Lassen wir mal einen Modemacher diese Frage selbst beantworten: «Modemacher sind Geschmacksdiktatoren!»
Das sagt Karl Lagerfeld. Hört sich ja nicht so toll an. Wir wollen uns doch eigentlich nicht gern irgendwas diktieren lassen, oder? Fragen wir uns mal, was für eine tiefgehende, herzerwärmende Philosophie große Designer haben – also ich meine, wer etwas diktiert, muss ja davon überzeugt sein, dass es auch etwas ist, was wirklich besser ist, als alles andere und daher von allen fleißig übernommen werden sollte – zum Wohle aller quasi. So ein richtiger Stardesigner. Wie wäre es denn mit Gianni Versace?
“Du kleidest elegante Frauen. Du kleidest anspruchsvolle Frauen. Ich kleide Schlampen.”
Also langsam wird es doch komisch. Das finde ich jetzt aber auch nicht so berauschend. Mal überlegen. Wer hat denn alles so einen Namen in der Modebranche? Fällt euch jemand ein? Also Lagerfeld haben wir bereits gehört, Versace auch. Ich komme noch auf Dolce&Gabbana, Tommy Hilfiger, Pierre Cardin, Marc Jacobs oder Yves Saint Laurent.
Okay. Fällt irgendwem etwas auf? Das sind die großen Markennamen und die Köpfe und Designer, die dahinterstecken, sind oft die Köpfe von – Männern. Männer bestimmen im großen Stil, was Frauen anziehen. Was sie schön finden. Welche Schnitte und Farben sie ansprechend finden. Machen wir uns nichts vor – denn all die Modehäuser, in denen wir einkaufen, schauen sich die Catwalks der «Großen» an, um diese dann zu kopieren. Ich weiß nicht, wie es euch dabei geht, aber als Frau fühle ich mich bei diesem Gedanken mehr als unwohl. Ich kann mich nicht damit anfreunden, dass ausgerechnet Männer zuständig dafür sind, zu jeder Saison auszuwählen, was Frau zu tragen hat. Aber gehen wir ein Stückchen weiter zurück.
Modedesigner verstehen sich selbst als Künstler, nicht umsonst auch «Modeschöpfer» genannt. Sie suchen Inspiration, sie schöpfen aus ihrer Kreativität und lassen das in ihre Schnitte und Farben einfließen. Traditionell hatte ein Künstler immer eine Muse. Das Wort Muse kommt aus der griechischen Mythologie und bezeichnet die Schutzgöttinnen der Künste. Davon gab es in der griechischen Mythologie mehrere, die sich um unterschiedliche Dinge gekümmert haben – Kalliope ist die Schutzgöttin der Dichtung, Urania die Muse der Astronomie, Klio die der Geschichtsschreibung, usw. Mal abgesehen vom «Götter»Konzept – eigentlich ist es doch schön, dass so verschiedene Künste hervorgehoben werden – gewürdigt werden, könnte man sagen. Es zeigt, dass die griechische Gesellschaft damals Wert auf Geschichtsschreibung gelegt hat, auf Astronomie, Dichtung – auch im Islam sind das schöne, erstrebenswerte Künste.
Wer aber mal schaut in welchem Zusammenhang das Wort «Muse» ab der Neuzeit typischerweise auftauchte, der wird schnell erkennen: Musen, das waren Frauen, die auf Aktgemälden abgebildet waren. Oft waren es Frauen die eine Beziehung mit dem Künstler hatten – ihre Schönheit, ihr Körper, die erotische Spannung zwischen Künstler und Muse inspirierte ihn zu seiner Kunst – das gilt in vielen Fällen oft bis heute.
Frauen haben also keine Künste mehr geschützt, sondern wurden selbst zum Objekt – wurden ausgezogen und abgebildet, und mit Attributen des Begehrens ausgestattet, ganz so, wie der männliche Maler es gern hätte. Von Selbstbestimmung oder Selbstverwirklichung keine Spur.
