Läuft man durch Kreuzberg, kommt man an Plakatwänden vorbei, die sein Gesicht mit den großen Augen zeigen. „Das Lebenswerk ist vollbracht“, steht da. Zwei Ausrufungszeichen dahinter. Klaus Beyer hat alle Beatles-Platten auf Deutsch aufgenommen. Das Weiße Album war die letzte Tat. Seit 40 Jahren begleiten die Pilzköpfe sein Leben, seit 20 diktieren sie seinen Tagesablauf. Er ist Deutschlands skurrilster Künstler – seine schrägen Texte sind Kult.
Klaus Beyer
Nein, müde sei er nicht, versichert der 59-Jährige bei der Begrüßung in einer Winzkneipe mit Blick auf den Heinrichplatz. Es ist noch nicht Mittag und abends zuvor stand er im „Roten Salon“ an der Volksbühne auf der Bühne. Meist junge Leute im Publikum und einige treue Fans. Wer Klaus Beyer noch nie hörte, ist irritiert. Mancher schaut ungläubig, andere kichern. Doch ihr Lachen ist ohne Häme, eher ist es ein erstauntes.
Beyer ist kein Beatles-Imitator. Er ist auch kein bloßer Song-Übersetzer. Er nimmt Worte und komponiert eigene Reime, die er über die gesangsfreien Passagen der Originale legt. „Reime müssen sein“, erklärt er. So wird aus „When I’m 64“ – „Wenn ich 70 bin“. 64 hätte zu viele Silben, befindet er. Heraus kommen wundersame Texte mit eigentümlichem Charme, wie „Glück ist ein warmes Gewehr“ („Happiness is a warm gun“).
Die Magie der Worte hat auch Christoph Schlingensief gespürt. Er war einer der 800 Leute, die ihn 1999 bei einem Konzert in der Volksbühne hörten. „Kommen Sie doch in meine Gruppe“, forderte der Theaterregisseur ihn anschließend auf. Klaus Beyer war nie groß rausgekommen aus Kreuzberg, wo er geboren wurde und aufwuchs – bis ihn Schlingensief mit in die Welt hinaus nahm.
In Bayreuth stand er als Diener Parsifals auf der Bühne: „Ich brachte ihm den Mantel , reichte ihm den Schwan zu.“ In Manaus am brasilianischen Amazonas wirkte Beyer im Frühjahr 2007 im „Fliegenden Holländer“ mit: „Ein gewaltiges Orchester mitten im Urwald-Gebiet und halbnackte Tänzerinnen, die sich zu den Klängen bogen.“ Im November folgte er dem Meister zu einem Opernprojekt nach São Paulo. Wenige Tage nach seiner Rückkehr in Berlin wurde Klaus Beyer der Boden unter den Füßen weggerissen: Schlaganfall!
Er blieb nicht ohne Folgen. Es bereitet Klaus Beyer Mühe, sein Kostüm anzulegen. Der linke Arm macht nicht so mit, das linke Bein zieht er nach. Im Beutel hat er den Sergeant-Pepper-Mantel fürs Foto mitgebracht, der ihn seit 20 Jahren auf der Bühne begleitet. Das Sonnenlicht enthüllt die vergilbten Revers, die geknickte Pappe der Epauletten, rote Kordeln, die dünn geworden sind. Es war einmal ein Fleischermantel.
Und Klaus Beyer war in seinem früheren Leben Kerzenzieher. Er zeigt mit den Händen am Kneipentisch, wie sie Wachs formten, wie sie ihn zerschnitten. Das war sein Tagwerk. Seine Nachtarbeit war Texte formen und Filme schneiden. Regisseur Georg Maas, der mit Frank Behnke das Film-Porträt „Das andere Universum des Klaus Beyer“ gemacht hat, nennt ihn den „ungewöhnlichsten Super-8-Filmer der Welt“. Denn das macht der Künstler auch: Beatles-Filme.
Dazu zieht er die Gardine seiner 37-Quadratmeter-Wohnung („mein Home-Studio“) in der Reichenberger Straße zu, schneidet Bilder wie das gelbe Unterseeboot aus, setzt es auf Wellen aus Pappe und inszeniert eine wilde Verfolgungsjagd. So gesellen sich zu eigenwilligen Musik lustige Foto-Collagen, die er in Zeichentrickmanier mit der Kamera filmt.
Als er 18 war, schenkte ihm Vater seine erste Super 8, die es Laien ermöglichte, Filme zu drehen. An die 100 hat er inzwischen gemacht, die er in kleinen Clubs zeigte. „Die Premiere war im ,Sputnik’ im Wedding. Doch das Kino gibt es nicht mehr“, sagt er mit Wehmut in der Stimme. Seine Zeichnungen und Collagen zeigt er auf Ausstellungen. Drei Bilder hat er gerade nach New York verkauft.
Neulich sah er Ringo Star im Tempodrom, hätte ihm gern die Hand gedrückt, doch da war kein Rankommen an den Star. Aber vom ersten Schlagzeuger der Beatles, Peter Best, der vor Ringo von 1960-62 die Stöcke schwang, hat er ’nen Gruß. Best hörte ihn auf einer CD mit exotischen Beatles-Songs, schrieb begeistert: „You are so great!“
Auf die Frage nach seinem Lieblingslied kommt es wie aus der Pistole geschossen: „Yellow Submarine“. Doch begonnen hatte alles mit „Here comes the sun“. Es war 1969, als er bei Lord Knut das Lied hörte. Er schmetterte es laut nach. „Was singst du da?“, wollte die Mutter wissen. Weil sie kein Englisch verstand, nahm er sein Schulwörterbuch und übersetzte Wort für Wort. Der erste Text von fast 200.
Fast täglich schaute er bei der Mutter vorbei, die zwei Häuser weiter die Straße runter wohnte, um ihr im Wohnzimmer ein Ständchen zu bringen. Von ihr hat er sein fröhliches Wesen. „Aber sie war dreister als ich.“ Er zeigt ein Foto, beide nebeneinander auf der Couch. Maria Beyer mochte, was ihr Sohn machte, freute sich, wie aufgeschlossen der Schüchterne nun auf Menschen zuging. Das sagte sie ihm immer wieder, bis zu ihrem Tod vor vier Jahren.
Dass die Beatles nun abgearbeitet seien, mache ihn einerseits froh, andererseits würde ihm was fehlen, so Beyer. Doch er hat ein neues Objekt der Begierde: John Lennons Lebenswerk. Die Zeile zum Album „Imagine“ steht schon: „Denkt euch“. Der Anfang ist gemacht…
Von Irina Schrecker