Kino-Kritik: Chronicle – Wozu bist du fähig?

Erstellt am 26. April 2012 von Pascalritter89

Superhelden oder übermenschliche Fähigkeiten üben seit jeher einen unausweichlichen Reiz auf die Menschen aus. Seien es die großen Superman und Batman, der unglaubliche Hulk oder die niedlich-krebserregenden Power Puff Girls. Und dieses Jahr kommen ja auch etliche Filme dieser Sorte heraus. Heute beispielsweise The Avengers, den jeder Marvel-Fan schon sehnsüchtigst erwartet. Oder der Abschluss der düsteren Nolan-Batman-Trilogie. Und den kompletten Neustart von The Amazing Spiderman nicht zu vergessen. Den Auftakt in eine Art von Superhelden-Sommer macht aber Chronicle-Wozu bist du fähig, der die Geschichte vollkommen normaler Teenager erzählt, die ihre Kräfte entdecken und dabei vollkommen unterschiedliche Lebenweisen einschlagen.

Andrew Detmer (Dane DeHaan) ist ein Junge aus einem Vorort von Seattle und hat keine Freunde. Seine Familie ist aufgrund einer mütterlichen Krankheit und einer väterlichen Trinksucht kaputt, auf der Schule erwartet ihn ein alltäglicher Spießrutenlauf. Irgendwann kommt er auf die Idee, sein Leben zu filmen. Einzig sein Cousin Matt Garetty (Alex Russell) ist ein beständiger Teil seines Lebens.
Doch schon am ersten Tag von Andrews neuem Kamera-begleitetem Leben nimmt das Videoband unglaubliches auf. Aus einer Höhle dringen seltsame Geräusche, die Erde zittert. Angetrieben von seinem Cousin und dem Schülersprecherkandidaten Steve Montgomery (Michael B. Jordan) wagt sich Andrew ins Erdreich. Danach ändert sich ihr Leben von Grund auf.

»Wozu wärst du fähig?« – Die Frage stellte ich mir bereits vorab zum Film und ich halte sie schlichtweg schwer zu beantworten. Generell können wir in solchen Fällen, ähnlich einem Lottogewinn, schwer abschätzen, wie es sich auf uns als Person auswirkt. Denn der Blick auf uns selbst bleibt uns trotzdem verborgen. Wir haben ein bestimmtes Bild von uns selbst, welches nicht immer mit der Realität übereinstimmt. Und so würde es wahrscheinlich auch bei einer solchen Frage aussehen. Wenn dir Macht gegeben wird, was würdest du damit anstellen? Würdest du es für das Gute einsetzen und Bösewichter jagen oder würdest du an all denen, die dir Schlimmes angetan haben, Rache üben wollen? Das sind Konjunktivfälle ohne jegliches Vorbild und wir können nicht Bestimmtheit sagen, wie wir entscheiden würden.

Chronicle – Wozu bist du fähig? versucht anhand seiner drei Protagonisten Möglichkeiten aufzuzeigen. Vor allem die beiden Cousins spielen hierbei eine Art Spiegelrolle: während der Eine sich von den Regeln der Menschlichkeit entfernt, lernt der Andere die Bodenständigkeit. Das überrascht nicht, vor allem wenn man die Trailer vorab begutachten konnte. Aber der Film will nicht überraschen, anders als es andere Filme mit ähnlichem Stil versuchen. Chronicle ist nämlich aus Handkameraperspektive gedreht, ähnlich einem Cloverfield oder Apollo 18.  Und bisher war dieser Stil nicht mehr als schmückendes Beiwerk, um Atmosphäre zu heucheln oder den Zuschauer zu nerven. Ganz schlimm soll es ja mittlerweile durch Devil Inside geworden sein, wo noch mehr versucht wird, dem Film einen “realistischen” Doku-Touch zu verpassen. Quasi Scripted Reality im Kino. Würg.
Hier ist die Handkamera aber wirklich ein stilistisches Mittel. Oft sind Kameraperspektiven, die eigentlich unbrauchbar wären, aber einfach zum Geschehen passen, und wenn die Superkräfte wachsen, wird auch die Kamera immer ausgefeilter. Dies alles gefiel mir persönlich um Längen besser als die Wegrenn-Verwackel-Aufnahmen eines Cloverfield.

Insgesamt überrascht Chronicle in nahezu jeder Hinsicht. Die Schauspieler agieren nicht, als wären sie gelangweilt (hier wäre wieder ein Verweis auf das doofe Apollo 18 angebracht). Obwohl der Film nur 84 Minuten lang ist, haben sie unglaublich viel Raum, um ihre Charaktere entwickeln zu können. Viele Zweistünder erzählen weniger und schlechter als dieser Film-Snack. Auch Action kommt nicht zu kurz, wobei es sich fast nur auf das Finale beschränkt. Aber auch hier: viele andere Superhelden-Filme (z.B. Hancock) können blank ziehen vor der gewaltigen Auseinandersetzung in Seattles Innenstadt. Und man muss betonen: dieser Film hat nicht nur beschränkte Mittel (Budget von 12 Mio. $ laut boxofficemojo.com), sondern auch einen “unerfahrenen” Regisseur mit Josh Trank.

Chronicle – Wozu bist du fähig? bringt frischen Wind in zwei Bereiche des Films: dem Superheldengenre, das sich nahezu komplett nur noch von Comics ernährt, und des Handkamera-Films, der sich dank Blair Witch Project überwiegend im Horrorgenre tummelte. Gerade bei letzterem bin ich auch auf den kommenden Projekt X gespannt, der die Auswüchse einer Facebookparty präsentiert. Endlich mal sinnvoller Scheiß mit Handkameras!
Chronicle versucht nicht überraschend innovativ und einzigartig zu sein, schafft es aber eine gelungene Charakterstudie im kleinen Stile zu präsentieren, die man auch als Allegorie auf Amokläufer an Schulen deuten könnte. Wir sind nicht das, was wir sind, weil wir sind, sondern weil uns die Umstände dazu treiben.