Keiner versteht uns!

Achtung: Dies ist mit Abstand der längste Artikel bisher. Claudi hat vor dem Schreiben Kaffee getrunken. Also nehmt euch diesmal etwas mehr Zeit Keiner versteht uns!

Mann, war ich aufgeregt in den letzten Tagen, bevor es nach Thailand ging. In unserem ganzen Jahr wird das wohl die ungewöhnlichste Zeit werden. Um so besser, dass wir zumindest für die erste Woche eine Anlaufstelle hatten! Auf der HelpX-Seite hatten wir neben unseren Familien in Australien auch einmal aus Spaß für Thailand geschaut und tatsächlicht eine Non-Profit-Organisation gefunden, die Helfer in Thailand sucht. Wir schrieben sie noch in Neuseeland an, chatteten über Skype in Australien miteinander und machten aus, dass wir die erste Woche in Thailand nach Ubon Ratchathani fahren, um den Studenten dort mit ihrer Medienarbeit zu helfen.
Pip fuhr uns zum Flughafen und wir verabschiedeten uns mit ganz festen Umarmungen voneinander! Wir sind uns sicher, sie spätestens Ende diesen Jahres in Deutschland wieder zu sehen und hoffen, dass sie noch weiterhin gute Erfahrungen mit ihren Helfern macht.

Unser Gepäck hatte sich nun ganz schön dezimiert, das einzig wirklich schwere sind die technischen Geräte (z.B. zwei dicke Festplatten) die wir mitschleppen. Es ist schon erstaunlich, wie wenig man in einem Jahr braucht und das man das alle auf dem Rücken tragen kann. Trotzdem freuen wir uns wie sonst was auf unsere zahlreichen Klamotten zu hause. Wir werden richtig schätzen, mal wieder andere T-Shirts zu tragen und aus mehr als zwei Hosen wählen zu können. Andereseits hatte ich ein Jahr lang auch nicht die Qual der Wahl. Die Waage am Check-In Schalter zeigte bei meinem Rucksack nur noch 16,5 kg und bei Jeres 21 kg an. Das wirklich unangenehme beim Tragen ist eingentlich das Handgepäck.

Am Flughafen in Sydney schauten wir uns noch ein bisschen in den Läden um, damit wir möglichst wenig australisches Münzgeld mit nach Thailand nehmen würden, tranken noch einen Tee und dann stiegen wir alle auch schon ein. Jere hatte vorher im Internet unsere Platzpräferenz angegeben und mit toller Sicht hinter den Flügeln entlang konnten wir einen letzten Blick auf Sydney werfen. Ich saß in der Mitte der Dreiersitzreihe und neben mich setzte sich ein übergewichtiger Mann, der bereits nach Alkohol roch, als er Platz nahm. Als erstes bestellte er sich dann zum Abendbrot noch zwei Fläschen Vodka und eine kleine Flasche Rotwein. Ich finds ja generell schon blöd, dass sie im Flugzeug kostenlos Alkohol ausgeben, aber dann noch an einen offensichtlich bereits abgefüllten Mann… Er schlief dann umgehend ein und quoll über seine Sitzbreite hinaus, sodass ich nur noch zwei Drittel meines Platzes zur Verfügung hatte. Ich drückte ihn immer wieder mit einer Decke zwischen uns zurück auf seine Seite, aber der war so komatös, dass er immer wieder herüber kam. Noch schlimmer: Sein Kopf fiel so, dass sein Gesicht zu mir gedreht war und er mich mit seinem Alkoholdunst anatmete. Ich schaute mir forlaufend die Nacht hindurch Filme an und versuchte, das Unangenehme zu verdrängen. Jere schlief ganz friedlich am Fenster. Nach 4 Filmen gab es noch mal einen kleinen Snack und der Mann war endlich wach und konnte seinen Raum etwas begrenzen. Bald darauf setzte das Flugzeug zur Landung an.

Wer schon mal am Bangkoker Flughafen war, der hatte vielleicht ein ähnliches Gefühl, wie wir. Schon beim Hinflug drückte man uns bei der Zwischenlandung einen Zettel in die Hand und es gings los. Ich bin mir nicht sicher, aber der Flughafen wirkt wie ein elend langer schmaler Gang. Zum Glück gibt es diese flachen Rollbänder, mit denen man schneller vorwärts kommt. Trotzdem, es dauert gefühlte Stunden in dem Gang, bis man mal irgendwo hin kommt! Bis wir dann durch die Passkontrolle kamen (die haben einen Zettel in den Ausweis getackert!Dürfen die das?, Visa war kein Problem (im Flugzeug ausgefüllt)) und am Gepäckband ankamen, waren auch schon alle Gepäckstücke im Umlauf und wir sichteten sofort unsere zwei schwarzen Reisesäcke. Das Abendteuer Thailand konnte losgehen.

