Kino-Kritik: The Descendants – Familie und andere Angelegenheiten

Von Pascalritter89

In meiner Eigenschaft als bekennender Kino-Junkie komme ich nicht drumherum eine wahre Fülle an Kinotrailern passiv einzunehmen. Schon wenn sie im Netz landen, muss ich sofort einen Zug von dem Bildmaterial einatmen, sei es nur in einer Fremdsprache. Auch The Descendants habe ich schon lange vor dem Kinogang genießen können und jedesmal aufs Neue im Kinosessel den Duft von verschwitzten Hawaiihemden auf meinen Schleimhäuten zu schmecken vermutet, als der Trailer sich der breiten Öffentlichkeit einer stickigen Vorführung präsentierte.
Warum schreibe ich das so ausufernd? Weil “eigentlich” der Anblick des Trailers eine Qual für mich war. Wäre George Clooney nicht Hauptdarsteller, der Film wäre spontan in die “Oh Gott, noch so ein Narkotikum”- Liste gewandert und wahrscheinlich erst zu seiner TV-Premiere in Betracht gezogen worden. Doch Clooney und spätestens die Oscarnominierungen haben ihn dann doch in mein engeres Blickfeld rücken lassen.

Matt King (George Clooney) lebt auf den hawaiianischen Inseln. Doch als wären die Probleme mit einem großen Grundstück der Familie nicht genug, verunglückt seine Ehefrau Elizabeth bei einer Speedboottour und fällt ins Koma. Von der jüngeren Tochter Scottie (Amara Miller) überansprucht, holt er seine ältere Tochter Alexandra (Shailene Woodley) kurzfristig aus einer Privatschule. Doch was er von ihr erfährt, stellt sein Leben noch mehr auf den Kopf.

Ich mag George Clooney. Er ist ein guter, teilweise auch vielseitiger Darsteller. Gerade From dusk till dawn, Der Sturm, Solaris oder Up in the Air finde ich wirklich fantastisch. Mit der Ode an Hawaii, womit er uns diesen Winter im Kino beglückt, scheint er auch wieder einen großen Wurf gelandet zu haben, anders ließe sich die Oscarnominierung als bester Hauptdarsteller nicht erklären.
Doch, es ließe sich anders erklären – alternativlos. Das Lieblingswort der Politik im vergangenen Jahr scheint auch dieses Jahr bei den Oscars die Runde gemacht zu haben. Wobei es Alternativen gegeben hätte, mit Leo diCaprio (J.Edgar), Ryan Gosling (Drive oder Ides of March) und Michael Fassbender (Shame)… aber entweder man biedert sich in seiner Rolle zu sehr für die Oscars an (Ersterer) oder ist der Academy schlichtweg egal oder nicht “bekannt” genug (Letztere). Also doch, Clooney ist alternativlos.
Nachdem ich vergangene Nacht The Descendants in meinem wunderbaren Dorfkino erleben durfte, so erhärtet sich hier mein Verdacht. Denn George Clooney spielt den verzweifelten Vater gut…aber das war es auch. Der Charakter bietet wenig Tiefgang, wie alle Charaktere in dem Film übrigens, und verliert sich in üblichen Dramenklischees. Die ganze Zeit habe ich mir gedacht, dass dem Film Pep fehlt, denn je länger der Film andauerte, desto narkotischer wurde das Geschehen. Alles wirkt vorhersehbar und die Charaktere sind eindimensional. So macht man aus der tollen Kulisse Hawaii unglaublich wenig, die Lebendigkeit der Welt überträgt sich nicht.

Ab und an funkelte es dann doch im Film. Nur zu schade, dass der tolle Moment von Matt im Krankenhaus am Schluss emotional so an meinem Arsch vorbeiging, obwohl er inszenatorisch und inhaltlich erstklassig war. Der Film verpasste es einfach, mich an den Eingeweiden zu packen und mich mitfiebern bzw. -leiden zu lassen. Im Grunde ist der Film auch nicht schlecht, Alexander Payne hat ein objektiv betrachtet gutes Drama auf die Leinwand gezaubert. Doch mir fehlte die Seele. Ich liebe Seelen, denn da kann der miserabelste Film bei mir punkten. Merke ich den Bildern an, dass sie mir eine Geschichte erzählen wollen, dann will ich sie miterleben. Doch The Descendants erzählt keine Geschichte, sondern spult sein Schema F vor neuer Kulisse ab.

Mein erster”Reinfall” in diesem Jahr. Und das nicht, weil der Film miserabel ist, sondern weil er mir nicht das bieten konnte, was ich von einem Drama verlange: Emotionen, die ich tief in meiner Brust mitfühlen kann; Menschen, deren Leid mir nahe geht; eine Geschichte, die unverwechselbar in den Erinnerungen haften bleibt. Doch als Kino-Junkie muss man auch diese Filme erleben. Dafür ist man schließlich süchtig.