„6 Feet Beneath The Moon“
(XL/True Panther)
Am Ende ist es die Stimme. Dieses dunkle Raunen, dieses Vokale ins Endlose dehnende Organ, das man jedem Mittdreißiger ohne Zögern zugesteht, einem Neuzehnjährigen aber irgendwie nicht abnehmen will. Archy Marshall, Rotschopf aus dem Londoner Südosten, vorsichtiger Blick, schmale Silhouette, vom Zoo Kid zum King Krule in nur zwei Jahren und jetzt schon der allerhippste Geheimtipp, heißerer Scheiß als Skrillex – dieser Junge mit so einer Stimme? Sie macht tatsächlich den Unterschied, teilt die Lager in die Bereitwilligen, restlos Begeisterten und die ewigen Abwinker, die – ach! – schon so viele haben kommen und gehen sehen und ohnehin hinter jeder noch so kleinen Überraschung nur die windigen Trendforscher und die gierigen Plattenbosse vermuten, die sich feixend gegenseitig auf die Schultern klopfen.
Sie ist nicht schön, sondern sehr markant, diese Stimme, spricht eher als dass sie singt, klingt wie ein tiefer Abgrund, wie hohles Gehölz, klingt nach Jahren an Erfahrung (nicht der besten), nach Joe Strummer und Gil Scott Heron, in den weicheren Momenten kann mit ihr auch mal Kurt Maloo durch die Erinnerung blitzen, der einst wunderschöne Songs für das Schweizer Duo Double besungen hat. Man mag sie oder eben nicht. Mehr als anderswo ist sie hier zusätzliches Instrument, Unterscheidungsmerkmal, Formgeber. Was Marshall dann um sie herumbaut, ist eine ausgefuchste Mixtur aus Dubstep, Jazz und trippigen Electrobeats. Der Einstieg mit dem herrlich nölenden „Easy Easy“ ist dabei klanglich eher die Ausnahme, in der Mehrheit werkelt King Krule an trägen, düster hallenden Downtempotracks á la Burial, wechselweise mit forschen (Foreign 2, The Krockadile) oder hintergründigen, zähen Drums (Has This Hit?) illustriert.
Nicht minder überraschend auch die Lyrics. Auch das macht er schon wie ein Großer, wenn er etwa in „Baby Blue“ in den schummrigen Halbschatten croont: „My sandpaper sigh engraves a line into the rust of your tongue. I could've been someone to you, would have painted the skies blue, baby blue...“ Puh, was will man dem charmanten Hochstapler denn da noch erzählen? Sonst: Stilwechsel allerorten, hier (Neptune Estate, Bathed In Grey) versucht sich Marshall in Rap, für das quirlige „A Lizard State“ kommt viel Blech mit Saxophon zum Zuge. Was immer ihm für die vierzehn Stücke einfällt, er bewegt sich auf jedem Terrain mit beeindruckender Sicherheit und einer Reife, die man (siehe Stimme) von einem Jungen mit kaum zwanzig Lebensjahren nun wirklich nicht erwartet. Ohne Zweifel eine der interessantesten Platten der Saison, wenigstens ein Platz auf der Shortlist zum renommierten Mercury-Prize sollte ihm in diesem Jahr deshalb sicher sein. http://kingkrule.co.uk/beneaththemoon/