Kino für Stilfetischisten

An dieser Stelle könnte es um Drive gehen, einen dröhnenden Actionstreifen mit Hugh Jackman. Doch der Star sprang ebenso ab wie der vorgesehene Regisseur. Das Drehbuch kam zu Hollywoods Mann der Stunde, Ryan Gosling. Der holte das dänische Regiewunderkind Nicolas Winding Refn an Bord.

Und so geht es an dieser Stelle um Drive, den Geniestreich – zu entschleunigt für einen Actionfilm, zu mitreißend für eine Charakterstudie, zu brutal für einen Kunstfilm und zu außergewöhnlich, um an ihm vorbeizukommen.

Drive steht in der Tradition einer kurzen Epoche um 1980. Regisseure wie Michael Mann (Der Einzelgänger) und Walter Hill (Driver) erzählten damals in Neonlicht und Synthieklänge getränkte Balladen von wortkargen, ultraprofessionellen Männern, die an dem, was sie am besten konnten, zugrunde gingen. Stilisierte Meditationen über unterdrückte Gewalt, urbane Einsamkeit und Leben in ständiger Bewegung.

Der amerikanische Traum bedeutet hier, nur die Wahl zwischen Flucht und Tod zu haben. Aber immerhin ist das eine Wahl. Und aufs Flüchten versteht sich auch der Driver.

Gosling als Mann ohne Namen

Tagsüber arbeitet er als Stuntfahrer in Hollywood, nachts können Ganoven seine Dienste in Anspruch nehmen. Seine Geschäftsbedingungen sind einfach und der Driver – einen anderen Namen wird Goslings Figur den ganzen Film über nicht bekommen – erklärt sie jedem neuen Kunden: fünf Minuten lang können sie auf ihn zählen. In fünf Minuten bringt er sie in Sicherheit. Was aber davor und danach passiert, das geht ihn nichts an.

Drive beginnt mit einer solchen Fluchtfahrt. Refn macht daraus ein Lehrstück über inszenatorische Ökonomie, auf die gleiche Weise schön und geheimnisvoll wie das Innere eines Schweizer Uhrwerks, und so spannend wie keine anderen fünf Minuten der vergangenen Kinomonate.

Darin spielt der Driver, zwei Einbrechern auf der Rückbank, mit Polizeiautos und -hubschraubern Katz und Maus, versteckt sich in den Schatten und schlägt Haken, lauert und rast los. Die Sequenz kommt ohne Dialoge aus. Polizeimeldungen knarzen aus dem Funkgerät. Im Radio laufen die letzten Momente eines Baseballspiels.

Der Driver erfüllt seinen Auftrag schließlich mit einem Manöver, das von atemberaubend präziser Planung zeugt. Mit jemandem wie dem Driver am Steuer scheint alles möglich. Mit jemandem wie dem Driver sollte man sich zugleich besser nicht anlegen.

Stumme Blicke statt vieler Worte

Wie in einem Film Noir der alten Schule wird er sich nach der Ouvertüre auf eine Frau einlassen und mit seiner Rettung auch seinen Untergang besiegeln. Irene (Carey Mulligan) heißt sie, wohnt im Apartment nebenan und mit ihr und ihrem Sohn Benicio (Kaden Leos) verlebt der Driver glückliche Momente. In ihren stummen Blicken liegen ganze Dialogseiten über Träume, Wünsche, ungelebte Leben und das traurige Wissen um die Begrenztheit ihrer gemeinsamen Zeit.

Denn Irene ist verheiratet. Ihr Mann (Oscar Isaac) wird aus dem Gefängnis entlassen und erpresst. Einen letzten Überfall soll er ausführen. Irene und Benicio zuliebe hilft ihm der Driver. Natürlich geht alles schief und eine Gewaltspirale setzt sich in Gang. An deren Ende wird der Driver zwischen Tod und Flucht vielleicht nicht mehr für sich selbst wählen können. Aber womöglich noch für andere.

Bestes Zitat: «Wenn ich euch fahre, sagt ihr mir Ort und Zeit, ich gebe euch fünf Minuten. In diesen fünf Minuten könnt ihr auf mich zählen, egal was passiert. Davor und danach seit ihr auf euch gestellt. Ich werde keine Waffe tragen. Nur fahren» (Der Driver erläutert seine Geschäftsbedingungen)

Titel: Drive
Regie: Nicolas Winding Refn
Darsteller: Ryan Gosling, Carey Mulligan, Bryan Cranston, Albert Brooks, Oscar Isaac, Christina Hendricks, Ron Perlman
Länge: 101 Minuten
Altersfreigabe: ab 18 Jahren
Verleih: Universum
Starttermin: 26. Januar 2012

Quelle:
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Ryan Gosling in «Drive» – Kino für Stilfetischisten


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