Klimaangst aus der Schreibmaschine

Als die Klimakatastrophe noch in Ordnung war, kabelte Holger Dambeck siedend heiß aus San Francisco die neuesten Hiobsbotschaften. "Wissenschaftler fürchten, dass beim Klimawandel schnelle, katastrophale Veränderungen anstehen", wusste der Spiegel-Experte für Fahrräder und fatale Folgen des menschengemachten Klimawandels anno 2007 brühwarm zu berichten. Ein renommierter US-Klimaforscher appellierte durch ihn direkt an Kanzlerin Angela Merkel, den Bau neuer Kohlekraftwerke zu überdenken: "Ihre Führungsqualitäten sind gefragt", übersetzte Dambeck, der später auch noch klarstellte, dass die Argumente "mancher Wissenschaftler", die das Erdklima mit periodischen Sonnenzyklen erklären wollen, astrologischer Spökenkiekerei ähneln.
Seitdem Sommer in Deutschland aber vorzugsweise Wasser regnen und sich die Sonne kaum noch blicken lässt, hat auch Holger Dambeck umgedacht. Der radelnde Wissenschaftsredakteur ist zum Astrologen konvertiert, wie ein neuer schwitznasser Report aus seiner flinken Feder vermuten lässt. Ansatzlos schwadroniert der Experte jetzt von "neuen Sonnenzyklen", die "ein kühleres Klima auf der Erde" zur Folge haben könnten.
Fakt ist nun für ihn, dass die "schnellen, katastrophalen Veränderungen" irgendwie auf der Strecke geblieben sein müssen. Ganz neue Neuigkeiten gilt es nun aus San Francisco zu berichten: "Die Sonne bestimmt das Klima auf der Erde"! Wer hätte das wohl noch gedacht? Nichts mehr von wegen "menschengemachter Klimawandel", CO2-Ausstoß und Erderwärmung aus dem Auspuffrohr. Das "kräftige Licht" der Sonne (Dambeck) "erwärmt Luft, Wasser und Boden" als sei es nie anders gewesen. Deshalb wohl können nun wieder "minimale Änderungen auf der Sonnenoberfläche weitreichende Folgen auf unserem Planeten haben." Dambeck, eigentlich Drahteseltester beim Nachrichtenmagazin Nummer 1, hat in seinen Erinnerungen gekramt und herausgefunden: "Zwischen 1645 und 1715 zeigten sich auf unserem Zentralgestirn kaum Sonnenflecken. In dieser Zeit wurde es auf der Erde kühl."
Droht dergleichen wieder? Eine "neue Studie zweier US-Forscher" für Aufsehen. Matthew Penn und William Livingston vom National Solar Observatory in Tucson (Arizona)" lässt es vermuten. Nach ausgiebiger Observation von "rund 4000 Sonnenflecken" vermute er, dass "es in den kommenden Jahrzehnten auf unserem Zentralgestirn kaum noch Flecken geben wird". Die Hypothese der US-Forscher sei nämlich "spektakulär": "Es könne kühler werden auf unserem Planeten", schreibt Dambeck.
Sind das etwa schon die ersten Erfolge der entschlossenen Klimapolitik von Jürgen Trittin, Frucht der steigenden Umfragewerte der Grünen, Echo der Mahnungen Richtung Zentralgestirn, die Angela Merkel ausgestoßen hat, und der Warnungen zur Bannung der Atomenergie, die Sigmar Gabriel stets parat hält? Jedenfalls "ein interessantes Ergebnis", verriet Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung dem "Spiegel" vorab, was Deutschlands bester Klimaastrologe Mojib Latif seit Monaten in immer neuen Bonmots unters Volk bringt. "Es gibt da offensichtlich eine Entwicklung, die wir nicht verstehen."
Verstehen ist aber wie immer beim Klima gar nicht vonnöten. Wenn man "die Entwicklung der Sonnenflecken in die nächsten Jahre fortschreibe, dann beeinflusse dies die Fleckenbildung in den kommenden Sonnenzyklen" (Zitat Ende), auch ohne dass man irgendwetwas verstanden haben muss, klärt Dambeck mit einem bemerkenswerten Satz auf, wo und wie das Klima wirklich gemacht wird. Kurz gesagt: Was geschrieben wird, beeinflusst das vielleicht nicht die Sonnenzyklen, wohl aber das gefühlte Klima. So gelte zwar auch hier der Energieerhaltungssatz: Weniger Flecken, weniger Energieabstrahlung. Andererseits aber sei da immer noch dasGrundgesetz der Mediendynamik: Mehr Klimawarntexte, mehr Klimakatastrophenangst auch bei denen, die vom Klima gar nichts verstehen. So rechnet das einstige Sturmgeschütz der Demokratie penibel vor, warum die Klimaerwärmung jetzt Pause machen muss. Zum einen könne mehr Ozon gebildet werden, zum anderen verstärken sich Niederschläge, außerdem ist das Thema Hitze bei gefühltem Novemberwetter im August und Dauerregen von Juli bis Oktober Wählern und Zeitungskäufern einfach nicht vermittelbar.
Eine über Jahrzehnte fleckenfreie Sonne will deshalb auch der Max-Planck-Forscher Schüssler nicht grundsätzlich ausschließen: "Es hat immer Phasen geringer Sonnenaktivität gegeben. Wir müssen davon ausgehen, dass es so etwas immer wieder geben wird", sagt er ohne noch groß herumzudrucksen. Zumindest, so lange, bis mal wieder fünf Tage hintereinander die fleckenfreie Sonne scheint und das Thermometer über die 30 klettert.


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