Das Elterngeld ist eine gescheiterte Zuchtprämie. Es hat dieser Gesellschaft nicht mehr Kinder aus vermögenden Lenden gepresst. Deswegen wollen es manche Politiker auf den Prüfstand heben. Nur deswegen natürlich. Dass es chronisch ungerecht ist, weil es das Kind armer Eltern schlechterstellt, als das Kind vermögender Eltern, kümmert nach wie vor niemanden. Für ein Kind aus der Unterschicht sind 300 Euro im Monat zu viel - für eines aus der Oberschicht sind 1.800 monatliche Euro (was der Höchstsatz ist) noch zu wenig. Für ein prekäres Kind sind 300 Euro derart viel, dass man gar dazu überging, es beim Bezug von Arbeitslosengeld II anzurechnen. Gnädig, dass man den Höchstsatz, als Ausgleich quasi, nicht nach oben geschraubt hat, um akademische Kinder zu fördern, genauer: auf die Welt zu befördern. Bessergestellte nicht noch besser zu stellen, während man Schlechtergestellte kaltstellt: das sind heutzutage schon beträchtliche Anzeichen sozialen Gewissens...
Glück, wer da noch eine Großmama hat, die gelegentlich einige Groschen beisteuern kann. Eine Gesellschaft, die nur noch ungerne Sozialstaat ist, benötigt familiäre Bande, die abfedern, was der Sozialstaat nicht mehr zu leisten bereit ist. Nun kappt das Landessozialgericht Chemnitz auch diese Säule der Unterversorgung und erlaubt es den Behörden amtlich, finanzielle Zuwendungen, die eine Großmutter ihren Enkeln angedeihen läßt, anzurechnen. Denn dies sei erzieltes Einkommen, argumentiert man unter Sozialrichtern. Arme Kinder, die ja immer auch arme Eltern im Gepäck haben, dürfen nicht zu große Unkosten aufwerfen - und spendable Großmütter dürfen sie auch nicht mehr haben. Man muß der Armut schließlich zeigen, was man von ihr hält - man muß ihr klarmachen, dass man sich in der Armut so einrichten muß, dass das normale Alltagsleben ein durchgehend unzureichender Zustand ist. Armut hat ärmlich zu sein - ohne Ausnahme, ohne Omas mit finanziellen Polster. Wenn man zwischen Armut und Reichtum ein unüberwindbares Loch gräbt, so glauben die Zucht- und Fertilitätsgelehrten nämlich, dann bekommen auch die richtigen Leute Nachwuchs. Demographie als eugenische Lehre...
Nun könnte man zum großen Entwarnungs-Halali blasen. Die Kinder dürfen das Geld ja nun doch behalten, die Behörde zeigte sich gnädig. Auch eine Säule dieses Sozialstaates, den man nicht sehr liebt: man ersetzt Rechtssicherheit und Fairness durch Kulanz, die man hin und wieder walten läßt. Nicht weil man das für richtig oder gar gerecht erachtet, sondern weil es bessere PR abwirft, wenn im Sozialstaat manchmal auch der Mensch zählt. Nicht immer, das geht freilich nicht - aber manchmal sollte es doch klappen. So sieht es auch nicht danach aus, als würde sich diese Elite des Sozialstaates entledigen, als würde sie nur bestimmten Kindern von bestimmten Eltern in bestimmten sozialen Höhenlagen unter die Arme greifen. Die amtliche Gnade ist ein nützliches Feigenblatt, um die haltlosen Zustände, die ins SGB II notiert sind, zu bedecken.
Kinder falscher Leute haben immer schon am eigenen Leib erfahren, was sie sind. In der Schule, im Sportverein und wo immer man auch auf Vorurteile stoßen konnte. Der Sozialstaat sollte hier ansetzen, er sollte Vorurteile erschweren, weil er denen, die unter gesellschaftlicher Ausgrenzung leiden, hilfreich zur Seite steht. Nun leben wir aber in einem Sozialstaat, der in seinen Regeln und Gesetzen, keine Hilfestellung sein will, sondern ein Instrument der Vorurteilsverschärfung. Er wurde in seiner eigentlichen Funktion pervertiert und soll nicht Gleichheit erzielen, sondern falsche Leute davor bewahren, Kinder in die Welt zu bringen. Und falls sie es doch tun, so bestraft man sie. Dann gibt es weniger hier, weniger dort und immer wieder Ungleichbehandlung mit solchen Kindern, deren Eltern die richtigen Leute in Augen der Zuchtmeister sind. Der Sozialstaat, so hat man oben erkannt, kann sinnstiftend verwertet werden, wenn er nicht absichert, sondern verunsichert.