Da es der Ortszeit nach mitten in der Nacht war, hatten wir uns bereits ein Hotel vorgebucht. Wir liefen an den Ausgängen entlang, bis zum verabredeten Shuttletreffpunkt. Ich wollte schon immer mal mit einem Zettel am Flughafen abgeholt werden und tatsächlich stand ein junger Asiate am Ausgang, der einen Zettel mit Jeres (leider aber wie schon in Dubai nicht meinem) Namen vor sich hängen hatte. Wir setzten und auf eine Sitzreihe, denn der junge Kerl im maßgeschneiderten (denk ich zumindest) Anzug erwartete noch ein weiteres Pärchen. Als die eintrafen, verließen wir das Flughafengebäude und luden unser Gepäck in einen großen Van. Der zierliche Asiate wollte mit mit dem Rucksack helfen, aber ich hatte Angst, dass er sich am Rücken verletzt. Im eiskalten klimatisierten Bus ging es dann doch eine ganze Strecke über die Autobahn bis zum Hotel, obwohl es in flughafennähe ausgezeichnet war. Im Hotel angekommen, füllten wir ein paar Zettel aus und zwei nette Jungs trugen uns die Rucksäcke ins Zimmer. Im Internet hatte ich gelesen, dass die Hotels in Thailand oft sehr gut seien. Unser Hotel war…naja, aber es kostete nur 20 Euro pro Nacht pro Zimmer. Es hatte ein eigenes Bad und einer Klimaanlage, ansonsten war kein Luxus zu erkennen. Für diese Nacht war es aber super, ich wollte sowieso nur in das (180 cm breite!) Bett fallen. Wie wir bald feststellten, sind die Betten in Thailand sehr hart. Also nicht wie harte Matratzen in Deutschland, sondern… härter. Eher so wie die harten Turnmatten. Stellt man sich z.B. drauf, dann sinken die Füße auch nur einen Zentimeter ein.

Ich schlief nicht besonders gut, nicht wegen der harten Matratze, sondern weil das Hotel sehr hellhörig war und durch den Fluglärm und anreisende Gäste oder wen auch immer ständig Krach war. Am nächsten Morgen gönnten wir uns ein Frühstück im Hotelrestaurant auf dem Parkplatz davor, der mit vielen Pflanzen und Holzarbeiten gemütlich gemacht wurde. An den Frühstückspreisen merkten wir schon: Thailand ist nicht ganz so teuer. 3 Euro pro Person für ein Omelettefrühstück und ein „englisches“ mit Würstchen und Toast. Nach dem Frühstück checkten wir aus und versuchten über die Rezeption zu erfahren, wie wir am besten in die Innenstadt zum Hauptbahnhof kämen. Hier merkten wir zum ersten Mal, wie es die nächsten Tage sein wird: Keiner versteht uns. Wir bekamen letztendlich einen groben Plan zum Bahnhof, wo wohl auch Taxis herumstehen sollten. Über Hinterstraßen mit Blechhütten und Essständen (wer kommt hier vorbei?) und mit streunenden Hunden auf den Bürgersteigen, erreichten wir tatsächlich den riesigen Bahnhof, der in dieser sehr ursprünglich wirkenden Gegend wie ein futuristischer Gegenstand wirkte.

Der Bahnhof war auf Pfeilern gebaut, an deren Fuße viele Taxis auf Passagiere warteten. Wir gingen volle Enthusiasmus auf den ersten Taxifahrer zu und wollten unsere Recherchen im Internet berücksichtigen, die ergaben, dass manche Taxifahrer in Thailand mit die einzigen wirklich korrupten Leute seien. Man solle immer vor der Fahrt klarstellen, dass der Fahrer den Taxometer einschaltet, denn die verhandelten Preise sind oft viel schlechter. Wir versuchten also mit Händen und Füßen zu erklären, dass wir nur mit Taxometer zum Hauptbahnhof fahren. Keiner der dort stehenden Männer wollte uns mitnehmen. Und sie signalisierten uns zu warten. Wir waren verwirrt, warteten eine kurze Weile und nacheinander löste sich die kleine Gruppe um uns herum auf. Wir wussten nicht mehr, worauf wir warteten und gingen zu einer anderen Gruppe von Taxis. Es war etwas unangenehm unter dieser Pfeilerbrück zwischen den ganzen Taxifahrern hindurch zu laufen. Ich dachte mir, ob vielleicht ein gewissen Ehrenkodex herrschte, also z.B. eine von uns nicht erkannte Reihenfolge, wer den nächsten Gast mitnehmen darf. Wir sprachen wieder ein paar Taxifahrer an, diesmal schon unsicherer. Einer der Fahrer sagte 400 Bhat (10 Euro) bis zum Hauptbahnhof. Wir wussten, dass dieser Preis völlig überteuert war und lehnten ab. Irgend ein Fahrer machte uns deutlich, dass der beste Weg zum Hauptbahnhof doch der Zug sei. Also schmissen wir uns in die erneute Unsicherheit und gingen die Treppen hinauf zum Bahnschalter.

