Kennst Du schon „Miss Trauen“?

Misstrauen ist eine herrliche Sache, so schoen hinderlich fuer das schoene Leben. Aber glaub mir, Miss Trauen kennst Du noch nicht. Die skurrile Bardame, die sich am liebsten hinter ihren Tresen versteckt, alles hoeren will, was ihr so erzaehlt wird und jeden Gast das Geld aus der Tausche zieht … nur zu Sicherheit, denn man kann ja niemanden trauen. Oder vielleicht doch … ?😉

Kennst Du schon „Miss Trauen“?

Ondit-neu

Als er die alte, herunter gekommene Kneipe betritt, ist er mehr als erstaunt. Er ist regelrecht entsetzt.

Er hatte etwas anderes erwartet, mehr pompoes, ausladender und viele Gaeste, die sich hier amuesieren. Statt dessen war es hier so finster, wie in einer Gruft und roch genauso …  angenehm. Der Putz broeckelte von der Decke. Die Tische wurden das letzten Mal zu Cesar`s Zeiten gewischt und die Staubschicht war hier ueberall so hoch, dass damit eine ganze Besenkammer gefuellt werden konnte. Das sollte IHR Reich sein? Ihr Domizil? Das Etablissement einer feinen und Einflussreichen Dame? Er musste sich eindeutig in der Adresse geirrt haben. Eben wollte er sich schon abwenden und schleunigst fluechten, da hoerte er eine wohlklingende Stimme.

„Kann ich Dir helfen? Sueßer?“

Erschrocken drehte er sich um. Es dauerte einen Moment, ehe sich seine Augen durch die Duesternis gekaempft haben und die Besitzerin dieser Stimme ausmachen konnten. Oh Gott, er schluckte erst dreimal und wich einen Schritt zurueck. Das konnte hier unmoeglich richtig sein? Das kann nie und nimmer … ?! Oh, er wird dem Spinner sowas von dem Hals umdrehen fuer diesen makaberen Scherz.

„Nein, danke. Ich glaube … ich habe mich geirrt!“.

„Oh, das glaube ich nicht, Mischold.“

Bum. Wie vom Donner beruehrt erstarrte er einen Moment, ehe sein Herz wieder weiter flatterte und alles in ihm nach Flucht schrie. Fieberhaft begann es in seinem Kopf zu arbeiten.

„Woher kennen sie meinen Namen?“

Misstrauisch fixierte er sie und kam mit dem Bild immer noch nicht zurecht. Diese Stimme in so einem Menschen? In so einem Raum? Das Ganze hier war einfach eine Farce.

„Ach das, er hat Dich angekuendigt!“

Der Spinner hatte ihn hier angekuendigt? Er koennte sich auf die Zunge beißen. Haette er einfach die Klappe gehalten und waere wieder gegangen. Bei dem Anblick hier wollte er einfach alles vergessen. Es war eine Schnapsidee, hierher zu kommen, in diese Spelunke, dieses Drecksloch und hier eine Hoffnung finden, die es nicht gab. Wie kam er jetzt wieder raus aus der Nummer? Einfach gehen? Konnte er das? Das war doch unhoeflich?

„Misstraust Du mir etwa?“

Sie sah ihn direkt an. Ihr Augen zu Schlitzen verengt. Miss Trauen soll sie heißen, diese Person dort. Das Wortspiel haette ihm unter anderen Umstaenden gefallen, aber das hier gefiel ihm gar nicht. Diese Dame da vor ihm war mit Nichten eine Miss und schon gar keine, der er vertrauen konnte. Sie war alles andere. Voluminoes, mit offenen Mund keuchend, ein wabbeliges Doppelkinn, dass zu ihrem Herzschlag im Takt wippte. Schweiß glaenzte auf ihrer Stirn und ihre Haut war talgig und aufgedunsen. Dazu die schmutzige Schuerze, riesige Lockenwickler im Haar aus den 50er Jahren und eine  monstroese Zigarre im Mundwinkel, die ihr einen eigenen kleinen Rausch bescheren konnte. Was zum Henker war das hier?

„Komm, nimm erst mal einen Drink, dann kannst Du mir alles erzaehlen.“ Sie zwinkerte.

Einen Drink? Die wollte tatsaechlich auch noch mein Geld haben, fuer das hier? Die sollte froh sein, wenn ich die nicht verklage, so viele Viren, wie hier keuchen und leben.

