Kevin Hearne, Delilah S. Dawson & Chuck Wendig – Three Slices

Kevin Hearne, Delilah S. Dawson & Chuck Wendig – Three Slices

Vor mittlerweile fast genau sechs Jahren war ich an einem Abend im April bei einer Lesung des Autors Kevin Hearne. Hearne ist vor allem für seine Urban Fantasy - Reihe „The Iron Druid Chronicles" um den gewitzten Druiden Atticus O'Sullivan bekannt. Die Lesung sollte den damals aktuellen siebten Band „Shattered" vorstellen, da sich jedoch herausstellte, dass niemand im Publikum bereits so weit gelesen hatte (mich eingeschlossen) und auf Deutsch auch erst drei Bände erschienen waren, warf Hearne das ursprüngliche Programm kurzerhand über den Haufen und lud stattdessen zu einer Frage-Antwort-Runde ein. Es wurde ein unterhaltsamer, fröhlicher und äußerst informativer Abend. Hearne plauderte bereitwillig und offen aus dem Nähkästchen und bewies, dass ihn sein ehemaliger Beruf als Lehrer hervorragend darauf vorbereitet hatte, in den direkten Kontakt mit seinen Fans zu treten.

Abgesehen davon, dass er einige verheißungsvolle Andeutungen bezüglich „Shattered" einfließen ließ, berichtete er, dass er kurz zuvor sein erstes Projekt im Selfpublishing veröffentlicht hatte: Eine schmale Kurzgeschichten-Anthologie namens „Three Slices". Hearne erklärte, dass ihm das Mitspracherecht, das ihm sein großer Verlag Del Rey über die Hauptreihe der „Iron Druid Chronicles" zugestand, nicht ausreichte. Durch das Selfpublishing konnte er erstmals alles selbst entscheiden und umging die Entscheidungsträger_innen seines Verlages, die sich möglicherweise nicht bereit erklärt hätten, seine Kurzgeschichte „A Prelude to War" zu veröffentlichen. Diese schrieb er nämlich nicht, weil er das Gefühl hatte, die „Iron Druid Chronicles" bräuchten unbedingt eine Ergänzung zwischen dem siebten Band „Shattered" und dem achten Band , sondern weil er über ein skurriles Thema gestolpert war und nicht widerstehen konnte, dieses literarisch zu verarbeiten: Tyromantie.

Tyromantie ist Wahrsagerei mit Käse. Ja, ganz genau. Käse. Ich kann verstehen, dass ihn diese abgedrehte Praxis faszinierte. Sie reizte ihn so sehr, dass er zwei seiner Kolleg_innen fragte, ob sie nicht ebenfalls Geschichten schreiben wollten, in der Tyromantie eine Rolle spielt: Delilah S. Dawson, die für ihre -Reihe bekannt ist, und Chuck Wendig, aus dessen Feder die „Miriam Black"-Reihe stammt. Alle drei steuerten für „Three Slices" jeweils eine Kurzgeschichte bei, die in ihren bestehenden Universen stattfindet und in der die Zukunft mithilfe von Käse vorausgesagt wird: „A Prelude to War" von Hearne, „Not my circus, not my monkeys" von Dawson und „Interlude: Swallow" von Wendig.

Ich habe „Three Slices" eigentlich nur notgedrungen gelesen. Obwohl ich vor sechs Jahren schwor, dass ich mir die Anthologie zulegen würde, war ich in der Zwischenzeit von diesem Vorhaben abgerückt, weil sie mich einfach nicht genug interessierte - den Fokus der Tyromantie hatte ich wohl vergessen. Doch als ich den achten Band der „Iron Druid Chronicles", , aufschlug, stand in der Einleitung, dass die Lektüre von „A Prelude to War" notwendig sei, um zu verstehen, wieso nicht dort begann, wo „Shattered" endete. Ich stöhnte auf und gab mich geschlagen. Dann würde ich die Anthologie eben lesen.

Robert E. Howard hat mich verdorben. Ich kann keine Kurzgeschichte mehr lesen, ohne sie nach den Maßstäben zu beurteilen, die er mich in seinen „Conan Chronicles" lehrte. Für mich persönlich ist das ein Vorteil, weil ich dank ihm endlich begriffen habe, wie befriedigend Kurzgeschichten sein können. Für „Three Slices" war es hingegen eher ein Nachteil, denn dadurch erkannte ich, dass höchstens „Not my circus, not my monkeys" von Delilah S. Dawson als echte Kurzgeschichte durchgeht. „A Prelude to War" und „Interlude: Swallow" sind keine eigenständigen Erzählungen und funktionieren nicht für sich allein, sondern ausschließlich im Kontext der Hauptreihe. Sie hinterließen bei mir den Eindruck von Bonuskapiteln, die eine Menge Vorwissen voraussetzen und sich nicht die Mühe machen, Figuren und Rahmenbedingungen des jeweiligen Universums noch einmal zu etablieren. Hätte ich Atticus nicht seit seinem ersten Abenteuer begleitet, ich hätte überhaupt nicht verstanden, was in „A Prelude to War" passiert. Ich hätte nicht kapiert, wieso er mit seinem Hund sprechen kann, welchen Regeln seine Magie folgt und was es bedeutet, dass er ein Druide ist. Meiner Meinung nach war es unnötig, diesen kurzen Ausflug, der nicht einmal einen echten Abschluss hat, auszulagern, statt diesen als erstes Kapitel von zu integrieren.

