Kinderschutz in einer menschenverachtenden Gesellschaft

Es soll zwar nicht der falsche Eindruck entstehen, dass es sich bei diesem Blog um einen Kristina-Schröder-Portal handelt, aber ich will nicht verschweigen, dass sich unsere Ministerin gelegentlich auch in ihrem eigentlichen Fachgebiet betätigt. Gestern hat die Familienministerin einen Gesetzentwurf für ein neues Kinderschutzgesetz vorgelegt. Damit soll Vernachlässigung „so gut wie unmöglich“ gemacht werden.

Die Frage ist, wie ein Gesetz das schaffen soll. In einer Gesellschaft, deren Mitglieder vor Freude hyperventilieren sollen, wenn sie das Wort „Freiheit“ hören, ist es schwierig, Privatleuten dermaßen in ihr Privatleben zu schauen. In einer Gesellschaft, in der Kinderkriegen, Kinderaufzucht und Kindererziehung als absolute Privatsangelegenheit angesehen werden, erst recht.

Gerade zu Weihnachten wird das Bild der heiligen Familie wieder besonders hochgehalten: Dabei ist gerade die Familie ein idealer Hort von Terror und Verbrechen. Missbrauch und Gewalt finden gerade im engsten Familienkreis besonders häufig statt und Morde sind meistens Beziehungstaten. So sind es bei Kindesvernachlässigung naturgemäß in erster Linie die leiblichen Eltern, die ihren Kindern Schreckliches antun.

Aber genau die auf Familienidylle versessene bürgerliche Gesellschaft kettet die Familienmitglieder auf Gedeih und Verderb zusammen, im wahrsten und traurigsten Sinne des Wortes. Und bei dieser gnadenlosen Verkettung bleibt der eine oder andere auf der Strecke. Es geht ja niemanden etwas an, was hinter verschlossenen Türen statt findet. Jessica, Kevin, Lea-Sophie, diese Kinder sind zuhause einen langsamen und qualvollen Tod gestorben.

Kinder gehören den Eltern

Der Staat, die Gesellschaft hat sie mit ihren offensichtlich unfähigen und überforderten Eltern allein gelassen. In einer Gesellschaft, die von Konkurrenz und Rücksichtslosigkeit geprägt ist, ist das auch kein Wunder. Jeder hat die Freiheit zu versagen. Aber man kann nicht ausgerechnet von den Schwächsten, von den Aussortierten, von den Verlieren erwarten, dass sie, die ohnehin schon nicht besonders gut mit den herrschenden Zuständen zurecht kommen, in Extremsituationen plötzlich funktionieren. Und rund um die Uhr kleine Kinder versorgen zu müssen ist eine Extremsituation. Da funktionieren auch sonst erfolgreiche Menschen nicht immer besonders gut.

In einer Gesellschaft, in der sich Privatleute über Privateigentum definieren, bleibt nicht aus, dass auch Familienangehörige als Eigentum betrachtet werden. Und um das Eigentum anderer muss man sich nicht kümmern. Man DARF es auch gar nicht. Natürlich werden Kinder erstmal als Eigentum der Eltern definiert. Die sind dann halt zuständig, ob sie dazu in der Lage sind oder nicht. Genauso wie man nicht einfach in ein leerstehendes Haus, das einem anderen gehört, einziehen kann, kann man sich auch nicht einfach um die Kinder anderer Leute kümmern. Und auch oder gerade der Staat kann da nicht einfach so ran.

Genauso ist das übrigens auch mit Ehepartnern – es wird erwartet, dass die Ehepartner für einander einstehen. Wenn sich ein Partner aus welchen Gründen auch immer als unfähig erweist, hat der andere den Mühlstein um den Hals, und kaum eine andere Wahl, als mit dem anderen unterzugehen. Es ist extrem schwierig, aus einer solchen Situation heraus zu kommen. Insbesondere, wenn der, der den anderen runterzieht, sich nicht scheiden lassen will. Für den Staat ist das alles in allem eine bequeme Sache, genau deshalb wird die Ehe auch gefördert: Dann ist nämlich für sämtliche Missgeschicke, die einem Ehepartner zustoßen, erst einmal der andere haftbar. Erst wenn beide am Ende sind, muss der Staat wieder ran. Aber das nur am Rande.

Familien-Hebammen für überforderte Eltern

Im Falle der Kinder heißt das, dass sie erstmal Pech haben, wenn ihre Eltern nicht so funktionieren, wie sie sollten. Das hat die Familienministerin nun endlich auch erkannt. Daher will sie eigens ausgebildete Familien-Hebammen in Problem-Familien schicken, die den überforderten Eltern mit Rat und Tat beiseite stehen sollen. Denn in der Regel zeichne sich bereits während der Schwangerschaft ab, ob die Eltern überfordert sein könnten oder nicht. Kinderärzten soll das Recht eingeräumt werden, dass sie bei akutem Verdacht auf Misshandlung eines Kindes ihre ärztliche Schweigepflicht brechen können, um Behörden zu alarmieren. Die in Deutschland für Kinderschutz zuständigen Jugendämter müssen dem Entwurf zufolge als Problem-Familien identifiierte Familien Zuhause besuchen, um Gefährdungen für Kinder auszuschließen. Nur in begründeten Einzelfällen soll dies unterbleiben können.

Am Streitpunkt der verpflichtenden Hausbesuche scheiterte schon der Kinderschutzgesetz-Entwurf der Vorgängerregierung, weil sich die Große Koalition nicht einigen konnte, ob Hausbesuche bei Problemfamilien obligatorisch sein sollten oder nicht. Aber wenn man es halbwegs ernst meint, sind solche Besuche das Mindeste, was getan werden muss, um vernachlässigten Kindern und überforderten Eltern zu helfen.

Nebenbei: Schröders Vorgängerin von der Leyen hat in ihrer neuen Funktion als Ministerin für Arbeit und Soziales genau diesen Familien mit einer besonders originellen „Erste-Hilfe-Maßnahme“ geholfen, nämlich der Streichung des Erziehungsgeldes für Hartz-IV-Empfänger. Mit monatlich 300 Euro weniger kommt man nämlich gar erst nicht auf dumme Gedanken und kann den Nachwuchs gleich ans Überleben mit Wasser, Brot und Frohsinn gewöhnen.

Noch viel mehr würde es natürlich helfen, wenn alle Kinder in einer Gesellschaft aufwachsen könnten, in der sich die Leute nicht den ganzen Tag nur um sich selbst und ihren Scheiß kümmern müssen, um zu überleben. Es ist so dramatisch wie es klingt, auch wenn viele das nicht wahrhaben wollen: Ständig muss man sich selbst optimieren und vermarkten, muss man konkurrieren, erst um den Job, dann im Job mit den anderen, man muss sich bewähren, fit bleiben, andere ausstechen, besser sein, länger durchhalten, immer und überall. Und wenn man dann auch noch Kinder hat, verschärft sich das entsprechend, weil man ja dieser Verantwortung nebenbei auch noch gerecht werden soll. Da muss man schon übermenschlich stabil und fit sein, um alles zu schaffen.

Nein, die herrschenden Verhältnisse sind nicht schön. Eine Gesellschaft, die insgesamt nicht menschenfreundlich ist, kann gar nicht kinderfreundlich werden. Egal, wie viele Gesetze zum Kinderschutz noch nachgeschoben werden.



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