Eines der schönen Dinge am Lesen (und auch an Musik) ist die Tatsache, dass Bücher wie Fotoalben sind, in denen lauter Erinnerungen kleben - nur das man die Bilder nicht sehen kann. Sie sind zwischen den Zeilen, in den Worten und verstecken sich in jeder Kapitelüberschrift. Manchmal, wenn ich an einen bestimmten Augenblick in meinem Leben denke, denke ich automatisch auch an eine der unzähligen Geschichten, die mich in diesem Moment begleitet haben und irgendwie, auch wenn der Moment damals nicht so schön war, schafft das Buch einen besonders wärmenden Gedanken. Verrückt? Vielleicht. Aber gleichzeitig auch so schön. Witzigerweise sind es nämlich nicht einmal die großen Momente, ganz im Gegenteil: Es sind die ganz winzig kleinen, die eigentlich vergessen sein müssten, weil sie so unbedeutend sind und dennoch watscheln sie in meinem Gedächtnis umher, erzählen von den Buchstaben, die ich damals verschlungen habe, einfach nur auf der Couch im Wohnzimmer sitzend, am heiligen Abend. Es sind nicht einmal unbedingt die Momente. Viel mehr sind es die Gefühle. Die Gefühle, die ich hatte, wenn ich für einen kurzen Moment aufgeblickt und mich umgesehen habe. Die Umstände des Tages, dieser ganze Prozess, den man Leben nennt, scheint sich in den Büchern verstecken zu können. Es ist verrückt, aber ich ziehe ein Buch aus dem Schrank und sage: "Hey, das habe ich im Wartezimmer beim Tierarzt gelesen!" oder "Das habe ich in einer einzigen Nacht durchgelesen, obwohl ich am nächsten Tag Schule hatte." oder auch "Das Buch habe ich auf der Autofahrt zu meiner Oma gelesen." - derart kleine Dinge verbinde ich mit Büchern, die ich gelesen habe und das schöne ist, dass sie mir nicht mehr verloren gehen können und dass ich sie immer wieder abrufen kann, wenn ich das Gefühl habe, sie doch zu vergessen. Denn kaum sehe ich das Buch oder berühre die zerlesenen Seiten, weiß ich schon wieder, warum es mich begleitet hat, warum es noch immer da im Regal steht und von dort nicht mehr wegzudenken ist. Nicht nur die Flucht aus der Realität bringt mich also zum Lesen, sondern auch die Sicherheit, diesen Moment niemals mehr zu vergessen, weil er an den Seiten haften bleibt, weil die gedruckten Worte mein Leben zusammenhalten wie Sekundenkleber und weil jedes Buch ein oder mehrere Gefühle meines Lebens beinhaltet, ganz gleich, ob sie positiv oder negativ waren. Im Nachhinein scheinen sie alle eine Aneinanderreihung von Augenblicken zu sein, wie die Perlen an einer Kette, abhängig voneinander und wichtig im Gesamtbild. Das ist es nämlich, was man zwischen Reue und Angst oft im Leben vergisst: Das jeder Augenblick wichtig ist und auch wenn es pathetisch klingt, dass jeder Augenblick, so belanglos und klein er auch scheinen mag, wertvoll ist und im Nachhinein gar nicht mehr schlimm oder noch viel schöner ist, als man es zu dem Zeitpunkt emfunden hat. Kennt ihr dieses Gefühl? Verbindet ihr auch viele Erinnerungen mit Büchern (oder Liedern)? Was liebt ihr am Lesen besonders - ganz abgesehen von der Realitätsflucht?