Irgendwie schafften wir es, Fahrkarten bis zu einem Bahnhof zu bekommen, von dem aus wir noch einmal weiterfahren mussten. Alles sehr verwirrend. Die Klimaanlage kühlte die Züge stark herunter und ich fror ein bisschen, nachdem ich zuvor geschwitzt hatte (nicht gut! Das bekam ich ein paar Tage später zu spüren.). Wir stiegen einmal um und dann aus, informierten uns noch mal bei dem freundlichen Wachbeamten und der Information und liefen ein Stück zur U-Bahn, der wohl einzige Weg zum Hauptbahnhof. Nach der kleinen Weltreise, auf der wir einen kleinen Einblick in die Stadt bekamen – viele Blechhütten in langen Reihen mit Vordächern unter denen an der Straße gekocht wird, manche Vordächer so lang, dass die Häuser dadurch verbunden werden – erreichten wir unser Ziel.

Ich war etwas erstaunt, dass der Hauptbahnhof eher alt und verfallen aussah im Vergleich zu den modernen Bahnhöfen, in denen wir umgestiegen waren. In der riesigen Halle fielen mir die vielen Sitzreihen links und rechts auf, in denen kaum ein Sitz leer war, denn anders als in deutschen Bahnhöfen saßen hier alle und warten ganz gemütlich. An der Vorderseite über dem zentralen Duchgang zu den Zügen hing ein gigantisches gemaltes Bild vom König, der hier in Thailand heilig ist. So darf man zum Beispiel nicht auf Münzen treten, da auf ihnen ein Bild des Regenten gedruckt ist. Die Thailänder sind für ihren Nationalstolz bekannt. In den vorderen Sitzreihen fielen mir in orange-gelbe Tüchern gewickelte Mönche auf und tatsächlich wies ein Schild darauf hin, dass diese Sitze für sie reserviert seien.

Zu aller erst tauschten wir unser gesamtes australisches Geld (Bargeld, dass wir vom Vanverkauf in Neuseeland übrig hatten) in Baht um (Umtauschkurs 1 Euro = 40 Baht) und verteilten das viele Bargeld auf unsere Rucksäcke. Anschließen ließen wir die großen Rucksäcke in einer Gepäckabgabe einschließen, so dass wir für den Tag leichter unterwegs waren. Nach einem kurzen billigen Snack und dem Erwerb einer Simkarte wollten wir ein bisschen was von Bangkok sehen, bevor es am Abend mit dem Nachtzug nach Ubon Ratchathani weitergehen sollte. Wir fragten an einem kleinen Informationsstand, der von, so wie es aussah, Studenten geführt wurde, die ein bisschen Englisch verstanden. Eigentlich hatten wir vor, noch ein Moskitonetz und einen Reiseführer zu erwerben und fragten nach Shoppingmöglichkeiten. Die Studenten gaben uns eine ungefähre Richtung zum Bus und den Namen der Straße, in die wir wollten. Am Bus angekommen hatten wir den Straßennamen schon wieder vergessen, stiegen aber trotzdem ein und fuhren einfach mal los.

Im Bus kam gleich eine Kassiererin mit einer länglichen metallenden Rolle auf uns zu, was sich als ihrer Geldbörse herrausstellte. Wir erwarben für ein paar Pfennige (schade, dass es das Wort nicht mehr gibt, kling so viel cooler als Cent) ein Ticket und cruisten durch die Innenstadt von Bangkok. Der Verkehr war wie erwartet chaotisch. Hunderte kleiner Mopeds düsten mit und gegen die Fahrtrichtung. Bei einigen Verkehrsspuren schien es nicht festgelegt, in welche Richtung man auf ihnen fahren sollte und ich beobachtete, wie trotzdem alle irgendwie dahin kamen, wo sie wollten, ohne sich gegenseitig zu rammen. Nach zehn Minuten wurden wir ungeduldig und stiegen an einer belebten Straße aus. Wir wussten nicht, wo wir waren und kein Laden sah nach Moskitonetz oder Reiseführer aus. Alles war extrem verwirrend und voller Menschen. Es roch nach süßem und scharfem Essen, denn an jeder freien Stelle auf dem Bürgersteig stand ein Essstand. Direkt an der Hauptstraße wurden hier Suppen und Curry zubereitet.

