In den Medien und in der Öffentlichkeit wird immer wieder beklagt, dass Ärzte keine Zeit mehr für Patienten haben. Die Schuld dafür wird dem Controlling, den Geschäftsführern und der Ökonomisierung in den Krankenhäusern gegeben. Aber stimmt das wirklich ? Ist es nicht immer einfacher, die Schuld bei Anderen zu suchen oder das System verantwortlich zu machen?
Natürlich hat der finanzielle Druck auf die Krankenhäuser zugenommen. Und allen ist bekannt, dass sich die Prozesse in den Krankenhäusern durch das deutsche Fallpauschalen- System (G-DRG-System) radikal geändert haben. Die Verweildauern wurden radikal verkürzt und es sind manche Fehlanreize entstanden (z.B. mehr, z.T. nicht notwendige Operationen).
Und wahrscheinlich haben sich die meisten leitenden Ärzte schon einmal über Geschäftsführer geärgert, die ihnen mit wirtschaftlichen Argumenten Vorschriften gemacht haben. Manche Ärzte erleben es als Einmischung, wenn sich Kaufmännische Direktoren trauen, die Notwendigkeiten von medizinischen Leistungen in Frage zu stellen. Und manchmal scheinen Geschäftsführer sehr stark die Zahlen und weniger die Qualität der medizinischen Behandlung im Auge zu haben. Manchmal geraten auch die strategische Ziele vor lauter Sparzwängen aus dem Blickfeld. Dann besteht die Gefahr, dass an dem wichtigsten Kapital gespart wird, was wir bei Dienstleistungen im Krankenhaus haben: dem qualifizierten Personal (statt an überflüssigen Strukturen oder Prozessen).
Aber ist das alles wirklich die Ursache dafür, dass Ärzte weniger Zeit für Patienten haben, wie auch in einem Artikel in der SZ vom 14.8.13 suggeriert wird (Vorsicht Klinik, SZ, Nr 187, Seite 3)? Ist das “System Krankenhaus” krank und die Ärzte “rücksichtslos”, “ohne Gehör für Patienten”? Warum fühlen sich Patienten oft “schlecht informiert” und “alleine gelassen”? Warum haben Patienten oft “Angst vor den behandelnden Ärzten”?
Oder sollten wir uns nicht einmal an die eigene Nase fassen, statt die Schuldigen im “System Krankenhaus” oder bei den Controllern zu suchen ?
In allen Generationen gab und gibt es Ärzte, die sich aufopferungsvoll und engagiert um ihre Patienten bemühen, die ihnen beistehen, sie informieren und bei schweren Erkrankungen begleiten. In den vielen Jahren als Arzt im Krankenhaus habe ich immer wieder Kollegen aller Fachrichtungen kennengelernt, die sich viel Zeit für die Belange ihrer Patienten genommen haben. Und auch im G-DRG-System gibt es aufmerksame und patientenotrientierte Ärzte, die Patienten aufklären, sich Zeit nehmen und für Patienten da sind.
Und ebenso gab es unter den Ärzten immer schon Handwerker, Tüftler und Wissenschaftler, die lieber im Labor standen, operierten, Narkosen machten und ihren Beruf als reine technische Serviceleistung betrachteten.
Und es gibt und gab eine Minderheit von Ärzten, die dabei die betroffenen Menschen vergessen, die eher an sich denken (an ihren Profit oder ihre Karriere), die sich keine Zeit für Aufklärungen nehmen, die wissenschaftliche Untersuchungen mit Patienten machen, ohne diese aufzuklären, die ihre Interessenskonflikte nicht offenlegen und unreflektiert mit Pharmafirmen zusammen arbeiten.
Das heisst: Ärzte, die sich wenig Zeit für die Patienten nehmen oder sich zu wenig um Patienten bemühen, gab es schon lange vor den ökonomischen Zwängen des G-DRG-Systems.
Und bis heute gilt, dass Mediziner viel zu schlecht auf die Belastungen und psychischen Belange ihrer Patienten vorbereitet sind. Sie sind überfordert damit, Menschen über schwere Krankheiten zu informieren und ihnen bei den Behandlungen beizustehen. Obwohl es seit 1976 Pflichtkurse in Psychosomatik im Studium gibt, sind die meisten Ärzte mit Gesprächsführungen überfordert. Das Medizinstudium bereitet ausführlich auf die körperliche Seite von Erkrankungen vor, die psychischen Erkrankungen kommen zu kurz. Und nach wie vor wird an den deutschen Hochschulen die wissenschaftliche Tätigkeit mehr belohnt als die Lehre und Ausbildung der Studenten.
Schon in den 70 er Jahren schrieb Balint* über die Ärzte, die sich nur 5 Minuten Zeit pro Patient geben. Und noch heute suchen Ärzte oft Jahre lang nach organischen Ursachen für Beschwerden und erkennen Depressionen oder Somatisierungen viel zu spät. Schon Untersuchungen aus den 90er Jahren haben beschrieben, dass Ärzte weniger Zeit mit den Patienten verbringen, denen sie nicht mehr weiter helfen können.
Das heisst für Patienten und Angehörige, dass sie sich aktiv und kritisch nach Ärzten umschauen müssen, die ihre Interessen ernst nehmen und nicht über sie bestimmen.
Für Ärzte heißt das, dass sie sich gegenüber Geschäftsführern behaupten müssen und die Notwendigkeiten der medizinischen und therapeutischen Qualität immer wieder selbstbewusst vertreten müssen.