Kleine Reibn: Großes Skitouren-Kino

Von Berghasen

Die Kleine Reibn ist einer der Skitouren-Klassiker in Berchtesgaden. Dich erwarten Action, unerwartete Wendungen und ganz viel Leidenschaft.

Allen, die des Dialekts nicht mächtig sind, sei zunächst erklärt, was Reibn bedeutet – nämlich Runde. Ein Titel, der leicht in die Irre führt. Denn klein ist die Reibn trotz ihres Namens nicht. Die Reibn wie wir sie in Angriff nehmen, hat etwa 2.000 Höhenmeter und ist fast 25 Kilometer lang. Es gibt aber auch die Große Reibn. Bedenkt man dies, ist der Name also passend.

Mir ihrer großen Schwester kann die Kleine Reibn in Sachen Schönheit durchaus mithalten. Großes Skitouren-Kino in Berchtesgaden eben.

Kleine Reibn: Skitour über den Schneibstein und Fagstein

Uuund Film ab! Die Protagonisten sind heute Vroni, ihr Freund Max und ich. Statisten gibt es einige. Sie sorgen dafür, dass die Bergwelt nicht vollkommen verlassen und der Schnee nicht absolut jungfräulich aussieht.

Wir drehen in den Berchtesgadener Alpen. Hoch über dem Königssee an der Grenze zwischen Salzburg und Bayern finden wir die perfekte Filmkulisse: verschneite Gipfel, von Firn überzogene Südhänge, der Watzmann als stiller, aber ausdrucksstarker Nebendarsteller.

Erste Szene. Parkplatz der Jenner-Bahn am Königssee. Mit einem Klick rasten die Skitourenschuhe in die Pin-Bindungen ein. Dann streifen sechs Paar Skier auf der Hochbahn Richtung Königsbachalm. Der Weg ist schmal, wir gehen lange im Schatten und aus dem Tal bläst uns frischer Wind entgegen. Vroni hält sich von Beginn an nicht an die übliche Kostümierung und startet gleich im T-Shirt. Mich fröstelt.

An der Königsbachalm folgen wir zunächst dem Sommerweg hinauf zum Schneibsteinhaus und Carl-von-Stahl-Haus. Das Stahlhaus hat das ganze Jahr über geöffnet. Wer die Reibn nicht an einem Tag gehen will, kann hier eine Nacht verbringen und die Tour auf zwei Tage ausdehnen.

Am Set ist es dunkel. Über eine Stunde wandeln wir im Schatten, bis uns endlich die Sonne die Nasenspitzen wärmt. Fast schüchtern blitzt sie zwischen den Lärchen hindurch, die hier am Almboden am Weg zum Schneibsteinhaus wachsen.

Makelloser Pulverschnee reflektiert die Sonnenstrahlen, die zur frühen Stunde flach in die Hänge einfallen. Die Scheinwerfer sind an. Nach dem schattigen Aufstieg eine Überdosis Licht für unsere Augen.

Wir ziehen unsere Spur hinauf auf einen sanften Rücken. Im Hintergrund hat das Berchtesgadener Land seine schönste Kulisse aufgebaut. Die Ostwand des Watzmanns präsentiert sich im Winterkleid. Keine Wolke trübt den Himmel. Der Blick auf unsere weitere Route liegt frei. Sie führt uns jetzt über den Gipfel des Schneibsteins zum Fagstein, weiter zu den Hohen Rossfeldern und anschließend zurück zum Jenner.

Höhepunkt: hinauf auf den Schneibstein

Wir queren am Schneibsteinhaus vorbei, lassen das Stahlhaus links liegen und beginnen mit dem Aufstieg auf den Schneibstein. Dessen Gipfel ist der höchste Punkt der Tour. Dem Schneibstein verdankt die Kleine Reibn ihren zweiten Namen. Ab und zu ist die Skitour nämlich unter „Schneibstein Reibn“ zu finden.

„Die Skitour auf den Schneibstein und ihre vielen Abfahrtsvarianten.“

Über den Nordwesthang des Schneibsteins fegt fast den ganzen Winter unermüdlich der Wind. Dementsprechend spärlich ist die Schneeauflage. Am ersten Teil des Anstiegs kämpfen wir mit Latschen und der eisigen, teilweise zerstörten Spur. Normale Verhältnisse am Schneibstein.