„Ich weiß nicht so recht, ob … ich glaube, ich sollte besser gehen.“

„Du traust nur Deinen Augen mhm, Sueßer?“

Die Zigarre im Mundwinkel wippte wieder im selben Takt, wie ihr Doppelkinn. Einen Hals konnte er gar nicht mehr ausmachen. Es schuettelte ihn, schuldbewusst laechelte er sie an und schliech langsam rueckwaerts. Sie ignorierte ihn vollkommen, und stellte ihm erst mal ein Bier wie selbstveraendlich auf den speckigen Tresen, machte es aber nicht auf. Seltsam, das Getraenk war das einzige hier, was regelrecht leuchtete. Feine Wassertropfen, rinnen an der dunklen Flasche herab und er musste sich einen Moment die Lippen lecken. Dann schaute sie ihn direkt an.

„Du hast jetzt zwei Moeglichkeiten, Sueßer. Du gehst und lebst so weiter, wie bisher. Oder Du bleibst und wir unterhalten uns erst mal eine Weile. Deine Entscheidung – aber in beiden Faellen bekomme ich von Dir den Preis.“

Sie funkelte ihn einen Moment finster an, die Zigarre ergluehte eine Ewigkeit in dem Daemmerlicht, feiner Rauch huellte sie ein und saeuselte um ihren Kopf wie ein Heiligenschein. Er haderte mit sich, aber er wusste, dass er hierfuer bezahlen musste. Also konnte er genauso gut auch erst mal weiter schauen. Langsam ging er naeher an die Tresen in die Duesternis hinein, dann blieb er stehen. Dem Bier schenkte er keine Beachtung – zumindest versuchte er es, und starrte sie stattdessen an.

„Setz dich doch?“ sagte sie mit einem unterdrueckten Lachen, aber er ignorierte den Scherz und blieb eisern stehen. Immer darauf bedacht, hier nicht mehr, als notwendig zu beruehren.

„Mischold. Ein seltsamer Name. Ist das dein echter?“

Ihm entglitten einen Moment seine Gesichtszuege, ehe er sich fing. Sie nahm es schmunzelnd zur Kenntnis. Verdammt, wer war diese Frau? Ihm wurde eine einzigartige Dame mit unglaublichen Faehigkeiten versprochen, die ihm helfen konnte. Statt dessen war hier … das da. Er raeusperte sich verlegen und griff unbewusst zu dem Bier, um seine Nervositaet zu ueberspielen. Erst, bei dem lauten Plopp realisierte er es, zuckte mit den Schultern und nahm einen großen Schluck. Seine linke Hand war auf den speckigen Tresen gewandert, erschrocken riss er sie zurueck und wischte sie angewidert an seiner Hose ab. Sie schmunzelte, machte aber keine Anstalten, den Tresen sauber zu wischen. Ueberhaupt war hier nichts außer Dreck und Staub. Selbst der Tresen, hinter dem sie wabberte war voll von Spinnweben und Unrat. Nur der große Kuehlschrank hinter ihr leuchtete in einem bedrohlichen Rot auf und verbreitete einen seltsamen Schein. War der vorher auch schon da?

„Dann erzaehl mal?“ Forderte sie ihn auf.

Erzaehlen … . Ihr? Dieser … Person? Wie sollte diese Frau ihm helfen koennen? Er betrachtete nochmal das gesamte Ambiente und merkte, dass er immer mehr Misstrauen bekam und Abscheu, hier zu sein. Was sollte er hier finden? Wahrheiten? Vertrauen? Seine Bestimmung? Er will doch nur, dass der Schmerz aufhoert, den ihn die Welt da draußen zugefuegt hat. Unbewusst nimmt er einen weiteren Schluck aus der Flasche und tauchte immer mehr in Erinnerungen ein. Die boese Welt da draußen, die ihm so oft enttaeuscht hatte. Immer und immer wieder wurde er belogen und betrogen und konnte heute gar nicht mehr vertrauensvoll durch das Leben gehen. Alles widerte ihn an. Alles nervte ihn, was andere taten und immer wollte irgendjemand was von ihm und ueber seine Zeit bestimmen. Er schaute hinueber zur alten Eingangstuer, die er vor einer Ewigkeit betraten hatte. Die Tuer, hinter der das *DUNKLES REICH lauerte, sein altes Leben in Sorgen und Zweifel. Aber auch der Ort, den er kannte und von dem er Zeit seines Lebens beherrscht wurde. Er wollte ausbrechen aus alldem und hat vor vielen *DJEWS begonnen, sich heimlich mit den „Spinnern“ zu treffen, wie diese Bewegungen genannt wurden, die alles anzweifeln und von einer neuen Ordnung und Freiheit sprachen. Spinner, aber das, was sie sagten klang so wahr, so echt, so nach dem Leben, dass er immer schon fuehren wollte. Eines Tages kam einer dieser Spinner zu ihm und sagte, er koenne ihm helfen, auszubrechen. Auszubrechen aus dem Hamsterrad des Reiches, des muessen und brauchens. Nie mehr irgend eine stupide Arbeit machen und seine Lebenszeit verschwenden. Frei sein und sein Leben selbst bestimmen, ja das wollte er. Dieser Spinner nannte ihm diese Adresse hier. Sprach von einer wundervollen Frau, die ihm helfen koenne und ihm die Tuer zeigen kann, durch die er sein Leben veraendern kann. Lange hat er mit sich gehadert und mit dem Preis, den er bezahlen muss. Er muss sein altes Leben  hinter sich lassen, hat der Spinner gesagt, alles und jeden. Nur dann, wird sie ihm helfen. Er hat so große Zweifel in diese Sache gehabt. Irgendwann gab er sich einen Ruck, und wollte es wagen, denn was kann schon passieren? Alle Mut hat er zusammen genommen. Und jetzt? Jetzt sitz er hier in diesem Loch und hat wieder die selbe Scheiße wie immer. Er bezweifelte, dass es hier ein besseres Leben geben kann fuer ihn, es wird doch nur wieder eine Enttaeuschung werden, wenn er hier blieb. Eine weitere Enttaeuschung, mit dieser Person, die nur wie alle anderen ist. Ja, er bedauerte es hier zu sein und bemitleidete sich und sein Leben selbst. Waehrend er Schluck fuer Schluck sein Bier austrank und sich immer mehr angeekelt fuehlte, an diesem seltsamen Ort. Fast schon hat er das alles hier … genau so erwartet.

