Heute morgen fiel mein Blick auf das Handgelenk der kleinen Ina. Ehe ich mich versah überfluteten mich Bilder aus der Vergangenheit. Ich liebte die Plastiksteinchen, aufgefädelt auf Gummiband, besonders aber das kleine Foto des Ortes das auf dem größten Steinchen eingeprägt war. Souvenir Armbänder für Kinder, in jedem Urlaubsort bekam ich eines. Meine Mutter die damals noch reisebegeistert war, verhalf mir so zu einer ganzen Sammlung.
Während ich mich mal wieder bei ebay auf Spurensuche begab, entdeckte ich etwas was mir entfallen war. Ich hatte lange nach dem Titel dieses Buches in meinen Erinnerungen gesucht, umsonst…nun gab es mir das worldwide web zurück. Mein erstes Buch mit dem ich die Freude am Lesen entdeckte.
In der 2. oder 3. Klasse, war das Lesen für mich noch immer eine Qual. Ich hatte Angst vor der Schule, Angst vor der Lehrerin, die mich spöttisch behandelte, Angst vor der Hortnerin. Lernen war eine lästige zähe Angelegenheit. Ich fühlte mich dumm.Gut kann mich an das Gefühl des Nichtgenügens erinnern. Ein Herzanfall meiner Mutter machte einen längeren Krankenhausaufenthalt nötig und ließ mich für einige Wochen, das Umfeld wechseln. Ausgangspunkt war unsere Plattenbauwohnung in Halle- Neustadt. Ich war das einziges Kind einer seit kurzen alleinerziehenden Mutter, die in Vollzeit ihren Beruf ausübte. Die Schule die ich besuchte war mit nahezu 900 Schülern nicht klein. Ich hielt mich dort von 7.00 bis 17.00 Uhr auf.
Das beschauliche Sangerhausen zeigte mir das Leben von einer anderen Seite. Die Schwester meiner Mutter bot mir in ihrer fünfköpfigen Familie Asyl. Die Altbauwohnung strahlte gediegenen Charme aus. .Mit Susa, die in Jahr älter war, teilte ich mir ein Zimmer . Wie genossen wir das gesellige Dasein. Auch die neue Schule war anders. In einer kleinen, behüteten Dorfschule wurde ich liebevoll von der Lehrerin begrüsst, die Klasse nahm mich mit offenen Armen auf. Nach dem Unterricht durfte ich mit dem Schulbus nach Hause fahren. Mein älterer Cousin hatte manchmal bereits das Essen aufgewärmt.
Innerhalb kürzester Zeit verbesserten sich meine Leistungen in Mathematik. Statt Dreien brachte ich Einsen und Zweien nach Hause, nur mit dem Lesen und Schreiben wollte es nicht klappen. Einmal hatte ich im Diktat eine 4 geschrieben. Aus Angst vor der Reaktion meiner Tante unterschrieb ich in ungelenker Kinderschrift mit meinem Vornamen. Die Lehrerin amüsierte sich, jedoch nicht auf meine Kosten.Sie half mir bei der Problemlösung. Ich ging gern zur Schule.
Abends las mir Susa stets vor(sie war ein Jahr älter als ich). An jenen Abend war sie zu müde Sie hatte die kostbare Zeit damit verbracht für die Kinderoper Hänsel und Gretel zu üben. Ich glaube es stand ihr ein Vorsingen bevor. Sie sang und sang tief im Bett vergraben, während ich ungeduldig darauf wartete, die Fortsetzung der Geschichte im Buch zu erfahren. Endlich , nach einer gefühlten Ewigkeit legte sie die Noten beiseite.Sie könne nicht mehr vorlesen, teilte sie mir mit. Sie müsse jetzt schlafen, außerdem sei morgen Schule. Ich bat, bettelte, forderte dann wütend, ohne Erfolg. Wütend nahm ich das Buch selbst in die Hand, sie hatte ihr Licht bereits gelöscht.” Du wirst Ärger von Mutti bekommen, wenn du das Licht noch anlässt”, murmelte sie noch bevor sie einschlief.. Ich begehrte selten auf, aber zu lange hatte ich auf die Geschichte gewartet.Unwillig griff ich zum Buch. verzweifelt, zäh, mühsam las ich Wort für Wort. Meine Tante betrat später ärgerlich das Zimmer, schimpfte aber nicht, weil sie mich lesen sah. Nach nur einem Monat war mein Lesestil flüssig.
Zurück in der heimatlichen Schule(6 Wochen später) sollte ich vorlesen .Noch heute kann ich den spöttischen Blick meiner Lehrerin fühlen, als ich zunächst holpernd und haspelnd begann. Doch die Unsicherheit legte sich . Ich las Satz für Satz flüssiger, betont und fehlerfrei .Nach dem Vorlesen sah ich auf und in das irritierte Gesicht der Feldherrin. In Mathe fiel ich bald auf eine Drei zurück, das Lesen aber hatte ich gelernt und für mich entdeckt.