Kinderkrebs ist anders
Die Diagnose einer Krebserkrankung beim eigenen Kind stellt eine belastende Erfahrung für die Eltern dar. Damit nicht genug müssen sich die Eltern mit zusätzlichen Sorgen im Zusammenhang mit der Therapie, mit der Erwerbssituation und den damit verbundenen finanziellen Konsequenzen sowie den Spätfolgen der Erkrankung beschäftigen. Eine Mutter gibt einen Einblick in ihr Familienleben mit einem an Leberkrebs erkranktem Kind und erklärt, weshalb es eine Krebsforschung braucht, die speziell auf Kinder zugeschnitten ist.
Erstens kommt es anders,…
Nach einem schwierigen Start ins Familienleben können Camilla und Richard endlich mit ihren kleinen Kindern Elin und Oscar die ersten gemeinsamen Weihnachtsferien in Schweden verbringen. Die Eltern freuen sich, die Zwillinge dem schwedischen Teil der Familie vorzustellen und sich in Camillas Heimat von den wochenlangen Strapazen etwas zu erholen. Da Elin und Oscar viel zu früh zur Welt gekommen sind, haben sie die ersten 17 Wochen ihres Lebens auf der Neonatologie des Inselspitals verbracht. Eine strenge Zeit, die nun aber abgeschlossen zu sein scheint.
… zweitens als man denkt
Doch in Schweden fällt den Eltern Oscars aufgeblähter Bauch auf. Der Kleine wird von Husten überfallen und muss sich ständig übergeben. In der Notaufnahme des Spitals entdecken die schwedischen Ärzte in Oscars Bauch einen Handball grossen, rund ein Kilo schweren Tumor. Sofort ist klar: Oscar muss umgehend zurück in die Schweiz, um sich weiteren Abklärungen zu unterziehen.
Die Diagnose
Nach verschiedenen Untersuchungen im Inselspital Bern und im Unispital Genf werden Camilla und Richard mit der schockierenden Diagnose konfrontiert: Oscar leidet an einem sehr seltenen Hepatoblastom, einem bösartigen Lebertumor.
Oscar unterwegs zur Kontrolle Tapfer lässt Oscar die Untersuchung über sich ergehen
Die Therapie
Vier Chemotherapien, eine achtstündige Operation, zwei weitere Chemos – die Behandlung des Tumors zieht sich über mehrere Monate hin. Oscar verbringt insgesamt sechs Monate im Spital – an seiner Seite nicht nur zahlreiche Ärzte, die ihn ständig überwachen, sondern auch seine Mutter Camilla, die in rund um die Uhr betreut.
Die ersten Konsequenzen
Zur lähmenden Diagnose kommen Existenzängste dazu: Erkrankt ein Kind schwer, erhalten Eltern heute maximal drei Tage Urlaub. Camilla kann aufgrund von Oscars hohem Betreuungsaufwand nicht mehr arbeiten und für Richard stellt sich die Frage, wie er seinen Job und Elins Betreuung unter einen Hut bringt. Auf die im Ausland lebenden Grosseltern kann das Ehepaar nicht zurück greifen. Zum Glück findet die Familie ganz kurzfristig ein Aupair-Mädchen, das sofort mit anpacken kann und mit dem sie sich auf Anhieb sehr gut verstehen.
Mit dem Aupair-Mädchen kochen und backen Elin und Oscar oft und gern!
Das Leben nach der Behandlung
Seit der Diagnose sind rund vier Jahre vergangen. In einem Gespräch mit Camilla erfahren wir, wie es Oscar und der ganzen Familie heute geht und weshalb sie an die Öffentlichkeit gelangen:
Geheilt, aber nicht ganz gesund
Liebe Camilla, es freut uns sehr zu hören, dass Oscar als geheilt gilt. Was heisst das? Wie geht es ihm heute?
Oscar hat den Tumor besiegt. Das heisst, dass er keine Ableger hat und sein Leber-Tumormarker normal ist. Die Therapie ist abgeschlossen und Oscar ist im Sommer zusammen mit Elin in den Kindergarten eingetreten.
Auch wenn er nicht mehr in Behandlung ist, muss sich Oscar aber nach wie vor regelmässig untersuchen lassen. Alles sechs Monate unterzieht er sich einer Blutentnahme und einem Ultraschall des Bauchs. Zusätzlich werden die Lungen geröntgt, das Herz untersucht, CT-Scans gemacht und das Gehör kontrolliert. Wegen der Chemotherapie hat Oscar bereits einen Hörverlust erlitten. Für diese halbjährlichen Kontrollen müssen wir jeweils zwei bis vier Tage innerhalb von zwei Wochen ins Spital. Die Kontrollen sind jedes Mal aufs Neue belastend, doch sie sind wichtig. Die Therapien verursachen viele Nachwirkungen und einige Kinder erleiden auch einen Rückfall, oftmals in Kombination mit einer anderen Krebsform. Dass die Krankheit jederzeit wieder zurück kommen kann, belastet mich sehr.
Die Bedeutung der klinischen Forschung
Wie wichtig war bzw. ist klinische Forschung für Oscar?