Was für eine fatale Entwicklung: Von der Schutzgöttin, die edle Künste schützt zum auf ihre Sexualität reduzierten Objekt. Im Islam kann uns das Gott sei Dank nicht passieren – denn Allah ist nicht menschlich und hat kein Geschlecht – und göttliche Inspiration, in islamischen Quellen als «Ilhaam» bezeichnet , sowie jeglicher Schutz, kommt allein von Allah.
Aber zurück zu Versace und Co.: Der nackte Körper der Frau ist in der Modeindustrie heute mehr denn je die «Muse» der männlichen Designer. Es geht nicht so sehr darum die Frau anzuziehen, sondern vielmehr darum, sie besonders raffiniert und kunstvoll auszuziehen, «die Schönheit freizulegen»: mit durchsichtigen Stoffen, oder tiefen Ausschnitten, oder kurzen Oberteilen/Röcken, oder oder oder. In Gesellschaften, in denen patriarchale Verhältnisse herrschen, spricht man vom «männlichen Blick». Auch in Deutschland und generell im Westen haben wir patriarchale Verhältnisse – es wird versucht mit Quoten dagegen zu arbeiten, aber die Realität sieht anders aus. Diese Strukturen gehen so tief, sind so verankert im Empfinden der Menschen, dass mehr Aufklärung geschehen muss, wenn man wirklich etwas dagegen tun will.
Man erinnere sich nur wie damals, als Angela Merkel zur Kanzlerin gewählt wurde, bereits während des Wahlkampfes ständig über ihre «fehlende Attraktivität» geschrieben wurde, sie wurde tatsächlich als «graue Maus» bezeichnet – und auch nachdem sie Kanzlerin wurde, wurde in der Presse oft ausführlich über ihre Outfits berichtet. Bei einem Mann hätten einen diese Dinge wohl kaum oder nicht in dem Ausmaße interessiert. Wer erinnert sich noch genauso gut an die detaillierte Berichterstattung über ihre Frisur? Man las damals überall von der «schlecht sitzenden Topffrisur»: »Wer leiten will, muss schön sein» titelte damals der Stern. Der Titel hätte wohl besser lauten sollen: «Wenn Frau leiten will, muss sie schön sein.»
Der Blick, der also «vorherrscht», der Blick der dominiert und bewertet, ist der männliche Blick. Und dieser fällt nun auf die Frauen – eine Frau ist quasi gefangen im männlichen Blick. Wie kann sie sich befreien? Wie kann sie sich in der Gesellschaft bewegen und sich dem Zugriff des männlichen Blickes auf ihren Körper, der sie zum Objekt macht, entziehen? Indem sie ihre Sexualität selbst in der Hand hat. Sie kontrolliert, was sie preisgibt, was sie unterstreicht und was sie reduziert, auf was sie die Akzente setzt – muslimische Frauen würden dies z.B. mit dem Kopftuch und nicht eng anliegender Kleidung umsetzen.
Aber wenn Frauen sich in Gewändern kleiden, die sich Männer für sie ausgedacht haben, ist dieses Unterfangen fast zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Siehe die Zitate der Designer oben. Sie geben den Ton – oder in diesem Fall den Schnitt – vor, und alle anderen Ketten von H&M zu Mango oder Zara machen es nach.
In den 70er Jahren haben Feministinnen noch gegen diese Tendenzen protestiert – haben gegen die „Versklavung der Frauen durch Schönheits- und Modenormen” gekämpft. Sie bewerteten die Mode als „Mittel zur Unterdrückung, Objektivierung, Spaltung und Verdummung von Frauen”. Wenn in den 70ern große Werbeplakate nackte Frauen zeigten, haben Feministinnen diese aus Protest zugeklebt.
Im Zuge der Gleichberechtigung haben wir nun – anstatt uns logischerweise von sexistischer Mode und Werbung zu verabschieden – auch das zweifelhafte Vergnügen, halbnackte und auf ihre Sexualität reduzierte Männer auf Werbeplakaten ‘bewundern’ zu können.
Na dann: Augen zu und durch.
von Ilhaam E.