Wie analysiert man eigentlich einen Kinder- bzw. Jugendfilm? Dieser Fragestellung ist noch die Definition vorangestellt, wie man überhaupt einen Spiel- oder Zeichen/Animationsfilm in diese Gattung kategorisiert. Und genau das sind zwei Fragestellungen, die von Dr. Tobias Kurwinkel, Universitätslektor für Kinder- und Jugendmedien an der Universität Bremen sowie Leiter des Internetportals kinderundjugendmedien.de, und Philipp Schmerheim von der Universität Amsterdam, lehrend an der Universität Düsseldorf, in ihrer recht umfangreichen Publikation Kinder- und Jugendfilmanalyse, im Juni 2013 beim UTB-Verlag erschienen, beantwortet werden. So banal die Fragestellungen dabei zuerst auch klingen mögen, werden sie schon sehr bald als notwendig und relevant dargelegt. Dass es nicht nur eine, sondern mehrere Formen der Filmanalyse gibt, ist unbestreitbar gegeben, jedoch wird hier auf das Fehlen einer spezifischen Filmanalyse hingewiesen, die explizit die kindliche Rezeption von Filmen fokussiert. Sowohl Kinder als auch Jugendliche werden laut der Veröffentlichung als separate Rezipientengruppe ignoriert, Kinder- und Jugendfilme oftmals nur auf inhaltliche Schwerpunkte reduziert.
Hier setzen nun Kurwinkel und Schmerheim an. Ihre Kinder- und Jugendfilmanalyse – oder genauer: ihre ausdrucksmittelübergreifende Kinder- und Jugendfilmanalyse setzt einen Schwerpunkt auf strukturelle Gegebenheiten dieser Gattung, fragt nach den Ausdrucksmitteln, mit denen die Zielgruppe angesprochen wird, fragt nach der Wirkung des Zusammenspiels dieser Ausdrucksmittel und arbeitet somit mit filmästhetischen Gestaltungsmitteln und dramaturgischen Strukturen, bewegt sich nicht (nur) im Rahmen inhaltlicher Aspekte der Geschichte. Ein zentraler Punkt ist hierbei der Gehörsinn von Kindern und Jugendlichen, ein wichtiger Bestandteil des Rezeptionsverhaltens, der in der Kinder- und Jugendfilmanalyse genauer beschrieben wird. Mit dieser Herangehensweise möchte man mit diesem Buch ein Grundlagenwerk geschaffen haben – inklusive ausführlichem Glossar, dass die wichtigsten Begrifflichkeiten zusammenfasst – das in vielerlei Disziplinen einsetzbar gemacht werden kann: vornehmlich Literatur-, Kultur-, Medien- und Erziehungswissenschaften.
Ihre ausdrucksmittelübergreifende Kinder- und Jugendfilmanalyse entwickeln die beiden Autoren derweil nicht aus dem Nichts heraus, sondern legen verschiedene Werke auch als Grundlage für ihre Publikation, darunter der Aufsatz Auralität und Filmerleben. Ein Ansatz zur Analyse von Kinder und Jugendfilmen am Beispiel von Harry Potter und der Gefangene von Askaban, der wiederum in Bettina Kümmerling-Meibauers und Christian Exners Von Wilden Kerlen und wilden Hühnern. Perspektiven des modernen Kinderfilms erschienen ist. Dennoch arbeiten Kurwinkel und Schmerheim ihre Ausführungen noch viel weiter aus, gerade Beispielanalysen von Filmen wie Die Tribute von Panem, Madita, Tarzan 2, Paranoid Park und Ratatouille helfen dabei, die Ansätze nachvollziehbar werden zu lassen, die theoretischen Ausführungen in der filmanalytischen Praxis umgesetzt zu sehen.
Und weiter geht das Buch darauf ein, was überhaupt unter dem Kinder- und Jugendfilm zu verstehen ist, einer Gattung, die nicht zuletzt seit kommerziell erfolgreichen Kinofilmreihen wie Die wilden Kerle und Die wilden Hühner einen Bedeutsamkeitsanstieg erfahren hat. Dabei wird sowohl eine Eigendefinition des Kinder- und Jugendfilms, sich selbst gegenüberstehend, vorgenommen, als auch eine Abgrenzung von anderen Erscheinungen, wie z. B. dem Blockbusterfilm. Der Großteil der Publikation bleibt aber doch dem Analyseverfahren verschrieben, schafft nun eben diesen neuen Ansatz, der mit Blick auf das erlebnisorientierte, emotionalisierte und mit dem Gehörsinn arbeitende Rezeptionsverhalten junger Menschen einhergehen soll.
Und das sind nur einige Aspekte der Kinder- und Jugendfilmanalyse, die in ihrer Gänze eine in sich stimmige Erarbeitung des Analyseverfahrens bietet, untermalt mit interessanten Exkursen zum Animationsfilm oder zur Historie der Gattung. Warum diese Sparte der Filmproduktion lange Zeit eine Randerscheinung war, mag nicht erklärt werden können, aber solcherlei Veröffentlichungen helfen dabei, den Kinder- und Jugendfilm in ein rechts Licht zu rücken, ihn im Lehr- und Lernangebot (hoch)schulischer Veranstaltungen zu etablieren. Die ausdrucksmittelübergreifende Kinder- und Jugendfilmanalyse bietet dabei sicherlich ein komfortables Handwerkszeug.
Die Kinder- und Jugendfilmanalyse von Tobias Kurwinkel und Philipp Schmerheim ist im UTB-Verlag erschienen.