Psychopathen – was das ist dürfte den meisten sofort klar sein: Serienkiller, skrupellose Mörder, die wirklich schweren Jungs im Knast. Der Forschungspsychologe Kevin Dutton von der Oxford University stellt allerdings eine gewagte These auf. Psychopathen findet man im Idealfall nicht nur hinter Gittern, es gibt auch jede Menge “funktionierende” Psychopathen, die in wichtigen Positionen tätig sind. Skalpellschwingende Ärzte, hochrangige CEOs, Spitzensportler ohne Hemmungen…in vielen Positionen finden sich Menschen, die der Gesellschaft dienen, aber erstaunlich hohe Werte erzielen wenn es um “psychopathische” Eigenschaften angeht: Kaltblütigkeit, Durchsetzungsstärke, Konzentrationsfähigkeit, Furchtlosigkeit, rasche Auffassungsgabe, Energie und nicht zu vergessen natürlich Charisma.
Die These, dass man als “normaler Mensch” von Psychopathen etwas lernen kann mag gewagt sein, aber unterm Strich hat Dutton in manchen Bereichen schon nicht ganz unrecht. Ich würde mich jedenfalls lieber unter das Messer eines “kaltblütigen”, gefassten Chirurgen legen als den sensiblen, fahrigen Kollegen zu wählen. Aber wie so oft hat die Münze zwei Seiten. Der Aspekt, welche Schäden Psychopathen angerichtet haben und tagtäglich neu anrichten wird mehr oder weniger vollkommen unter den Tisch fallen gelassen. Wenn man das Buch sehr kritisch betrachten will könnte man das als Minuspunkt werten, allerdings finde ich nicht, dass Dutton es hier übertreibt. Oberflächlich betrachtet könnte man ihn eine unangemessene Wertschätzung von Psychopathen ankreiden, ja. Jedoch räumt Dutton selbst ein, dass es eben darauf ankommt, wie die Regler in den einzelnen Eigenschaften gesetzt sind. Ein kleines bisschen Kaltblütigkeit z.B. ist Voraussetzung um in so manchen Berufen erfolgreich zu sein, zu viel davon bringt einen jedoch früher oder später hinter Gitter.
Der Untertitel “Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann” ist nicht zu ernst zu nehmen, “Psychopathen” will kein Ratgeber sein (“Wie werde ich ein kaltblütiges Monster?”) sondern bietet eine hochinteressante Reise durch die Köpfe von Betroffenen. Dutton besucht Hochsicherheitsgefängnisse, tauscht sich mit führenden Experten auf diesem Gebiet aus und lässt sich schließlich im Zuge der Recherche sogar kurzzeitig selbst zum Psychopathen “umgestalten”. Durch Reizung bestimmter Hirnareale ist es möglich, dass der Proband selbst wie ein Psychopath fühlt und denkt. Dieser Effekt klingt aber glücklicherweise nach einiger Zeit wieder ab. Trotzdem – ich finde das sowohl unglaublich faszinierend wie auch sehr beängstigend.
Unterm Strich kann ich “Psychopathen – Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann” allen, die sich für Psychologie interessieren empfehlen. Kevin Duttons Buch ist weniger sensationsgierig als man wegen des Titels erwarten würde, stattdessen werden viele psychologische Tests mit zum Teil überraschenden Ergebnissen vorgestellt. Sehr spannend, hochinteressant, aber: zur Psychopathin will ich nach wie vor nicht werden.