„Keine Weltliteratur ohne Übersetzer“ — Autorin und Übersetzerin Susanne Goga

Susanne Goga

Susanne Goga stand vor der Entscheidung ihres Lebens: Wissenschafts– oder Autorenlaufbahn? Zum Glück hat sie sich für den zweiten Weg entschieden. Denn ihrer Kreativität haben wir über 70 Übersetzungen (unter anderem Cry Baby) und eigene Romane zu verdanken.

Im Januar 2016 erscheint ihr neuer Krimi Es geschah in Schöneberg.

Suchen Sie sich die Bücher für Übersetzungen aus?

Ich bin inzwischen in der Lage, dass ich auch mal Nein sagen kann. Natürlich muss ich zusehen, dass ich kontinuierlich beschäftigt bin. Ich übersetze auch Dinge, die ich nicht unbedingt selber lesen würde, lehne aber Aufträge ab, wenn mir Thematik und Stil gar nicht liegen. Doch die Lektoren wissen ungefähr, welches Buch ich mag und was mir liegt.

Ich brauche im Schnitt 3–4 Monate für einen Titel, es hängt natürlich immer davon ab, wie umfangreich und schwierig das Buch ist. Ich übersetze nicht in Vollzeit, sondern teile meine Zeit mit den Büchern, die ich selbst schreibe.

Wenn es Autoren sind, die ich kenne, dann weiß ich ungefähr, was mich erwartet. Gerade bei Krimis will ich mir die Spannung auch nicht nehmen und lese sie nicht vorab. Wenn ich jemanden gar nicht kenne oder mir vielleicht die Lektorin sagt: „Ich weiß nicht genau, ob dir das liegt“, lese ich das Buch, bevor ich mit der Übersetzung beginne.

Sie standen vor der Wahl: Dissertation oder eigenes Buch wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung?

Am Anfang stand die Idee: Ich möchte auch noch was neben dem Übersetzen machen, etwas, das in eine ähnliche Richtung geht und mein eigenes Ding ist. Dabei bin ich für mich zu folgendem Schluss gekommen: Wenn man eine Doktorarbeit schreibt, arbeitet man zu einem großen Teil Sekundärliteratur auf, die andere Leute geschrieben haben. Damals hatte ich bereits 60 Seiten geschrieben, in denen es nur um die Sekundärliteratur ging.

Ich habe mich auch ganz nüchtern gefragt: Was würde mir dieser Doktortitel tatsächlich bringen? Es gibt Berufe, in denen das von Vorteil ist, aber beim Übersetzen nützt es nichts und beim Schreiben schon einmal gar nicht. Es wäre ein riesiger Aufwand für etwas gewesen, das ich eigentlich gar nicht haben muss. Danach fiel mir die Entscheidung nicht besonders schwer.

Gibt es einen thematisch roten Faden, der sich durch Ihre Bücher zieht?

Meine eigenen Romane sind historische Romane, ohne Ausnahme. Sie spielen im 19. oder 20. Jahrhundert. Ich habe mich immer schon für Geschichte interessiert. Als ich dann überlegt habe, worüber ich schreiben möchte, kam ich auf die Zeit um den Ersten Weltkrieg, die mich schon immer interessiert hat. Mein erster Roman spielte auch im Berlin dieser Zeit – damals hat sich aber dieses Genre überhaupt nicht verkauft.

Ich habe beim Schreiben dieses ersten Romans Durchhaltevermögen gelernt und mir selber bewiesen, dass ich eine Geschichte von Anfang bis Ende erzählen kann, auch wenn sie nie veröffentlicht wurde. Und dass ich genügend Geduld, Ausdauer und handwerkliches Können besitze, um das durchzuziehen. Ich habe das erste Manuskript an drei Agenten geschickt, und alle waren unterschiedlicher Meinung. Einem war es zu viel Elend, ein anderer wollte mehr Elend und ein Dritter meinte, das Buch sei gut, doch gäbe es dafür (noch) keinen Markt. Er sei aber an anderen Ideen interessiert.

Die Weimarer Republik und die 20er Jahre hatten mich schon lange fasziniert. Damit hatte ich die Zeit und den Ort gefunden, das Genre Krimi kam dann noch hinzu. Dies war der endgültige Impuls, um loszuschreiben und daraus ist dann mein erster veröffentlichter Roman Leo Berlin geworden.

Was würden Sie Jungautoren raten, um erfolgreich zu veröffentlichen?

Es gibt natürlich Leute, die ihren Weg ohne einen Agenten machen. Aber wenn man es ernsthaft will und sagt: Ich möchte auch für andere schreiben, ich möchte, dass es gelesen wird, würde ich schon dazu raten, das Manuskript an seriöse Agenten zu schicken.

Es ist schön, wenn es Freunde und Familie gerne lesen. Agenten schauen aber anders darauf: Wie sieht es mit dem Handwerklichen aus? Was kann man da verbessern? Was lässt sich verkaufen? Ein weiterer großer Vorteil: Man bekommt von Verlagen relativ schnell eine Antwort, wenn ein guter Agent vermittelt. Und selbst wenn die Antwort negativ ausfällt, weiß man schnell, woran man ist.

Die Vertragsverhandlungen sind ebenfalls wichtig – das sind alles Dinge, um die ich mich nicht kümmern muss. Ich finde es nach wie vor angenehm, dass ich mich damit nicht selbst befassen muss und mich ganz auf das Schreiben konzentrieren kann.