Sie sagte keine Wort. Sie beobachtete ihn nur die ganze Zeit, ließ ihn diese, die er braucht. Gelegentlich popsselte sie in der Nase herum und kickte den kleinen Schleimbatzen genueßlich durch die Gegend, aber sie unterbrach sein Schweigen nicht. Er wuerde nicht reden, er wuerde nur denken, also schwieg sie und schnaufte. Begleitet von dem Knistern der Zigarre. Als er sein Bier ausgetrunken hatte knallte er es auf den Tresen und schaute sie an.

„Und? Wie lautet Deine Entscheidung?“

Sie grinste ihn breit an. Ihre linke Auenbraue schnellt in die Hoehe, jedoch war ihr Gesichtsausdruck mehr Gelangweilt, als Erwartungsvoll. Er betrachtete sie und kam zu dem Schluss, dass sie ihm gar nicht helfen wollte. Das das hier reine Zeitverschwendung war und so eine abstoßende Person keine Ahnung von einem besseren Leben hatte. Er ließ den Blick angewidert durch den Raum schweifen, und fixierte am Ende das leuchtend gruene Exit-Schild, das in sein altes Leben zurueck fuehrte. Er schuettelte nur seufzend den Kopf und ging zur Tuer zurueck.

„Bist Du sicher, Sueßer? Du weißt, den Preis musst Du bezahlen, So oder so. Du bezahlst mit Deinem Leben.“

Er drehte sich ein letztes Mal zu ihr um, „Du kannst mir nicht helfen, mir kann niemand helfen.“ und ging hinaus in eine regnerische und graue, kalte Welt. Er ging zurueck in sein altes Leben, das er einfach nicht verlassen konnte.

Kaum knallte die Tuer zu, rauchte Miss Trauen in aller Ruhe ihre Zigarre fertig, drueckte sie in dem ueberquillenden Aschenbecher vor sich aus. Dann atmete sie lange und tief aus, nahm bedaechtig langsam ihre Peruecke vom Kopf, schaelte sich das Doppelkinn ab und kaempfte sich auf dem falschen Anzug. Mit einem nassen Lappen aus einem Eimer unter dem Tresen wischte sie sich das Gesicht sauber, bis am Ende eine wundervolle und anmutige Frau zum Vorschein kam. Sie drehte sich um und ging zur kleinen versteckten Tuer hinter einer Nische auf dem das Schild „Paradies“ ganz schwach glitzerte. Mit einem Kopfschuetteln schaute sie Mischold nach.

„Ein Jammer. Wenn er nur sein Misstrauen ablegen wuerde, dann koennte sich sein wahres Leben entfalten.“

Sie knipste das Licht in der heruntergekommen Bar aus und oeffnete die Tuer. Mit einem Laecheln ging sie in den Sonnenaufgang hinaus. Hinaus in das Leben auf der anderen Seite des Dunklen Reiches.

***

*Djews = Tage

*Dunkles Reich = Der Ort, wo unsere Angst herrscht

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