Klammer brasilianischer Staat: Warum nicht auf Atomkraftwerke verzichten?

Klammer brasilianischer Staat: Warum nicht auf Atomkraftwerke verzichten?Es ist seltsam: Der Iran kämpft mit aller Macht darum, eigene Atomkraftwerke bauen zu dürfen, während man in Ländern wie Deutschland weitsichtig auf die weitere wirtschaftliche Nutzung der Atomenergie verzichtet. Ob dem Iran wirklich bewusst ist, was das bedeutet und welche Probleme es noch mit sich bringen wird? Oder geht es tatsächlich darum, sich in die Lage zu versetzen Atomwaffen entwickeln zu können? Eine weitere Schwellenmacht, Brasilien, kann seine Finger ebenfalls nicht von der "friedlichen" Nutzung der Atomenergie lassen. Noch unter dem Präsidenten Lula wurde der Weiterbau des AKW Angra III bewilligt. Kaum einer sieht einen großen Sinn dahinter oder ist es auch nur die Bombe, die da lockt?
Chico Whitaker, Architekt und Mitglied der brasilianischen Kommission Gerechtigkeit und Frieden, die sich auch an der Koalition "ein Brasilien frei von Atomkraftwerken" beteiligt, schrieb dieser Tage einen offenen Brief an den brasilianischen Finanzminister Joaquim Levy über das Thema Weiterbau des Atomkraftwerks Angra III und der Möglichkeit, die klammen Staatskasten auf diese Weise von hohen Kosten zu entlasten. Den offenen Brief gebe ich hiermit übersetzt wieder:
Herr Minister, wir haben in den Zeitungen ihre Anstrengungen zur Kürzung der Regierungskosten verfolgt. Wir hätten da einen Vorschlag zu machen, bei dem Milliarden sofort gespart werden könnten: Den Ausbau des Atomkraftwerks Angra III sofort zu stoppen.
Der Bau von Angra III wird von unangenehmen Überraschungen begleitet: Einige sind bereits ausgelöst durch Enthüllungen über am Bau beteiligte Firmen, die im Skandal Lava Jato genannt werden und die von der Justiz belangt werden können, falls die Staatsanwaltschaft die Anzeige weiterverfolgt, die 2010 vom Sicherheitsingenieur Sidney Luis Rabello von der Nationalen Nuklear-Kommission eingereicht wurde.
Seine Anzeige - seine Vorgesetzten versuchten sie zu vertuschen - bezog sich darauf, dass das Projekt Angra III noch vor den großen Atomunfällen von 1979 konzipiert und nicht an die neuen Sicherheitsnormen der Internationalen Atomagentur nach dem Unfall von Three Mile Island angepasst wurde. Der damalige Oberstaatsanwalt in Angra dos Reis wandelte die Anzeige in eine Empfehlung um, gut dokumentiert in 4 Bänden, die von Electronuclear unglücklicherweise in der üblichen betrügerischen Technikterminologie beantwortet wurde.
Herr Minister, dieses Projekt zu stoppen, bis es eines Tages noch einmal überprüft werden könnte, gäbe ihnen auch die Möglichkeit zu zeigen, dass sie sich nicht nur um die Wirtschaft, sondern sich auch um die Sicherheit und das Wohlwollen der Gesellschaft kümmern, indem sie dazu beitragen, dass ein Nuklearunfall, verursacht durch ein fehlerhaftes Projekt wie in Tschernobyl und Fukushima passiert.
Wer die Informationen über die Folgen dieser tragischen Unfälle kennt, der bezeichnet sie als Katastrophen wegen des kurz- und langfristigen Leidens der Arbeiter und der Bewohner der umliegenden Regionen und wegen der vielen tausend Toten, die bereits verursacht wurden und die weiterhin viele zukünftige Generationen über die radioaktiver Verseuchung weiter Gebiete bedroht.
Aber beziehen wir uns einmal nur auf die wirtschaftlichen Kosten. Ihre Exzellenz haben Kenntnis davon, dass der Finanzminister aus der Zeit des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, Pedro Malan, keine Stellung weder gegen noch für das Nuklearprogramm nahm, aber auch keine Mittel für den Bau von Angra III wegen der hohen Kosten bewilligte.
Sie wissen sicher auch, dass ein Finanzierungsantrag an europäischen Banken zur Vollendung der Arbeiten während vieler Monate anhängig war, weil es keine Antwort der brasilianischen Regierung auf den Fragenkatalog der deutschen Versicherungsgesellschaft Hermes bezüglich der Sicherheit des Atomkraftwerks gab und dass dieser Finanzierungsantrag dann an unsere Caixa Econômica Federal (Bundessparkasse) ging, die keinerlei Information dieser Art verlangte und dem Finanzierungsantrag entsprach.
Diese Arbeiten einzustellen würde viele zukünftige Finanzmittel einsparen - immer in der Größenordnung von Milliarden - für derzeitige und zukünftige Regierungen, wenn der Bau fertiggestellt und wir dann das Nuklearprogramm so wie in Deutschland geschehen einstellen müssten. Ein Rückbau eines AKW und seine Dekontaminierung würde 20 bis 60 Jahre dauern mit Kosten, die im allgemeinen höher sind als die Kosten seines Baus.