Welches Genre lesen Sie am liebsten?

Ich lese ganz unterschiedliche Dinge — historische Romane und dabei natürlich vorzugsweise die Epochen, über die ich selbst schreibe. Ab und zu auch historische Krimis, Gegenwartskrimis eigentlich kaum. Ich lese auch gern Sachbücher über Naturwissenschaften und habe mich mit dem Buddhismus beschäftigt. Meine Interessen sind breit gefächert.

Wie viel kreativen Spielraum haben Sie bei Übersetzungen?

Was die Handlung angeht, eigentlich keinen. Da würde ich auch nicht eingreifen. Wenn ich einen ganz dicken, schrecklichen logischen Fehler entdeckte, würde ich mit den Lektoren sprechen, die sich wiederum mit dem Autor/der Autorin auseinander setzen. Wenn ich kleinere sachliche Fehler finde, korrigiere ich diese, da frage ich nicht lange nach. Es soll ja ein gut lesbarer deutscher Text herauskommen.

„Keine Weltliteratur ohne Übersetzer“ — Autorin und Übersetzerin Susanne Goga

Susanne Gogas neuer Kriminalroman: Es geschah in Schöneberg

In einem Roman ging es darum, dass im Australien der 1930er Jahre Penicillin verabreicht wird – doch das war zu der damaligen Zeit unmöglich. Diese Dinge zu prüfen und gegebenenfalls zu korrigieren, ist für mich eine Frage der beruflichen Ehre.

Was den Stil angeht, habe ich manchmal das Gefühl, dass in Großbritannien und den USA nicht ganz so streng lektoriert wird wie bei uns. Da greife ich dann schon ein, fasse Sätze zusammen oder tausche sie aus, wenn der Ablauf nicht stimmt. Diesen Spielraum nehme ich mir. Aber es muss natürlich immer das Buch des Originalautors bleiben und nicht mein eigenes werden.

Übersetzer arbeiten oft unter wahnsinnigem Zeitdruck. Dann schleichen sich Fehler ein. Nicht alle Verlage arbeiten gleich gewissenhaft, was das Lektorat angeht. Das sollte nicht sein, das ist ein Bereich, an dem man einfach nicht sparen darf. Man kann jedes Manuskript und jede Übersetzung durch ein Lektorat verbessern. Dieser Schritt ist enorm wichtig und darf nicht vernachlässigt werden.

Für mich ist es immer ein ganz schlechtes Zeichen, wenn ich ein Buch lese und ich weiß, was im Englischen dort gestanden hat, wenn das Original durchschimmert. Dann ist man in der Regel zu nah am Text geblieben.

Sie leben in Mönchengladbach, schreiben aber Berlin-Krimis. Was reizt Sie an Schauplätzen in der Hauptstadt?

Wenn man über die Zeit Erster Weltkrieg 20er Jahre schreiben möchte, dann kommt man an Berlin nicht vorbei. In Mönchengladbach war damals nicht viel los, das Berlin der Weimarer Republik ist hingegen fast schon ein Mythos. Es war damals das Zentrum in Mitteleuropa mit über vier Millionen Einwohnern.

Dazu auch die Gegensätze – einerseits der Glanz von Kunst und Kultur, man denke nur an die deutsche Stummfilmzeit, andererseits die politischen Konflikte und das soziale Elend. Interessant ist auch, dass die Berliner Kriminalpolizei damals absolut führend war. Sie hatte bei Kapitalverbrechen eine Aufklärungsrate von nahezu 95 %. Selbst das FBI flog ein, um von der Berliner Polizei zu lernen. Berlin war einfach unglaublich modern. Es hatte alles zu bieten, was man für Geschichten braucht.

Der Erste Weltkrieg war die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts. Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg haben das Thema in Deutschland vollkommen überlagert. In Großbritannien ist der Erste Weltkrieg nach wie vor „The Great War“. Es gibt Gedenkfeiern, zahllose Bücher und Filme über das Thema. Wir Deutschen tun uns hingegen schwer damit.

Oft kritisieren Fans von englischsprachigen Büchern, dass durch Übersetzungen Wesentliches verloren geht. Was denken Sie? 

Es gibt natürlich Fälle, in denen das stimmt. Es gibt schlechte Übersetzungen, so wie es schlecht gebackenes Brot gibt oder schlecht gestrichene Wände. Es gibt Bücher, die sind gut übersetzt und lektoriert, bei anderen hätte man mehr machen müssen.

Wir hätten keine Weltliteratur, wenn es keine Übersetzer gäbe. Übersetzerinnen und Übersetzer und ihre Arbeit müssten viel stärker anerkannt und auch besser bezahlt werden, als es zurzeit der Fall ist. Mich ärgert es auch, dass Übersetzungen in Rezensionen nicht angesprochen werden oder wenn, dann oft negativ. Wenn eine Übersetzung gelungen war, wird dies häufig nicht erwähnt.

Was mich persönlich betrifft, lese ich das Original, sofern ich es verstehe. Englisch können viele, aber was ist mit Büchern aus dem Türkischen, Russischen oder Japanischen? Viele Übersetzungen sind sehr gut und in Deutschland wird unglaublich viel übersetzt. Deutschland war und ist ein Übersetzungsland.

Bildquelle: Myriam Topel


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