Mit der Höhe wächst auch die Dicke der Schneedecke und das Skitourengehen wird wieder zum Genuss. Die Aussicht auf den Watzmann, ins Steinerne Meer und hinaus ins Flachland ist jetzt uneingeschränkt.

Das Drehbuch enthält wenig Text. Unsere Dialoge beschränken sich auf „Scheiße, is des sche!“, „Einfach nur geil“ und „Vroni, i steh so oag drauf“. Große Worte sind unnötig. Sie könnten unsere Leidenschaft fürs Skitourengehen in dieser Bergwelt nur dürftig beschreiben.

Wir erreichen den Schneibstein bei absoluter Windstille. Ein seltenes Glück. Nicht oft kann man hier den Blick vom Hochkönig bis zum Watzmann und den Untersberg schweifen lassen, ohne sich die Finger abzufrieren.

Lange fesselt uns der Schneibstein nicht. Zu groß ist die Vorfreude auf den Rest der Tour. Die Route ist mit Holzstangen markiert und recht einfach zu finden.

Unerwartet: Traumabfahrt vom Fagstein

Wir ziehen die Felle von den Skiern und fahren in südwestlicher Richtung in die Mulde zwischen Windschartenkopf und Fagstein ab. Würden wir die Kleine Reibn streng nehmen, müssten wir jetzt schnurstracks zum Seeleinsee düsen und von dort aus auf die Hohen Rossfelder aufsteigen.

Aber die perfekten Skihänge des Fagsteins verführen uns. Wir weichen vom Drehbuch ab und improvisieren. Beschließen spontan, auf den Fagstein aufzusteigen und ein paar zusätzliche Höhenmeter zu absolvieren.

Wie wir wissen, sind die spontanen Entscheidungen oft die besten. Der Fagstein entwickelt sich völlig unerwartet zum Highlight der Tour. Sowohl im Aufstieg, als auch in der Abfahrt.

Der Fagstein ist im Winter ein wunderschöner, sanfter Berg. Kein Steinchen, kein Strauch schaut durch die Schneedecke. Er besitzt die Eleganz eines schlichten, weißen Hochzeitskleides. Der Schnee betont dezent seine reizenden Kurven. Wir gleiten lustvoll darüber hinweg und freuen uns auf die Firnabfahrt, die die anderen Reibn-Geher einfach auslassen.

Davor gönnen wir uns die Pause, auf die wir am Schneibstein verzichtet haben. Die Felle trocknen an der Befestigung des Gipfelkreuzes. Wir dösen am Bänklein und genießen die Sonnenstrahlen im Gesicht. Einwondfrei.

Gerade als der Schnee in der Mittagssonne die richtige Garstufe erreicht, machen wir uns bereit für die Abfahrt. Es schmiert unter den Skiern. Und aus unseren Kehlen tönen laute Whooos und Ahhhhs.

Nach der Abfahrt vom Fagstein halten wir uns möglichst hoch rechts und lassen die Skier laufen, bis das Gelände wieder ansteigt. Erneut müssen wird die Felle aufziehen. Etwa 200 Höhenmeter über uns liegen die Hohen Rossfelder. Dort wartet die längste Abfahrt der Tour.

Abspann. Nach Firn am Fagstein finden wir auf den Hohen Rossfeldern Pulverschnee. Die Kleine Reibn hat heute alles geliefert, was sie zu bieten hat. Zufrieden fahren wir zum Jenner ab und queren zum Skigebiet hinüber. Die Abfahrt entlang der Piste nehmen wir hin. Besonders ist sie nicht. Sie trübt aber auch nicht das gerade Erlebte. Die Kleine Reibn – ein Streifen, den wir lange in Erinnerung behalten werden. Und den man sich gerne öfter ansieht.

Wedeln mit Watzmann-Blick: Skitour auf die Hohen Rossfelder

Tourdaten

  • Höhenmeter: 2.000
  • Länge: 25 Kilometer
  • Dauer: 6-8 Stunden
  • Schwierigkeit: technisch einfach, konditionell schwer