Um dem Gewirr etwas zu entkommen, bogen wir in eine ruhige enge Seitengasse ein, durch die sich nur wenige Autos und Motorräder drängelten. Ohne es gezielt zu wollen, schienen wir am richtigen Ort zu sein. Wir schlenderten durch die Straßen, deren Bürgersteige von verlängerten Vordächern und Sonnenschirmen, unter denen unzählige Essensstände aufgebaut waren, geprägt waren. Kein englisches Wort konnten wir erblicken und die Gerichte sahen sehr fremd aus. Es war nicht dreckig oder eklig, sondern einfach nur kaotisch, zusammengeschustert und verwirrend. Wir konnten die ganzen Eindrücke gar nicht auf einmal aufnehmen, sondern jeder Blick entdeckte wieder eine Kleinigkeit, die so anders war, als alles was wir bisher kannten. Etwas hilfs- und ahnungslos, wie so oft in den folgenden Tagen, wanderte wir durch die Gegend, ohne Ziel und ohne Plan.
Die vielen Düfte ließen uns hungrig werden und wir nahmen allen Mut zusammen und gingen in ein offenes Gebäude, dass durch einen Esstand zur Gasse hin einlud. Wir setzten uns und ein netter Thailänder brachte uns eine Speisekarte. Die war natürlich ausschließlich in Thai geschrieben und wir schauten uns hilflos um. Mit englischen Fragen war nicht viel zu machen und so ging Jere vor zum Koch und wählte aus den vielen Zutaten aus, was wir essen wollten. Wir sahen dem Koch in seiner offenen Küche zu und fragten uns, was wir bekommen würden und was wir tun sollten, wenn es nicht schmeckt. Wir hätten uns jedoch keine Sorgen machen brauchen, denn das grüne Curry mit Reis war das beste Thaiessen, dass wir bis dahin gegessen hatten. Wir schmeckten das frische Gemüse und die fremden Gewürze, nichts war auch nur halb so fettig wie beim Thailänder zuhause. Wir trauten uns an dem Tag noch nicht, das Wasser in den Plastikbechern mit dem Eis und Strohhalm drin zu trinken, denn davor wurde im Internet gewarnt. Zum Essen dazu nahmen wir unsere Malariavorsorgetabletten und entspannten uns das erste mal in der fremden Stadt. Solange das Essen gut war, würden wir es uns schon gut gehen lassen. Wir zahlten 100 Bhat (2,50 Euro) für alles zusammen und liefen weiter durch Bangkok.

Die Gassen wurden enger und verlassener bis wir in eine Art Sackgasse gelangten. Diese schien die „Waschstraße“ zu sein, zumindest standen auf den Bürgersteigen immer wieder Waschmaschienen mit Münzeinwurf. Am Ende der Sackgasse standen Holz-/Blechhütten und Bretter auf dem Boden führten über den Sand durch die kleinen Hütten zu einer Art Bahnsteig. Wir fühlten uns ein bisschen wie Eindringlinge und wussten nicht, ob der Weg nicht eher privat sein und wir eventuell mitten in einem Privatgrundstück standen. In den Hütten konnte ich Kleiderbügel mit Klamotten drauf sehen, aber ich traute mich nicht, genauer hinzuschauen, um niemandem seine Privatsphäre zu nehmen. Ich frage mich, wie es hier aussieht, wenn es regnet. Die klapprigen Hütten können schwer ein Schutz gegen Wasser bieten, der sandige Boden verwandelt sich bestimmt in Dreckpfützen und das Wasser fließt sicher direkt in die Häuser hinein. Und trotzdem: Auch hier in den hintersten Ecken wurde Essen angeboten: Fleisch auf Spießen, irgendwelches Gebäck und Getränke. Wir liefen auf den Bahnsteigplanken entlang, die zum Teil gebrochen und nur notdürftig geflickt waren, so das die Mopeds darüber hinwegrasen konnten. Die Schienen sahen blank aus, als ob immernoch Züge auf ihnen fuhren. Am Bahnsteg entlang reihten sich die Hütten mit Ausblick auf die Schienen. Vor manchen standen Stühle und der Bahnsteig wurde zu einer Art Essensgasse, bzw. hier spielte sich wohl eigenartigerweise das Leben ab, besser kann ich es nicht erklären. Wir liefen den Steg entlang weil wir am Ende eine große Straße erblicken konnten und hofften, dort wieder auf die „Zivilisation“ zu stoßen und einen Weg zurück zum Hauptbahnhof zu finden, denn wir waren ordentlich verwirrt und überfordert mit den neuen Eindrücken.

