Kim Gordon: Vom Suchen und Finden seiner selbst

Kim Gordon: Vom Suchen und Finden seiner selbstKim Gordon
„Girl In A Band“

(KiWi)
“Was ist erschreckender als ein Paar, dass – nach 30 Jahren in einer eigenen Band, nach 27 Jahren Ehe, nachdem sie 17 Jahre gemeinsam ein Kind großgezogen haben – beschließt, die Nase voll zu haben? Während sie Erfolg hatten, waren auch wir erfolgreich.“
Was macht das mit einem, wenn man solche Zeilen über sich lesen muss? Zeilen, geschrieben von einer Online-Journalistin, die implizieren, nun, da man sich getrennt habe, sei man ebenso Schuld am Misserfolg aller anderen? Wie geht man damit um, gefangen in einem Mythos, von dem man nur zu gut weiß, dass er nicht funktioniert hat? Es ist ein altbekanntes Phänomen, dass nicht wenige zu Ikonen stilisierte Menschen, Künstler zumeist, bereitwillig ihren eigenen Ruf auf’s Spiel setzten, um Erwartungen und falsche Bilder zu brechen. Kim Gordon, Mitbegründerin und Bassistin der amerikanischen Noiseband Sonic Youth, mithin gern aufgerufenes und verehrtes Role-Modell für so vieles, Kim Gordon also schreibt ein Buch. Ein Buch, wie es widersprüchlicher nicht sein könnte, so dissonant wie ihre Musik, so umstritten, so ambivalent. Ein Buch, das mit dem Ende beginnt – ohne die Trennung von Thurston Moore, Vater ihrer gemeinsamen Tochter und kreativer Partner, ohne das darauf folgende Ende von Sonic Youth hätte es wohl kein Buch gegeben. Und das mit dem Beginn endet, ihrem Neuanfang, ihrem Re-Start, ihrem Versuch, sich neu zu orientieren nach dem Zerfall so vieler Sicherheiten.

Das Eingangszitat stammt aus dem ersten Kapitel, eines von später folgenden, die schwer zu ertragen sind, wenn man Kim Gordon nicht wirklich näher kennt, sondern ihre Person aus Videos, von Plattencovern und Interviews imaginiert und sie so zum kühlen, in sich gekehrten Rockgirl stilisiert, die alles fest im Griff hat, die nichts erschüttern kann. Über weite Strecken des Textes macht sie einen zum Voyeur wider Willen, zum Mitwisser, dann, wenn sie detailgetreu und mit viel Bitternis die Geschichte ihrer Trennung schildert. Intimste Szenen einer Ehe, die man so genau gar nicht lesen wollte, die ein erschrecken lassen ob der Bereitschaft, all dies dem Boulevard, der gefräßigen Presse auf dem berühmten Silbertablett zu servieren. Die Breite des verlassenen häuslichen Bettes, die verräterischen Mails und Textnachrichten, alle Kümmernisse und Verletzungen werden haarklein beschrieben und für so der medialen Nachnutzung anempfohlen – schon suchen Scharen von Paparazzi nach der geheimnisvollen Person, die beider Beziehung zerstört hat. Sie braucht ihren Groll und ihre Enttäuschung ganz gewiss nicht hinterfragen, aber musste sie es aller Welt zu lesen geben?

Und doch: Viele andere Kapitel zeichnen einen beeindruckenden Bogen vom unfertigen, verunsicherten Mädchen, gestartet in der totenbleichen und lähmenden Sonne Kaliforniens, über die inspirierenden Auslandsaufenthalte mit den Eltern, die Hassliebe zum Moloch New York mit seiner schier unfassbaren Kunst- und Musikszene bis hin zur Familienkommune in Northhampton. Ein Bogen, der vor dem Bildschirm des heimischen Fernsehapparates endet und ein Konzert der eigenen Tochter zeigt, wie diese mit sparsamer, selbstbewusster Gestik ihre Mutter rührt. Wie an einer Perlenkette aufgereiht trifft man die Mitspieler dieser Sinnsuche, Dan Graham, Cindy Sherman, Tony Oursler, Greil Marcus, Lydia Lunch, Henry Rollins und Kurt Kobain. Menschen, die ihr neue Anstöße gaben, die sie die Anonymität New Yorks ertragen ließen oder einfach nur für ein Dach über dem Kopf sorgten. Man erfährt allerlei Erstaunliches über liebgewonnene Alben und Songs, begleitet die Entstehungsgeschichte bahnbrechender Werke wie „Daydream Nation“ oder „Goo“ von der Aufnahme bis zum Coverentwurf.

Auch, dass ihr die Widersprüchlichkeit quasi in die Wiege gelegt wurde, erfährt man. Zärtliche Zeilen über den Professorenvater, dem sie so vieles recht machen wollte und bei dessen Tod sie nicht zugegen sein konnte. Distanziertes über ihre Mutter, die schroff und wenig vertraulich geschildert wird und zu der Gordon erst ganz spät eine tröstende Nähe entwickeln kann. Schmerzvoll und prägend das Verhältnis zum schizophrenen Bruder Keller, den die Familie in den Focus der Aufmerksamkeit stellt, woran die Schwester Zeit ihres gemeinsamen Lebens leidet. Und letztendlich ein unentschiedenes, selten klares Bild ihres Mannes Thurston Moore, liebevoll als Vater, unendlicher Egomane, genial in seinem Tun und doch mit seiner steten Ruhelosigkeit nicht fähig, sich auf die Familie, auf die neue Umgebung fern ab vom quirligen New York einzulassen. So sehr diese Schilderungen versöhnen, so sehr verstören einen später die hinrichtungsartigen Ausfälle gegen Lana Del Rey und Billy Corgan. Eigentlich sollte sie, die sie den täglichen Beschuss der Senstationspresse kennt, die Folge solcher Äußerungen besser kennen.
Vielleicht beherzigt sie aber auch nur den Rat ihrer Eltern, die ihr für den Streit mit dem herausfordernden Bruder empfahlen: „Ach, schlag einfach zurück!“ Zurückschlagen, laut werden, auch mal gemein, das vertrug sich bislang nicht mit dieser Frau, der ein halblautes „Fuck!“ auf einem Benefizkonzert von Freund Neil Young schon unendlich peinlich war, einer Frau, die sich in der direkten Linie der Frauen ihrer Familie aufwachsen sah – „stoisch, duldsam, keine Fragen, keine Klagen.“ Und so bleibt am Schluss das Bild der zeitlebens Suchenden, nach ihrer Rolle als Tochter, Schwester, Frau, Mutter, Bandgirl und Künstlerin. Und die Vermutung, dass Kim Gordon genau dort, auf der Bühne, den Bass in der Hand, den gesenkten, rhythmisch wiegenden Kopf inmitten eines Orkans an Verzerrungen und Wortfetzen der selbstbestimmten Identität, die sie so dringend zu finden wünscht, am Nächsten kommt. Und das ist dann doch, Gottlob, irgendwie wieder Rock’n Roll.
„Wenn ich auf der Bühne absolut konzentriert bin, empfinde ich mich als eine Art Raum mit einem Rand drum herum, einem Schimmer selbstbewusster, freudiger Sinnlichkeit. … Ich wollte nie etwas anderes sein als das, was ich war.“

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