Durch die Entscheidung sein Atomprorgramm einzustellen hat Deutschland begonnen, in Erneuerbare Energien zu investieren. Erneuerbare Energien sind viel sicherer und sauberer wie die Solarenergie z.B,, von der wir hier in Brasilien ein riesiges Potential haben und die einen großen Teil unseres Bedarfs abdecken könnte.
Es ist gut sich daran zu erinnern, dass dieser Rückbau niemals auf einen späteren Zeitpunkt verschoben kann, einerseits, weil Atomkraftwerke aus verschiedenen Gebäuden bestehen, mit Gerätschaften, die man nicht einfach ihrem Schicksal überlassen kann, mit großen Mengen an radioaktiven Abfällen (erinnern wir uns an Goiania, wo nur 19 Gramm Cäsiumchlorid 137 eines ausrangierten Röntgengeräts den sofortigen Tod von 11 Personen und die Kontaminierung von weiteren 600 verursacht hat).
Viele dieser Abfälle haben eine "Halbwertzeit" von tausenden von Jahren und müssen deshalb ganz tief in Tunnels "versteckt" werden, abgeschieden von der Biosphäre bis zu einem Zeitpunkt, wo sie lebenden Organismen keinen Schaden mehr zufügen.
Wenn wir Angra III schließen bevor der Betrieb anläuft (womit sofort atomarer Müll entstehen würde), könnten wir diese Probleme vermeiden. Es bliebe dann nur zu wünschen, dass wir nicht auf Grund einer Wettbewerbssituation in eine weltweite Welle der Vernachlässigung von atomaren Anlagen geraten und auf einen vierten schwerwiegenden Unfall zusteuern.
Um beim atomaren Müll zu bleiben: Wir möchten ihre Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, dass die Bundesjustiz entschieden hat, dass die Atomkraftwerke gestoppt werden müssen, wenn Electronuclear das Problem eines Endlagers nicht bald gelöst hat. Ein Endlager an einem sicheren Ort für ständig neu produzierte Atomabfälle. Einer unserer Abgeordneter erinnerte vor kurzem daran, dass bisher kein reiches Land das Problem befriedigend gelöst hat, obwohl große Summen dafür ausgegeben wurden ( für viele Fachleute ist das Problem der Abfälle nicht lösbar).
Das Problem ist, dass einem Abgeordneten die Glanztat gelungen ist, mit der Frage "warum sollen nur wir das machen?" mit seinem Bericht an die Kommission für Wissenschaft und Technologie des Parlaments einen Gesetzesvorschlag, das neue AKW verbieten würde solange die Endlagerung des Mülls nicht geklärt ist, archivieren zu lassen.
Wir brauchen gar nicht darüber zu sprechen, dass der nächste Atomunfall in unserem Land passieren könnte. Die auf die Regierung zukommenden Kosten wären gigantisch, da zehntausende von Menschen sofort aus der Regierung evakuiert werden müssen, tausende von neuen Wohnungen gebaut werden, Hilfen und Entschädigungen gezahlt werden und ärztlicher und psychologischer Beistand angeboten werden müsste.
Die Kosten sind so grotesk hoch - und sie müssen für eine lange Zeit gezahlt werden -, dass in Weißrussland zum Beispiel (wegen des Atomunfalls in Tschernobyl) und in Frankreich (wo sich die Franzosen fürchten, es könnte ein Unfall in einer ihrer 58 Atomkraftwerke geben) man ein Programm erfunden hat zur "Nach-Unfall"-Erziehung (Ethos und SAGE) wo, da es nicht möglich wäre alle Menschen zu evakuieren, die evakuiert werden müssten, man die Menschen lehrt mit der Radioaktivität zusammen zu leben, bis diese ihre fatalen Folgen entwickelt.
Zum Schluss können wir sie noch darauf hinweisen, dass ihre Kostenvoranschläge explodieren werden, wenn die Kosten für die Sicherheit des AKW steigen: Sie sollten informiert sein, dass AREVA, das französische Unternehmen, das einen Vertrag hat, Angra III fertigzustellen, wegen dieser Kosten vor der Insolvenz steht und das hochmoderne AKW von Flamanville und auch ein anderes, das an Finnland verkauft wurde, in Gefahr ist, nicht fertiggestellt werden zu können.
Es wird sicher schwierig sein,  Präsidentin Dilma zu überzeugen, dass Angra III gestoppt werden muss: Sie war die Ministerin des Präsidenten Lula, als dieser entschied den Bau fortzusetzen. Aber das wäre keine Einsparung, auf die man leicht verzichten könnte, auch Strafen an das eine oder andere Unternehmen gezahlt werden müsste. Vielleicht sorgt die derzeitige Wirtschaftskrise dafür, dass der gesunde Menschenverstand im Planalto siegen wird.
Siehe auch
Atomkraftwerke in Brasilien? Ein Brasilianer redet sich den Ärger vom Leibe 
Informationsquelle
Questão nuclear: carta aberta ao ministro Joaquim Levy

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