Die große Straße war leider so groß, dass sich an deren Rändern nicht viel abspielte. Es gab zwar Fußgängerwege, aber keine Läden oder Hinweise für Fußgänger. Wenn, dann wären sie eh in Thai geschrieben gewesen. Irgendwann nach ziellosem Entlanglaufen an der Straße und Einatmen der stickigen Abgase kamen wir an Schulgebäuden entlang und passierten ein paar Bushaltestellen. An keiner dieser Haltestellen hing ein Plan, so dass wir vielleicht nach bekannten Stationen Ausschau halten konnten. Langsam wurde auch der kleine Rucksack etwas schwer und ich fühlte mich in der Sonne etwas elend. Ich hatte den Verdacht, dass dies vielleicht von den Malariatabletten kommen könnte, nach deren Einnahme man keine Milch zu sich nehmen und die Sonne meiden sollte. Gerade als wir fast entschieden hatten, es noch mal mit einem Taxi zu versuchen, liefen wir an einem Stand vorbei, der wie ein Informationsstand für die Busse aussah. Die Frau konnte ebenfalls kein Englisch und wir nannten immer wieder den Namen des Hauptbahnhofes. Irgendwann verstand sie unsere komische Aussprache und nannte uns mit den Fingern die Busnummer nach der wir an den Haltestellen Ausschau halten sollten. Jere lief nach ein paar Schritten noch einmal zurück, weil wir feststellten, dass wir beide die Wegbeschreibung nicht ganz verstanden hatten. Wie in Zukunft so oft hatten wir uns darauf verlassen, dass der jeweils andere die Fetzen verstand, die wir selbst nicht interpretieren konnten. Wir merkten schon an diesem ersten Tag, dass das Reisen hier nicht so einfach sein würde. Nachdem wir ein Stück um die Ecke herum zurück liefen, sahen wir auf der anderen Straßenseite ein paar Busse mit den genannten Nummern drauf. Wir überquerten mit großer Vorsicht die viel befahrene Straße und sprangen in einen der Busse. Tatsächlich kamen wir nach ein paar Minuten wieder am Hauptbahnhof an und waren stolz auf uns, diesen Ausflug so gut bewältigt zu haben.

Unsere kulinarische Erfahrung in der Seitengasse machte uns mutig und erinnerte uns daran, dass wir in einem Land angekommen waren, in dem das Essen eine jahrhunderte lange Tradition hatte und nicht mehr von der englischen Küche beeinflusst war. Alles bis zum heutigen Tage (zwei Wochen später) schmeckte toll, von warmen Speisen über Würste (oh wie haben wir gute Würste in diesem einen Jahr vermisst!) und Backwaren, alles hatte einen guten Geschmack und zeugte von Anspruch ans Essen. Unseren Essensfanatismus kann vielleicht niemand nachvollziehen, der nicht schon ein paar Monate hintereinander in Gebieten gewohnt hat, die von dem geringen Anspruch der durchschnittlichen englischen Küche regiert wurden, in denen der Geschmack auf Grund von fehlenden Alternativen akzeptiert wird. Und Thailand setzt mit seiner hervorragenden Küche natürlich noch eins drauf.

Im Bahnhof setzten wir uns auf eine Art Balkon in der Haupthalle und überbrückten die Zeit bis zum Abend mit ein paar Getränken. Wir hatten die Zugkarten, 1. Klasse Tickets für den Schlafwagen, schon in der Tasche und warteten auf Netting, unsere Kontaktperson des „ECC (English Crazy Club)“. Netting hatte in Ubon Englisch studiert und den Club gegründet. Sie arbeitet mitlerweile in Bangkok und unterstützt den Club von hier aus. Mit ihr hatten wir das Interview per Internet geführt und per Email den Inhalt unseres Kurses festgelegt, den wir an der Universität mit den anderen Mitgliedern des ECC halten sollten. Kurz vor sechs warteten wir am Eingang der großen Halle auf sie, doch bevor sie ankam, sprach uns ein junger Thailänder an, der sich als Keng vorstellte. Er erklärte uns, dass Netting unterwegs sei und er ebenfalls ehemaliges Mitglied des ECC sei. Als wir so quatschten, bemerkt ich auf einmal Musik und als ich mich umdrehte, saß niemand mehr in den Sitzreihen, sondern alle standen mit Blick in Richtung den Bildes des Königs und es spielte die Nationalhymne. Ich hatte ein komisches Gefühl und empfand den Nationalstolz als etwas unheimlich. Wenn ich darüber nachdenke, dann ist das vielleicht darauf zurück zu führen, dass ich diese Arte von „Gehorsam“ mit negativen Regiemen verbinde. Ich kann nicht darüber urteilen, ob die Glorifizierung von Führungsfiguren positive Effekte haben kann, dafür weiß ich zu wenig über dieses Land.