In „Interlude: Swallow" konnte ich mir nur geradeso zusammenreimen, über welche Kräfte die Protagonistin Miriam Black verfügt und welche Konflikte sich daraus ableiten. Ich empfand diese Geschichte nicht als geglückte Heranführung an die Reihe, denn ich war bestürzt von der unglaublich düsteren Atmosphäre, die Chuck Wendig heraufbeschwört und konnte deshalb kaum Sympathie für Miriam aufbauen. Ich fühlte mich beim Lesen nicht wohl, sondern verspürte Beklemmung und weiß dementsprechend nicht, ob mich wirklich noch einmal in dieses Universum begeben möchte.

Delilah S. Dawson schaffte es hingegen, mich neugierig zu machen. „Not my circus, not my monkeys" konzentriert sich auf Criminy, der in der Hauptreihe der männliche Protagonist ist, aber wahrscheinlich nicht zu Wort kommt. Obwohl mir in der Kurzgeschichte besonders bezüglich des Settings einige Details rätselhaft erschienen, reichten die Informationen, die Dawson anbietet, dennoch aus, um ein grobes, einleuchtendes Bild der Gegebenheiten zu entwerfen, das auf eine spannende übergeordnete Handlung schließen lässt. Die Kurzgeschichte ist als Einstieg und Appetitanreger brauchbar und verführte mich tatsächlich, den ersten Band der -Reihe auf meine Wunschliste zu setzen.

Und die Tyromantie? Alles Käse oder nicht? (Verzeiht mir das plakative Wortspiel, ich konnte nicht widerstehen.) Diesen Aspekt setzen alle drei Autor_innen überzeugend und kreativ um. Jede Geschichte enthält eine Szene, in der mit Käse orakelt wird. Mir gefiel es außerordentlich, dass die Praxis jedes Mal anders abläuft. Sowohl Technik als auch die eingesetzte Käsesorte unterscheiden sich, wodurch „Three Slices" ein interessantes Spektrum präsentiert. Die Integration dieser Skurrilität fand ich ebenfalls in allen Geschichten gelungen, denn sie wirkt niemals erzwungen, unnatürlich oder albern. Sogar in diesen übernatürlichen Universen handelt es sich um eine ungewöhnliche Form der Wahrsagerei, doch ich zweifelte nicht daran, dass diese Szenen genauso zustande kommen könnten.

Insgesamt sollte „Three Slices" nicht als unabhängige Anthologie begriffen werden. Alle drei Kurzgeschichten sind Ergänzungen der Hauptreihen, die zusätzlich gelesen werden können. Folglich ist das schmale E-Book (oder Hörbuch) eher für Fans als für Neueinsteiger_innen geeignet. Ich vermute, dass diese Ausrichtung beabsichtigt war. Sollte das der Wahrheit entsprechen, muss ich leider urteilen, dass die Kurzgeschichtensammlung Potential verschenkt. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Leser_innen das Büchlein kaufen, weil sie eine_n der Autor_innen kennen, aber nicht alle, wie es bei mir der Fall war. Unter dieser Voraussetzung wäre sinnvoll gewesen, wenn „A Prelude to War" von Kevin Hearne und „Interlude: Swallow" von Chuck Wendig zugänglicher gestaltet wären und nicht so viel Vorwissen verlangen würden. Durch den starken Bezug zu den „Iron Druid Chronicles" bzw. „Miriam Black" bieten sie neuen Leser_innen kaum Referenzpunkte und können daher nicht als Einstiegslektüre dienen. Lediglich Delilah S. Dawson ermöglicht in „Not my circus, not my monkeys" einen verwertbaren Einblick in die Welt ihrer -Reihe. Das ist schade, denn das Konzept dieser Anthologie ist eigentlich sehr schön und hätte wunderbar dazu genutzt werden können, die Leserschaft von Hearne und Wendig zu erweitern. Das geschickt inszenierte, verbindende Element der Tyromantie reicht unglücklicherweise nicht aus, um dieses strukturelle Versäumnis auszugleichen. Dennoch nehme ich aus der Lektüre von „Three Slices" eine Überzeugung mit: Sollte ich je die Chance erhalten, mir mit Käse die Zukunft voraussagen zu lassen, werde ich sie ergreifen.


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