unterschieden, als die Chan-Mönche zu den niedrigsten Tätigkeiten bereit gewesen seien; eine solche Bedeutung werde der Arbeit in den überlieferten Dokumenten gar nicht zugesprochen.