Netting erreichte uns kurze Zeit später und wir gingen zusammen in einem Seitenteil des Bahnhofs essen. Auch hier war alles in Thai angeschrieben und Netting half uns ein wenig, als sie uns die Speisen erklärte. Ich entschied mich für ein rötliches Hühnchengericht mit Reis, dass sehr gut schmeckte, jedoch unheimlich scharf war. Wir redeten während des Essens über den Kurs, wie sehr die zwei das ruhige Ubon vermissten und immer wieder gerne dorthin zurück kehrten. Netting, die den ECC-Internet-Blog verwaltete, nutzte die Gelegenheit und fragte uns ein paar technische Fragen zu der Bedienung des Blogsystems. Wir halfen, was in der kurzen Zeit möglich war und versprachen, uns noch einmal mit ihr zu treffen, wenn wir auf unserer Rückreise in Bangkok Zeit hätten.

Bevor wir gegen acht Uhr von den zweien zum Zug gebracht wurden, kauften wir noch ein paar Gebäckstücke von einem Bahnhofstand. Die zwei entzifferten für uns den richtigen Wagon und kamen noch kurz mit hinein, weil sie noch nie erster Klasse gefahren sind. Das Ticket kostete ca. 1200 Bhat pro Person (30 Euro) für die 11 Stunden im Nachtwagon. Im Gegensatz zur zweiten Klassen (4 Betten) hatten wir eine Kabine für uns zwei, ein Waschbecken und Trinkwasser. Natürlich war wenig Platz, aber ich war begeistert von der effektiven Platznutzung der Bettkonstruktion. Nachdem wir uns verabschiedet und der Zug sich in Bewegung gesetzt hatten, probierten wir gleich einmal den Bettmechanismus aus und verwandelten die große Sitzbank in ein Doppelstockbett. Gleich darauf kam der Schaffner vorbei, kontrollierte unsere Tickets und bezog unser Bett und die Kissen. Wir hatten ja eigentlich vor, die Sitzbank zurück zu bauen, um noch ein bisschen sitzen und am Blog schreiben zu können, aber nun waren die Betten gemacht und wir bereiteten uns auf die Nacht vor. Nach ein paar Minuten am Computer wurden wir relativ schnell müde. Die letzte Nacht im Flugzeug bzw. Flughafenhotel (war das grad erst ein paar Stunden her?) hatte nicht ausreichend Erholung gebracht und so hoffte ich, dass diese Nacht trotz wackelndem Wagon der feste Schlaf aufgeholt werden konnte. Und tatsächlich schlief Jere so fest, dass ich, als ich mitten in der Nacht von der Toilette wieder kam und er sich überhaupt nicht mehr rührte, erst mal schauen musste, ob er noch atmete. Natürlich hatte ich nämlich wieder einmal irrationale Nachtvorstellungen und die Phantasie ging mit mir durch. Ich schlief oben (unten hätte ich Panik gehabt, denn wenn die Halterung oben nicht hielt, dann wäre die untere Person Matsch gewesen) und alles wackelte und der Wagon ächtste. Schienen sollten doch eigentlich gerade sein und eine ruhige Zugfahrt ermöglichen, aber es huppelte, als ob wir über ganze Elefanten fuhren. An Bahnhöfen hatte ich die Wahnvorstellung, das irgendwelche Rebellen (ich weiß, Thailand ist kein Kriegsgebiet, aber wer den Blog verfolgt weiß, wie phantasievoll ich nachts werden kann) die Wagons stürmen und uns ausrauben und Schlimmeres (wieso denk ich immer, ich werd erschossen? Ich glaub, ich hab zu viele Kriegsfilme gesehen!). Gerade in diesem Moment, in dem ich das schreibe, guckt Jere „Black Hawk Down“ und wenn ich hinüber schaue, dann sehr ich nur Panzer, Granaten und Maschinengewehre. Nicht dass Jere das irgendwas ausmachen würde. Er hat irgendwie ein ganz ausgeprägtes Vertrauen in das Gute im Menschen. Immerhin wusste ich schon in der Nacht, dass ich irrationale Gedanken habe, was diese jedoch nicht zurück gehalten hat. Ja, also alles in allem habe ich in der Nacht nicht viel geschlafen.

