Schluss mit Sommerpause! Mit diesem schönen Film melde ich mich zurück an die Blogger-Front. Weshalb gerade damit?
Weil ich fand, er verdiene Aufmerksamkeit – bevor er wieder in den Tiefen der Archive verschwindet.
LES FEMMES DU SIXIÉME ÈTAGE
(dt.: Nur für Personal!)
Frankreich 2010
Regie: Philippe Le Guay
Darsteller: Fabrice Luchini, Sandrine Kiberlain, Natalia Verbeke, Carmen Maura u.a.
Dauer: 108 min
Gesehen: im Kino Sterk 2 in Baden
Der Film:
Jean-Louis Joubert lebt seit seiner Kindheit im Haus seiner Eltern; inzwischen ist er verheiratet, hat zwei grosse Söhne und eine gute Arbeit in einer Bank.
Die Ereignisse kommen ins Rollen, als seine Frau das Zimmer seiner kürzlich verstorbenen Mutter umzuräumen beginnt. Für die französische Bonne, die schon ewig im Dienste der Jouberts steht und bereits Jean-Louis’ Eltern gedient hatte, ist das zuviel – sie kündigt.
Ersatz kommt „von oben“ – das heisst, aus dem sechsten Stock. Dort, unter dem Dach des joubert’chen Hauses lebt eine Gruppe spanischer Gastarbeiterinnen in ärmlichen Verhältnissen; sie alle arbeiten in verschiedenen noblen Häusern der Stadt als Dienstmägde.
Besagte „sixième étage“ wird für Jean-Louis zum siebten Himmel. Er fühlt sich von der Welt dort oben, die so ganz anders ist als die seine, magisch angezogen. Die Spontaneität, der Zusammenhalt und Lebenslust der Frauen fasziniert ihn, und er muss sich Schritt für Schritt eingestehen, dass es genau diese Qualitäten sind, die er in seinem emotions- und ereiegnislosen bürgerlichen Leben in der „besseren Gesellschaft“ unbewusst vermisst hat.
Sozialkitsch also! Tatsächlich liest man Kritiken, die dieses Schlagwort dankbar aufgreifen. Jedoch frage ich mich dabei ernsthaft, was den lieben Kritikern fehlt, dass sie nicht merken, wie weit sie mit diesem Pauschalurteil an der Essenz dieses Filmjuwels vorbeizielen. Dem Sozialkitsch weicht Les femmes du sixième étage mit geradezu bewundernswerter Sicherheit aus; natürlich sind die Schritte, mit denen Monsieur Joubert die sozialen Schranken niederreisst um seinen Himmel zu erreichen, utopisch. Doch der Film versteht sich ja gerade als Utopie, der die verschüttete Gefühlswelt eines Bourgeois nach aussen krempelt; wer ihn für bare Münze nimmt, hat nichts verstanden.
Le Guays Film zeigt, wie einfach es im Grunde wäre, wie wenig es bräuchte, um sich und anderen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Er zeigt einen Mann, der seine Fähigkeit zum kindlichen Staunen nicht eingebüsst hat, der dem Leben mit Offenheit gegenübertritt und der sich von der Liebe leiten lässt. Fabrice Lucini verkörpert diesen Menschen wunderbar glaubwürdig, mit ihm steht und fällt das ganze Unternehmen. Sein Staunen wirkt echt, seine kindliche Freude hat rein gar nichts Gekünsteltes. Man nimmt ihm den unfreiwilligen Aussteiger ab, dessen soziales Bewusstsein am Kontakt mit der Welt der Unterschicht wächst. Sein Joubert kann gar nicht anders als sich für der sozialen Ungerechtigkeit, der Menschenliebe und der Bedürftigkeit zu öffnen, die ihm „dort oben“ in Gestalt der sechs Frauen entgegentritt; die Figur ist vom hervorragenden Drehbuch so angelegt, psychologisch glaubhaft, und Lucini ist die ideale Besetzung für diese Rolle.
9/10
Der Kinogang:
Sommerzeit -Kinoflaute. Dies ist die Zeit, in welcher – zumindest in der Schweiz – die Verleiher mit Vorliebe Filme in die Kinos bringen, in deren Publikumswirksamkeit sie wenig Vertrauen haben. Spezielle Filme, meist ohne klingende Namen, die nur kurz laufen und sehr schnell wieder verschwinden. Ich gehe mit Vorliebe im Sommer ins Kino – da entdecke ich immer, wirklich immer, wahre Kinoperlen, Filme von denen meist kein Mensch gehört hat. Dass ausgerechnet bei Filmen mit wenig Publikumsresonanz Perlen zu finden sind, ist eigentlich logisch – wenn man sich die erschreckend niedrige Qualität der Filme mit Publikumsresonanz mal vergegenwärtigt.
Les femmes du sixième étage ist so ein Film, ein Märchen für Erwachsene, das unbedingt mehr Beachtung verdient – um das zu bewirken, habe ich sogar meine Sommerpause unterbrochen.
Hingehen, jetzt! Er läuft noch in den grösseren Orten – jedenfalls in der Schweiz. Danach wird er verschwunden sein – vielleicht erscheint er nicht mal auf DVD…
In Deutschland soll der Film erst am 3. November in die Kinos kommen.
Das Kinoerlebnis:
Gesehen haben wir – meine Gattin und ich – den Film im KinoSterk 2 in Baden. Das kürzlich zu einem Duplex umfunktionierte traditionsreiche Badener Lichtspielhaus Sterk präsentierte sich uns bei diesem unserem ersten Besuch als angenehm angelegtes „Doppelstock-Kino“ mit familärer Atmosphäre. Das liegt bestimmt nicht zuletzt am Empfang, der einem durch ein Pächter-Ehepaar zuteil wird, welches dem Theater ein Gesicht gibt. Sie betreiben das Kino im Alleingang und übernehmen alle Funktionen (Operateur, Verkauf, Platzanweisung) selbst. Kino wie anno dazumal also – eine Oase im gesichtslosen Einerlei der modernen Multiplex-Durchlauferhitzer.
Der Saal des Sterk 2 ist klein und unspektakulär aber angenehm eingerichtet, mit bequemen Sesseln und einem schlichten Interieur, das nicht mit Geblinke und Gepränge vom Film ablenkt.
Fazit:
Ein Film, den sich unsere Nachbarn in Deutschland vormerken sollten! Starttermin: 3. November!