Das Hepatoblastom ist eine sehr seltene, bösartige Krebsart. Ohne klinische Forschung wäre Oscar nicht mehr da. Die Heilungserfolge der letzten Jahrzehnte waren nur möglich, weil Kinderonkologen und Forscher im Rahmen von internationalen klinischen Studien eng zusammengearbeitet haben. Die Überlebensrate von Krebsarten, die vor 50 Jahren noch tödlich verliefen, ist heutzutage bei über 80 Prozent. Deshalb ist es für uns nicht nur selbstverstandlich, dass wir selber an klinischen Studien teilnehmen, sondern wir möchten auch andere Betroffene dazu motivieren, die klinische Krebsforschung zu unterstützen.
Was kann mit der Unterstützung der klinischen Forschung erreicht werden?
Nur dank klinischer Forschung erhalten krebskranke Kinder in der Schweiz, im Rahmen von internationalen Studien, Zugang zu weltweit modernsten Therapiemethoden. Auch wenn die Forschung vielleicht dem eigenen Kind nicht mehr helfen kann, so kann sie anderen krebskranken Kindern und Jugendlichen laufend bessere Heilungschancen, weniger aggressive Therapien und weniger gravierende Spätfolgen bieten. Gerade diese bereiten mir grosse Sorgen. Oscar gilt zwar als geheilt, aber dennoch ist er nicht ganz gesund.
Weshalb braucht die Forschung finanzielle Unterstützung?
Klinische Forschung ist sehr aufwändig und teuer. Da Kinderkrebs zu den seltenen Krankheiten zählt, sind verhältnismässig viele Forschungsprojekte für eine kleine Patientengruppe nötig. Das ist sehr kostenintensiv und nur wenig lukrativ für die Pharmaindustrie. Aus diesem Grund sind es fast ausschliesslich nicht-profitorientierte Organisationen, die im Bereich Kinderkrebs forschen. Weil der Bund «nur» rund 40 Prozent der Finanzierung übernimmt, müssen die restlichen 60 Prozent über andere Quellen eingenommen werden. Damit auch Schweizer Kinder mit einer Krebserkrankung weiterhin die grösstmöglichen Überlebenschancen erhalten, benötigt die klinische Forschung unbedingt mehr finanzielle Mittel. Deshalb unterstützen wir die neue Sensibilisierungskampagne von Kinderkrebs Schweiz (siehe Video weiter unten), die auf dieses wichtige Thema aufmerksam macht und zu Spenden für die klinische Kinderkrebsforschung aufruft. Selber engagieren wir uns als Familie ebenfalls weiterhin für die Forschung – im Golfclub, in welchem ich arbeite, werde ich nächstes Jahr ein Golfturnier organisieren. Ich hoffe auf breite Unterstützung.
Ende gut, alles gut?
Welches sind eure Wünsche, Erwartungen, Forderungen an den Staat, an die Gesellschaft?
Es wäre schön, wenn betroffene Familien nicht nur seitens Staat und Arbeitswelt mehr Unterstützung während sowie auch nach einer schweren Krankheit erhalten würden, sondern auch seitens Schule. Kindergärten und Schulen bzw. Lehr- und Betreuungspersonen sollten befähigt werden, Kinder, die eine schwere Krankheit hinter sich haben, bedürfnisgerecht zu unterrichten und zu betreuen. So ist Oscar diesen Sommer zwar in den Kindergarten eingetreten, hat den weiteren Besuch kürzlich allerdings vorerst einmal unterbrechen müssen…
Persönlich ist es mir zudem sehr wichtig, dass Betroffene über ihre Sorgen sprechen dürfen, ohne ständig Angst haben zu müssen, andere damit zu nerven oder zu belasten. Betroffene suchen durch das Gespräch kein Mitleid. Doch die Krankheit ist ein Teil der betroffenen Familien geworden. Auch wenn die Krankheit besiegt ist, ist für Betroffene längst nicht alles vorbei.
Dieses Interview ist im Rahmen der durch uns unterstützten Kampagne Ohne Forschung keine Heilung von Kinderkrebs Schweiz entstanden. Wir danken Camilla Adby herzlich, dass sie uns einen Einblick in ihr Familienleben mit einem krebskranken Kind gewährt hat. Oscar, Elin und ihren Eltern wünschen wir für die Zukunft nur das Beste.
Wer die Kampagne und somit die klinische Forschung unterstützen möchte, kann dies durch Teilen dieses Blogposts über die eigenen sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram, Snapchat, Linkedin, Xing etc.) und Verwendung der Hashtags #4von5, #ShareDonate, #KinderkrebsSchweiz, #gogold tun. Vielen Dank!
Weiterführende Informationen zu Kinderkrebs Schweiz sowie zur Kampagne „Ohne Forschung keine Heilung“ findet ihr auf der Webseite. Das Interview, das Camilla Tuneld gegenüber Kinderkrebs Schweiz gegeben hat, könnt ihr im nachfolgenden Video sehen:
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- Kinderkrebs: Geheilt, aber nicht ganz gesund
- Retinoblastom: Wenn bereits ein Blick in die Augen Leben retten kann
- Retinoblastom: Wenn bereits ein Blick in die Augen Leben retten kann – Teil 2
- Kinderkrebs: Mehr als eine gesundheitliche Herausforderung
- Zum Kinderkrebstag: Leben ohne Ende
- Sternenkind: Wie Till seinen Himmel fand
- Pink Ribbon Charity Walk: Gemeinsam ein Zeichen im Kampf gegen Brustkrebs setzen
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