Am nächsten Morgen sahen wir durch das Fenster unseres kleinen Wagons wieder eine völlig andere Landschaft. Braune Felder, grob in Rechtecke eingeteilt, hier und dort mal eine Kuh und ein Bauer, ab und zu ein paar Häuser. Erstaunlicherweise kamen mit jeder Häusergruppe riesige Tempelanlagen mit ihren geschwungenen Dächern und den weißen Steinmauern rund herum.
Gar nicht lange nachdem wir unsere Gebäckstücke gegessen und uns angezogen hatten, kamen wir verfrüht (Das hätte es bei der deutschen Bahn nicht gegeben!) im Zielbahnhof an. Der Schaffner, ein wenig energisch, versuchte uns klar zu machen, dass wir am Ziel seien, was wir erst nicht so richig glauben wollten. Wir schnallten uns also in aller Hast die Rucksäcke auf den Rücken und verließen eilig den Zug, inständig hoffend, dass wir tatsächlich schon in Ubon waren, denn alle Schilder waren – wie nicht anders zu erwarten – in Thaischrift. Wir hatten eine schnell noch selbstgezeichnete Karte von Keng erhalten, wie wir zum Markt und Minibus in der Stadt gelangen konnten. Schon direkt auf dem Bahnsteig und am Ausgang des Bahnhofs stürzten sich Taxifahrer auf uns. Manche liefen ein Stück mit uns mit, auch wenn wir ihnen versicherten, dass wir weder ein Taxi noch ein Hotel brauchten. Mann, wie ich hoffte, dass sich das nicht durch den Rest unserer Reise zieht.

Wir versuchten dem Plan zu folgen, doch verloren schnell jede der angegebenen Orientierungspunkte aus den Augen. Nach einer Weile fragten wir mehrere Leute auf dem Weg. Wir wussten das thailändische Wort für den Markt, „Thalad“, doch kaum jemand verstand unsere Aussprache. Wir irrten durch die Straßen und wurden in verschiedene Richtungen geschickt, ohne zu wissen, ob man uns verstanden hatte. Irgendwann kamen wir an eine große Kreuzung. Ich musste dringen auf die Toilette (nichts Neues) und wir machten eine kleine Pause, in der wir die Rucksäcke absetzten. Ich ging in einen Laden und der Besitzer verstand zum Glück das Wort „Toilet“ und schickte mich durch die Hintertür in den Hinterhof. Jeden Gedanken an gruselige Hinterhöfe erfolgreich unterdrückend fand ich das kleine Häuschen mit der sauberen Thaitoilette. Die hatte ich schon im wackligen Zug ausprobiert und spülte anschließend mit einem Becher Wasser nach. Wieder zurück bei den Rucksäcken und Jere hatten wir immernoch keine Idee, wie wir den Markt finden könnten. Wir wussten auch nicht so richitg, wonach wir Ausschau halten sollten. Wir fragten einen jungen Erwachsenen (unserer begrenzten Erfahrungen nach die am besten englisch sprechende Bevölkerungsgruppe in Thailand). Ein älterer Mann, der vornweg gelaufen war, drehte ebenfalls um, um uns weiter zu helfen, doch keiner von beiden verstand unsere Worte. Wir machten als letzten Ausweg eine Geste, die auf Essen hinwies. Die zwei fingen an zu diskutieren und zu beratschlagen, was wir wollten. Auf einmal packte der ältere Mann seine Brieftasche aus, gab dem jüngeren ein paar Geldscheine und deutete in unsere Richtung. Ich kann nur raten, aber ich glaube, der dachte, wir hätten kein Geld und wollten was zu essen! So lieb! Wir bemühten uns so schnell wie möglich, das Ganze richtig zu stellen und verabschiedeten uns, bevor wir noch auf Kosten anderer eingeladen würden.

Wir überquerten die Straße und schauten uns um, ob wir irgendwo die „purple bank“ und die Schule sehen würden, die auf unserer gezeichneten Karte direkt neben dem Markt sein sollten. In den vollen Straßen unscheinbar, aber ein nur ein kurzes Stück weg erkannten wir tatsächlich ein lilanes Gebäude, das eine Bank sein könnte. Und dort war auch ein ummauertes Grundstück, das wie ein Schulgelände aussah. Wir orientierten uns auf der Karte und hätten eigentlich schon direkt im Markt stehen müssen. Nach ein paar Schritten sahen wir auf der linken Seite ein paar Stände im Schatten des Gebäudes. Die Sonne knallte so auf die Gebäudeseite, dass wir nicht erst nicht sehen konnten, wie tief es dort hinein ging. Erst als wir in den Schatten der Stände tauchten, sahen wir die Markthalle, die sich über hundert Meter weit in das Gebäude erstreckte. Wir liefen durch die engen Gänge zwischen den Ständen entlang und überlegten, was wir essen oder trinken könnten. Wir hatten noch jede Menge Zeit, bevor wir uns um neun mit Mee, unserer Ansprechpartnerin hier in Ubon, an der Universität treffen würden. Wir entschieden uns nach Kaffee, bzw. Tee zu fragen. Wir wurden von den wenigen, die uns eventuell verstanden, zu einem Stand weitergeleitet. Die Besitzerin deutete uns, wir sollten uns an einen kleinen Plastiktisch setzen. Zusammen mit einem anderen Standbesitzer beriet sie sich, was wir wohl wollten. Wir waren uns unsicher, ob wir überhaupt etwas bekommen würden, denn niemand kümmerte sich mehr um uns. Dann beobachteten wir, wie die Frau Getränke zubereitete und an einen anderen Tisch trug. Wir warteten noch ein paar weitere Minuten und tatsächlich kam sie mit einer Tasse mit einem orangen Getränk an und einer Kanne Tee mit zwei kleinen Gläsern. Der grüne Tee schmeckte seltsam, aber wir freuten uns, etwas bekommen zu haben. Das orangene Getränk war eine Art Mischung aus Kokosmilch und Tee, wirklich lecker. Wir entspannten uns ein wenig und schauten durch die riesige, mit Essensständen vollgestopft Halle, die allerdings alle noch nicht in vollem Gange schienen. Wahrscheinlich fangen die erst Mittags so richtig zu kochen an. Ich hoffte, wir bekämen die dampfende Halle an einem anderen Tag noch mal zu sehen.

