Kinderchirurg Dr. Krummerfinger. Oder: Mal wieder in die Kinderklinik.

Kinderchirurg Dr. Krummerfinger. Oder: Mal wieder in die Kinderklinik. Kinderchirurg Dr. Krummerfinger. Oder: Mal wieder in die Kinderklinik. Kinderchirurg Dr. Krummerfinger. Oder: Mal wieder in die Kinderklinik.

Fotos oben: “Bitte warten Sie.”

Er ist schief, der kleine Finger. Jetzt, wo die Haut allmählich nachwächst und sich die gelblich-grüne Farbe allmählich wieder einem Farbbereich nähert, der keinen Würgreflex mehr auslöst, sieht man es ganz deutlich.

Wir folgen also dem Vorschlag des Unfallchirurgen und fahren in die Kinderklinik, irgendwas mit Dislokation in der Wachstumsfuge steht auf dem Überweisungsschein.

Vorsichtshalber rufe ich vorher an:

“Hallo, Solanum hier, mein Sohn (7) hat sich vor zwei Wochen den kleinen Finger gebrochen, aber irgendwie ist der Finger schief und unser Unfallchirurg hat gesagt, wir sollen zu Ihnen kommen, um zu gucken, ob noch was zu retten ist. Können Sie uns einen Termin geben?”

“Frau Solanum, wir sind eine Kinderklinik, wir haben 24 Stunden offen.”

“Und das heißt?”

“Kommen Sie!”

Ich sammle alle Kinder ein und schon um fünf Uhr sitzen wir in der S-Bahn, nicht ohne zuvor die Feen- und Elfen-Flügelchen zu kaufen, die wir für die Zwillingsdrachenkostüme benötigen. Wenn man den Schmetterling hinten drauf wegtüncht und die ovalen Formen etwas vereckt, sieht es bestimmt rattig drachig aus.

S-Bahn-Fahrt mit dreimal Sohn

Die Vorgeschichte erspare ich mir, aber der geneigte Leser kann sich denken, dass drei Jungs in der S-Bahn am späten Nachmittag andere Dinge im Kopf haben, als stoisch aus dem Fenster zu starren.

Nach gefühlten 132 Stationen steigen wir aus. Ich bin ja schon länger Mutter, also ignoriere ich die Blicke der aufatmenden Mitfahrer, von denen uns jeder zweite am liebsten erschießen will. Situationsbedingt sehe ich ja alles zwanghaft positiv: Meine drei Söhne hätten sich streiten, beißen, hauen oder lauthals brüllen können. Das eine fiese Kreischen des großen Riesensohnes ist doch verständlich, wenn man bedenkt, dass Sohni ihm gerade den kleinen Finger eingequetscht hatte, aus Versehen natürlich. Die drei machten zwar fürchterlichen Lärm, aber es war Gackern, Kichern, Fröhlichkeit. Ehrlich: Freiwillig würde ich niemals um fünf Uhr nachmittags mit der S-Bahn fahren. Da scheuche ich sie lieber ihre zehnte Runde um den Sportplatz.

“Bitte warten Sie.”

Egal. Endlich angekommen stelle ich mich brav in der Warteschlange an. Das ist so ein menschliches Ding, oder? Wo viele stehen, muss es richtig sein. Die Frau vor mir belehrte mich eines besseren: Melden Sie sich direkt bei der Notfallambulanz. Das musste ich auch. Nachdem ich HIER schon angestanden hatte. Und dann NOCHMAL hier anstellen.”

Aha. Für solcherart Tipps bin ich ja durchaus offen. Die Notfallambulanz aber nicht.

“Was wollen Sie hier?”

“Die Dame von der Anmeldung im Eingangsbereich sagte, ich solle mich ersteinmal hier melden.” (Ist doch wurscht, welche Dame, oder?)

“Was haben Sie denn?”

“Mein Sohn hat sich vor zwei Wochen den kleinen Finger gebrochen. Jetzt ist er schief, und der Unfallchirurg hat uns hierher geschickt.”

“Dann müssen Sie einen Termin machen.”

Ohne Worte.

Ich schlendere wieder zur Anmeldung. Inzwischen haben zwei meiner Kinder ihr großes Geschäft im Örtchen erledigt. Mann, Mann, wieso gibt es hier eigentlich keine Klofrau? Scherz beiseite. Ich bitte die Dame vor mir in der Schlange, meinen Platz schlagkräftig zu verteidigen, damit ich mich nicht noch einmal von ganz hinten anstellen muss.

Wir sind an der Anmeldung:

“Hallo, ich bin Frau Solanum, wir haben uns schon in der Notfallambulanz gemeldet und jetzt sind wir hier.”

“Sehr gut”, lobt mich die Dame an der Anmeldung, “was gibt es denn?”

Ich schiebe unseren kryptischen Überweisungsschein über die Theke.

“Welchen Kinderarzt haben Sie denn?”

“Dr. Elmar Glotzkowsi”, erwidere ich, “es gibt noch eine Frau Dr. Elvira Glotzkowski, aber bei der sind wir nicht.”

“Ist es eine Gemeinschaftspraxis?”

“Nein, die Frau hat eine eigene Praxis.”

“Also doch eine Gemeinschaftspraxis.”

Werde ich in zehn Jahren auch so sein?

Wo sonst kann man sich heute noch die Pest holen?

Die Kinder vergnügen sich bereits auf dem Kinderspieleschiff im Wartebereich, und ich versuche, nicht an all die entzückenden Bakterien und Viren zu denken, die sicherlich hungrig auf ihre nächsten Opfer warten. Kinderwartezimmer – wo sonst kann man sich die Pest holen?

Dr. Krummerfinger braucht ein wenig, bis er die Chronologie unserer Geschichte begreift und die Röntgenbilder auf seinen Bildschirm zaubert.

Dann wird der Finger betäubt, unter Betäubung gebogen, bis mir übel wird, eine Schiene angelegt und geröntgt. Diesen Satz zu schreiben kostet weit weniger Zeit als all die Tätigkeiten, die er beschreibt.

Fazit: Der Finger ist krumm und soll morgen zur allgemeinen Erheiterung vor den Kinderchirurgen der Klinik präsentiert werden, die Bilder, nicht der Finger.

Diesen nehme ich mitsamt dem großen Riesensohn und den Zwillingen, die tapfer auf dem Spieleschiff die Augen aufhalten (inzwischen ist es acht Uhr abends) wieder mit, nur: Wie halte ich die Kinder wach, bis wir von der S-Bahn in den Bus wechseln können? Ich kann unmöglich zwei Vierjährige tragen.

Mein genialster Gedanke heute:

Da hilft nur eines: Ein ordentlicher Zuckerschock. Ich ziehe M&Ms aus dem Krankenhausautomaten …

Der Plan geht auf, um zehn liegen alle im Bett. Alle? Nicht alle. Eine tippt noch, was wohl dem Cola light Schock geschuldet ist, aber irgendwie musste ich mich ja wachhalten, bis alle Jungs geschniegelt und gezähneputzt in meinem Bett liegen.

Und wieso nur haben wir solche Abenteuer meist dann, wenn der ansonsten beste Ehemann von allen und vor allem sein Auto auf Dienstreise sind? Am Sonntag werden wir uns viel zu erzählen haben …



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