Richard David Precht – Erkenne die Welt I [Hörbuch]
In drei Bänden will Richard David Precht Leser durch die Geschichte der Philosophie führen. In seinem ersten, vor kurzem erschienenen, Band befasst er sich mit der Philosophie von Antike bis Mittelalter.
Einen Großteil macht dabei die Philosophie der Antike aus – beginnend mit Thales von Milet, der von 624 bis 546 v. Chr. gelebt und nachgedacht hat und den beiden Naturphilosophen Anaximander (610/09 – 546 v. Chr.) und Anaximenes (585-528/24 v. Chr.). Insbesondere Anaximedes‘ Abstammungstheorie widmet Precht einige Zeit. Der Philosoph greift nämlich der Evolutionstheorie um einige Jahrtausende voraus und stellt den Gedanken in den Raum, dass alles Leben – auch der Mensch – aus dem Meer stammt. Zwar ist sein Gedanke, dass sich die frühen Menschen beim Eintritt ins Erwachsenenalter aus fischähnlichen, stacheligen Hüllen entpuppen und an Land treten, nicht korrekt, doch richtigerweise hat er das Meer als Ursprung allen Lebens erkannt und angenommen.
Aus Gedanken rund um den Kosmos entstehen schließlich Gedanken zu Staatsformen, zum „Maß aller Dinge“, wie das Kapitel heißt. So spricht u.a. Heraklit (520-460 v.Chr.) vom logos das er als überindividuelles Weltgesetz versteht, als Gesamtheit der Wirklichkeit. Dieses logos schlägt sich in Gesellschaften in Recht und Gesetz nieder und bildet dort eine übergeordnete Vernunft, der sich jedes Individuum unterwerfen muss. Heraklit fordert in seinen Schriften dazu auf, dass ein Volk für seine allgemeine und für alle verbindliche Rechtsprechung genau so kämpfen muss wie für seine Stadtmauer, denn während die Stadtmauer das Volk vor Feinden von außen schützt, so garantiert das Gesetz den inneren Zusammenhalt und die zivilgesellschaftliche Wehrhaftigkeit der Polis. Ein Gedanke, der in heutigen Zeiten kaum oft genug ausgesprochen werden kann.
Precht konzentriert sich nicht ausschließlich auf die philosophischen Ansätze der Männer, die hier unter die Lupe genommen werden. Vielmehr beleuchtet er immer auch die Umstände ihrer Zeit, die die Gedankenspiele begründet haben oder die Arbeit der Philosophen behindern. In der Antike hängt viel vom jeweiligen Herrscher einer Polis ab; im Mittelalter spielt sich der Großteil der Philosophie „im Schatten der Kirche“ ab. Philosophie und Theologie überschneiden sich nun verstärkt; Wissen und Zugang zu Wissen sind zum größten Teil in den Klöstern eingeschlossen. Werke von „Heiden“ wie Platon – falls überhaupt noch bekannt – sind verfemt. Gedanken die die gerade errungene Macht der Kirche anfechten oder die Allmacht und Einzigkeit des christlichen Gottes in Frage stellen, sind unerwünscht und Papst und Kirche gehen mit immer größerem Eifer dagegen vor.
Dies beginnt bereits früh in der Kirchengeschichte mit Augustinus von Hippo (354-430), der in frühen Jahren dem Christentum gegenüber noch kritisch eingestellt ist und es als intellektuell minderwertig bezeichnet. Nach einem (angeblichen) Erweckungserlebnis tritt er zu diesem Glauben über und wird schließlich Bischof. In dieser Funktion geht er erbittert gegen Kritiker und Zweifler vor. Während er vor seinem Übertritt noch die Überlegung vertreten hat, dass jeder einzelne Mensch für sein eigenes Seelenheil verantwortlich ist, beschreibt er nun die Institution der Kirche als Schlüssel zur Wahrheit; sie verwaltet in Alleinherrschaft den Zugang zu Erlösung und ewigem Leben.
Viele Kritiker aus dieser Zeit entstammen der Kirche selbst – so wettert ein junger Mönch gegen die Verkommenheit der christlichen Kirche und gegen die angebliche Erbsünde, die er als unvereinbar mit den Evangelien sieht – nirgendwo in den biblischen Schriften findet sich ein solcher Hinweis. Precht erläutert detailliert die machtpolitischen Gründe, aus denen Augustinus daraufhin eine fundierte und umfassende Sündenlehre schafft, die das Christentum bis heute prägt.
Eben dieser Fokus auf gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen macht Prechts Philosophiegeschichte so interessant. Um sein Buch einem möglichst großen Publikum zugänglich zu machen, werden die philosophischen Gedankenspiele verständlich heruntergebrochen, in Teilen vereinfacht und in klare Worte gefasst. Manchen Philosophie-Nerd mag das stören und sicherlich geht einigen Denkansätzen so ein wenig verloren. Aber Precht erreicht genau das, was er sich mit seiner Philosophiegeschichte als Ziel gesetzt haben muss – er schafft Einblicke in mehrere Jahrtausende der westlichen Gedankenwelt und betrachtet teils sehr abstrakte Ideen im Zusammenhang mit der jeweilig vorherrschenden Wirklichkeit. Er illustriert verschiedene Entwicklungen, die „die Philosophie“ durchlaufen hat und bietet eine Menge Denkanstöße.
Gelesen wird dieses Hörbuch von Christian Baumann, der seit 1996 als Bühnen- und Filmschauspieler tätig ist und im Bayerischen Rundfunk regelmäßig in Lesungen und Radiofeatures zu Wort kommt. Seine Stimme ist klar und angenehm und er findet immer das richtige Tempo um unterschiedliche Gedankenkonstrukte zu vorzutragen, sodass man als Hörer folgen kann. Einmal nur musste ich zurückspulen um den Faden nicht zu verlieren. Bei einer derart komplexen Materie spricht das alleine schon für den Sprecher.
Kurzfazit: Hochinteressante Zeitreise, die den Zusammenhang zwischen abstraktem Philosophieren und tatsächlichen machtpolitischen Interessen verdeutlicht.
Ich danke dem Hörverlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplares
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Kategorien: Deutschland | Tags: Gedankennahrung, Hörbuch, Weltgeschichte | Permanentlink.