Nach dem Tee stellten wir uns der Aufgabe, den Minibus zu finden. Da wir nun wieder Orientierungspunkte hatten, konnte es nicht so schwer sein. Mit unseren breiten Rucksäcken schlängelten wir uns also wieder aus der Halle hinaus und versuchten, nichts herunter zu reißen. Jeder Thailänder, an dem wir vorbei kamen schaute uns interessiert an, denn wir waren anscheinend ungewohnt wie Aliens hier. Wir fanden den Minibus: Ein roter Pickup, auf dessen Ladefläche eine Art große Kabine befestigt war. Wie in einem Planwagen saßen die Leute auf den zwei Bänken. Der Bus war voll, doch an der Haltestelle stiegen die zwei Thailänder ab, die auf dem Trittblech mitfuhren. Wir nahmen also ihre Plätze ein und hingen quasi bei voller Fahrt mit unseren schweren Rucksäcken hinten am Bus dran. Ich habe mich erstaunlich wenig gefürchtet, was wohl zum einen daran lag, dass ich froh war, endlich zum Ziel zu gelangen und zum anderen schaute ich einfach nicht nach unten oder hinten. Der Bus fuhr ein ganzes Stück und leerte sich. Wir trauten uns trotzdem nicht in den engen Raum, weil unsere Rucksäcke zu viel Platz wegnehmen würden. Die Leute drückten einen Knopf, wenn sie aussteigen wollten und wir stiegen jedesmal ab, um sie vorbei zu lassen. Nach einer Weile wurde ich unruhig und fragte mich, ob wir vielleicht schon an der Universität vorbei gefahren sind, denn an einer Stelle stieg ein Mädchen ein, dass eine Schuljacke der Uni anhatte. Wir fragten die beiden letzten Insassen und eine der beiden Mädchen verstand und informierte uns, dass die Haltestelle noch kommen würde. Wir warteten also geduldig. An einer Stelle bogen wir von der großen Straße ab, und fuhren auf das Unigelände, das sich sehr weit erstreckte. Wir passierten Schilder der einzelnen Fakultäten, bis wir schließlich „Liberal Arts“ lasen. Das eine Mädchen bestätigte uns, dass wir hier aussteigen sollten. Wir zahlten die 20 Bhat (50 Cent für beide zusammen) beim Fahrer und wurden direkt von Mee in Empfang genommen, die schon auf dem Bürgersteig wartete und für die nächsten Tage unsere Ansprechpartnerin sein sollte.
Nachdem wir uns für eine Weile zusammengesetzt hatten, kamen andere Studenten, die ebenfalls Mitglieder des ECC waren hinzu und wir lernten uns alle besser kennen. Die meisten Mitglieder waren im ersten Semester und konnten sehr wenig Englisch. Mee verstand uns relativ gut und auch wir gewöhnten uns schnell an das Thai-Englisch. Da wir nicht getrennt in Dorms schlafen wollten, hatte uns Mee ein Gästehauszimmer besorgt, dass uns 8 Euro pro Nacht kostete. Wir fuhren mit dem Minibus wieder zurück zu der großen Straße, an der direkt das Gästehaus gelegen war. Mee sprach mit dem Besitzer, der kein Wort Englisch konnte, und wir bezogen unser geräumiges Zimmer. Wir waren etwas erleichtert, als Mee uns sagte, dass wir uns erst einmal bis nachmittags ausruhen könnten und uns dann wieder mit ihr treffen würden. Erschöpft ließen wir uns aufs Bett fallen und holten Luft vom vielen Unbekannten.

Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns! Keiner versteht uns!

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