In der Financial Times Deutschland stolperte ich vorhin über den Artikel „Geburtenstudie – Warum viele Paare kinderlos bleiben“ . Dieser befand sich bezeichnenderweise in der Rubrik „Management und Karriere“. Denn mit Karriere und vor allem Geld ist es schnell vorbei, wenn der Nachwuchs erst einmal da ist. Wer also rechnen kann und nicht völlig plemplem ist, lässt das mit dem Kinderkriegen lieber. Auch wenn laut der zitierten Studie noch immer die meisten Menschen schon gern Kinder hätten – theoretisch.
Praktisch ist das aber kein Spaß. Und das liegt keineswegs nur daran, dass menschlicher Nachwuchs evolutionsbedingt ziemlich anstrengend ist, weil er so viel lernen muss. So ein kleines Menschlein steht nach der Geburt nicht einfach auf und springt anmutig hinter der Mama her über die grüne Wiese. Der braucht in der Regel gut ein Jahr, bis er sich überhaupt auf seinen Beinen halten kann. Und kackt dann noch ein, zwei weitere Jahre Windeln voll. Mehrfach täglich. Und so lange dauert es dann auch, bis ein Menschlein sich einigermaßen artikulieren kann und nicht immer gleich frustriert losheult, wenn es den Erwachsenen nicht begreiflich machen kann, dass es hungrig, durstig oder müde ist. Oder sonst irgendetwas will, was keiner peilt. Und dann ist es logischerweise schlecht drauf – was ja durchaus auch älteren Menschen passieren kann. Und viele davon können sich dann auch nicht adäquat ausdrücken. Alles nicht so einfach bei den Menschen.
Und wenn dann auch noch die Lebenswelt dermaßen menschenfeindlich eingerichtet ist, dass auch die meisten Erwachsenen mit den an sie stellten Anforderungen nicht mehr klar kommen, muss man sich über gar nichts mehr wundern. Eigentlich. Aber die Demografen wundern sich doch, und auch viele Politiker, denn so ein Staatswesen samt Wirtschaftssystem funktioniert auf Dauer nur, wenn regelmäßig frischer Nachwuchs bereit gestellt wird. Und bitte nicht nur Kopftuchmädchen oder Kleinkriminelle, oder was aktuelle Parallelgesellschaften sonst so hervor bringen.
Sondern bittschön blitzgescheite, leistungsbereite, deutschsprachige Prädikatskinder, die auch in der schlechtausgestattetsten Brennpunktschule im abgehängten Problembezirk noch ein Zweier-Abitur hinkriegen und nebenbei den Antigewalt-Konfliklöser-Führerschein absolvieren.
Gut, in Bayern reicht eventuell auch noch ein guter Hauptschulabschluss in München-Bogenhausen ohne Antigewalt-Training, da kennt man noch die Ehrfurcht vor dem Watschenbaum, den man nicht umfallen lassen will. So eine christliche Erziehung hat ja auch ihre Vorteile. Sofern es noch wen zum Erziehen gibt, womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären.
Den Auftraggebern solcher Studien fällt ja immer so einiges ein, wenn sie erklären wollen, warum das mit dem Nachwuchs hierzulande derzeit so schwierig ist: Die Leute sind halt anspruchsvoller geworden, man findet nicht so leicht einen Partner, mit dem man Kinder groß ziehen kann, die Verhütung funktioniert ziemlich gut, die Karriere wird auch bei den Frauen wichtiger und schließlich denken die Leute immer mehr an sich – so dass sie sich den ganzen Stress mit dem Nachwuchs ersparen wollen. Und dann stellen die Studien-Interpreten sogar fest: „Beständigkeit, Berechenbarkeit, strukturelle Verlässlichkeit, das ist es, was Leute zum Kinderkriegen brauchen. Und das ist es offenbar, was fehlt, in einer Zeit, da wir alle schnell, flexibel, mobil sein sollen.“
Hier kommen wir der Sache schon näher. Denn bei aller Selbstoptimierung, die man den Leuten heutzutage abverlangt, damit sie überhaupt noch ein einigermaßen erträgliches Leben auf die Reihe bringen, ist es einfach nicht mehr drin, sich auch noch intensiv um andere zu kümmern. Und das ist immer wieder ganz schlicht eine Frage des Geldes. Wenn man die Leute heute so knapp hält, dass sie ihre ganze Energie für den Erwerb ihres Lebensunterhaltes verwenden müssen, bleibt weder Kraft, sich einer intensiven Beziehung zu widmen, noch sich um Nachwuchs zu kümmern. Das hat übrigens nichts mit Egoismus zu tun.
Wobei ich nicht behaupten will, dass es früher einfacher gewesen wäre, Kinder groß zu ziehen. Es gehörte halt dazu, weil Sex nun mal zu Kindern führt, wenn nicht ausreichend und ausreichend gut funktionierende Verhütungsmittel zur Hand sind. Daher konnte man sich als Herrschender in den vergangenen Jahrhunderten schon darauf verlassen, dass die Leute halt Kinder bekommen, egal in welchem Elend man sie zu leben zwingt.
Das ist heute tatsächlich anders. Und das ist vielleicht endlich eine Chance, die zu einem Umdenken führen könnte – denn eine Gesellschaft, die ihre Menschen so systematisch im Stich lässt, wie die unsrige das tut, ist es nun wirklich nicht wert, um jeden Preis mit Nachwuchs am Laufen gehalten zu werden.
Das, was seit Jahrzehnten so beschönigend wie verlogen als Errungenschaft, nämlich als fortschrittlicher Sozialstaat verkauft wird, ist nichts weiter als der erbärmliche Beschwichtigungsversuch einer Gesellschaft, die im Grunde nichts dazu gelernt hat: Es gibt noch immer eine Klasse von Besitzenden, die von der Arbeit derer, die eben nicht zu den Besitzenden gehören, sehr gut leben können, und eben alle anderen, die um zu leben halt arbeiten müssen. Nur ist sich die Klasse derer, die sich im Job krumm machen müssen, sich dessen oft nicht bewusst, weil sie es doch auch zu einer hübschen Wohnung, einem Auto, einer Einbauküche oder gebracht haben.
Aber das alles ist schnell weg, wenn der Job und damit die Existenzgrundlage erstmal weg ist. Und mit Kindern ist diese Gefahr sehr viel größer. Da hilft auch ein großzügiges Erziehungsgeld für Besserverdiener wenig. Denn in Deutschland ist es so, dass wenn Familie gefördert wird, in erster Linie die Besserverdiener-Familie gemeint ist. Kinder auf Hartz-IV-Niveau will eigentlich keiner haben – obwohl Arbeitslose ja nun wenigstens die Zeit hätten, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Aber Kinder und kein Geld zu haben ist auch nicht schön – obwohl es ja eine absurde Neiddebatte gibt, weil manche Leute die Frechheit besitzen „auf Kosten der anderen“ Kinder großzuziehen. Dreimal darf man raten, wer die Kohle einsteckt und wer die Prügel dafür.