Kleider machen Leute. Das Lied vom armen Schneiderlein (Teil 3)

Von Cubemag

Wer die ersten Teile gelesen hat, weiß: Es geht um Dich, um Deine Individualität und Identität. Im zweiten Teil ging es um die Designer und was sie vor allem den weiblichen Konsumentinnen bescheren. Und nun ziehen wir noch einen weiteren Kreis und schauen uns an, wer unsere Klamotten herstellt:

Experten sagen: Wir leben in einer Zeit, in der lokal globale Entscheidungen getroffen werden – besser kann man es nicht ausdrücken. Wer macht unsere Klamotten? Ihr könnt den Selbsttest machen. Geht zu eurem Kleiderschrank und zieht ein paar Sachen heraus. Das kleine eingenähte Etikett am Kragen verrät euch: Made in Indonesia, Made in Bangladesh, Made in China, Made in India.

Muss noch irgendwer irgendjemandem erzählen, was das bedeutet? Wissen wir nicht längst, dass diese Menschen nicht richtig bezahlt werden? Dass oft Kinder an den Nähmaschinen sitzen? Dass ein normaler Arbeitstag 16 Stunden dauert und man sich in manchen Fabriken nicht setzen darf während der Arbeit? Dass viele dieser Fabriken überfüllt sind und keine Brandschutzvorschriften eingehalten werden, sodass es oft zu schrecklichen Unfällen kommt, bei denen Menschen verbrennen, ersticken und vergiftet werden? Wo ist unsere Empathie, unser Gerechtigkeitsgefühl, wenn wir eine Hose, oder eine Bluse von der Stange kaufen? Als Muslime erklären wir Nichtmuslimen schließlich: Der Islam ist eine Religion, die sich nicht auf das Beten und Fasten beschränkt. Der Islam ist ein Lebensweg. Ein Lebensweg der in den großen Klamottenläden aufhört? Den wir draußen lassen, wenn wir in so einen Laden gehen?

Als in den 80er und 90er Jahren die ersten Horrorberichte über Nike in den Medien auftauchten, oder über Fabriken die GAP beliefern, oder T-Shirts die für WAL MART hergestellt werden, gab es einen Shift (Verzerrung der Dinge). Viele Unternehmer wussten sofort, dass sie mächtig in der Klemme saßen. Sie reagierten mit Statements, die Teilgeständnisse und Beteuerungen enthielten. Man werde versuchen in Zukunft verstärkt auf Arbeiterrechte zu achten. Vieles davon war glatt gelogen. Image ist schließlich alles.

Aber konsumieren macht so viel Spaß, weil es einfach unglaublich (ersatz-) befriedigend ist sich etwas zu kaufen. Denn das Geld strömt nach wie vor in die Kassen von Phil Knight, Glenn K. Murphy und Stefan Persson – und nicht in die Taschen von Ameena, 12 Jahre alt, die in Bangladesh in einer Fabrik arbeitet, weil ihre Eltern krank sind und nicht arbeiten können und sie dafür die Schule abgebrochen hat. Ameena wurde für eine WDR Doku über H&M interviewt – eine Doku in der es wohlweislich nicht in erster Linie um die Arbeiter ging, sondern darum wie groß der H&M „Trend Faktor“ und wie gut die H&M Qualität sei. Ganz am Ende der Doku widmen sich ihre Autoren den Arbeitern, fliegen nach Bangladesch und wollen sich ein Bild von den Verhältnissen machen. Sie treffen auf Ameena. Als sie Ameena Fotos der Teenager-Mädchen zeigen, die für die Doku über H&M in Deutschland  befragt wurden, lächelt sie und merkt an, das ihr die Fotos gefallen. Dann hält sie ein Foto hoch und sagt: „Der Unterschied zwischen diesen Mädchen und mir ist: Sie sind reich und ich bin arm.“ Als die Mädchen auf den Bildern in Deutschland das Filmmaterial sehen, verstehen sie diese Aussage nicht. „Wir sind doch nicht reich!“, empört sich eine von ihnen. – Was für eine verkehrte Welt.

Im Islam gibt es ein sehr genau detalliertes Handels-Fiqh. Hier ist nach genauen Regeln festgelegt worden, was ein gerechter Handel ist, ein gültiger Vertrag, und was nicht.

Einige Gelehrte vertreten z.B. die Ansicht, ein Händler dürfe nicht mehr als ein Drittel Preisaufschlag auf seine Produkte verlangen – ein Drittel – größer darf die sogenannte Handelsspanne nicht sein, sonst wäre ein solcher Kaufvertrag in den Augen vieler islamischer Gelehrter ungültig.

Noch einmal: Ein Drittel. Mehr als das bezeichnete man als «Mughabana» und Ghazali warnt in seinem Adab ul Kasb davor. Bezogen hierauf, würde das bedeuten: Wenn Nike einen Schuh für 30 Euro herstellen lässt, darf er ihn für 40 Euro verkaufen. Die Realität sieht so aus: Ein Markenhersteller lässt einen Schuh für 35 Euro herstellen und verkauft ihn für 135 Euro. Das Drei- bis Vierfache ist heute mehr als üblich. In der Kleidungsindustrie ist die Handelsspanne oft sogar noch größer.

Das Gegenteil ist ebenfalls islamisch nicht vertretbar: Ihtimal ul ghaban. Das bedeutet: Etwas hinzunehmen, wenn  ein Händler etwas so herstellt, dass er den Arbeiter nicht gerecht bezahlt, um selbst billiger herstellen zu können und so mehr beim Verkauf zu verdienen.

Vielleicht sollten wir das nächste Mal an diese Menschen denken, wenn wir in einen Laden gehen. Auf das Etikett zu schauen, kann Wunder wirken. Und dann hängt man den Pulli vielleicht doch lieber zurück an die Stange.

von Ilhaam E.