Keine Wahl

“Junge Welt”, 09.01.2012
Kasachstan soll über ein neues Parlament abstimmen. Doch der Westen des Landes wird von der Farce ausgeschlossen

Am kommenden Sonntag sollen im zentralasiatischen Kasachstan Parlamentswahlen stattfinden, jedoch nicht in allen Landesteilen. Die Region um die westkasachische Stadt Schanaosen, in der Militäreinheiten Mitte Dezember streikende Ölarbeiter massakriert haben, ist auf Weisung des autokratisch regierenden Staatschefs Nursultan Nasarbajew von der Abstimmung ausgeschlossen worden. Augenzeugenberichten zufolge waren bei mehrtägigen Auseinandersetzungen Dutzende Arbeiter, die schon monatelang gegen Massenentlassungen und für Lohnerhöhungen gekämpft hatten, der Staatsmacht zum Opfer gefallen, die auch Schützenpanzer und Maschinengewehre einsetzte. Während laut Regierungsangaben in der abgeschotteten Stadt 16 Opfer gezählt wurden, sprachen kasachische Gewerkschaftsvertreter bei einer Pressekonferenz in Moskau von mindestens 70 Toten und mehr als 100 Vermißten. Zudem führten die Polizeikräfte in der Stadt Massenverhaftungen durch, denen Hunderte Bewohner zum Opfer gefallen sind. Die Inhaftierten seien in dem lokalen Gefangenenlager folterartigen Praktiken ausgesetzt, bei denen die Gefangenen etwa nackt bei starkem Frost mit Wasser übergossen würden, berichteten die Gewerkschafter. Es seinen »Schreie aus dem Gefangenlager« zu vernehmen, berichtete der Kovorsitzende der Sozialistischen Bewegung Kasachstans, Ainur Kurmanow. Laut Augenzeugenberichten sollen Leichen aus dem Lager geschafft worden sein. Die Gewerkschafter sprachen ausdrücklich von »faschistischen Methoden«.
Das Regime in Astana konzentriert sich derweil darauf, weitere Proteste im Gefolge der Parlamentswahlen zu verhindern. Der ursprünglich bis zum 5. Januar geltende Ausnahmezustand in Schanaosen wurde auf Weisung Nasarbajews bis zum 31. Januar verlängert. Zum Jahresbeginn verbot Kasachstans Autokrat auch Auslandsreisen von Staats- und Regierungsvertretern, da diese nun »näher an den Menschen« sein müßten und »den Finger am Puls« halten sollten. Es werde auch keine Überraschungen bei den Wahlen in Kasachstan geben, erklärte der russische Zentralasien-Experte Grigori Golosow gegenüber der Washington Times. Die kasachische Führung sei sich der Unzufriedenheit im Land bewußt und werde »bestrebt sein, die Wahlen in der Art abzuhalten, wie sie es brauchen«. Politischer Wandel werde in Kasachstan nicht durch Wahlen kommen, sondern eventuell »durch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Präsidenten oder durch die Unzufriedenheit in Westkasachstan«.
Zuckerbrot und Peitsche

Neben der Peitsche setzt Nasarbajew derweil auf Zuckerbrot. Nach dem Massaker an den Ölarbeitern wurden der Chef des verantwortlichen staatlichen Konzerns KazMunaiGas sowie der Gouverneur der betroffenen Provinz Mangistau ihres Amtes enthoben. Zudem wurde Timur Askarowitsch Kulibajew, ein Milliardär und Schwiegersohn Nasarbajews, der sich zusammen mit einer Tochter Nasarbajews und drei weiteren Höflingen auf der Forbes-Liste der reichsten Milliardäre der Welt befindet und als aussichtsreicher Kandidat für die Nachfolge des alternden Herrschers galt, von seinem Posten als Vorsitzender des dominanten kasachischen Staatsfonds Samruk-Kazyna entbunden. Zu seinem Imperium gehörte auch KazMunaiGas. Zudem hat Nasarbajew die Wiedereinstellung eines Teils der entlassenen Ölarbeiter angeordnet. Die sollen aber in andere Landesteile umziehen und zu Löhnen arbeiten, die bei 80 bis 90 Prozent ihrer bisherigen Verdienste liegen sollen. Die Menschen in der Provinz Mangistau würden dieses Angebot ablehnen, erklärte der Sozialist Kurmanow. »Niemand wird freiwillig wegziehen, wenn er nicht dazu gezwungen wird.«
Keine Hilfe aus Europa

Auf Unterstützung durch die ansonsten so interventionsfreudige EU können die kasachischen Arbeiter indes kaum rechnen. Wegen der Erdöl- und Ergaslieferungen aus der Region würden sich Deutschland, Frankreich und andere europäische Staaten »bis zum letzten Moment zurückhalten«, erklärte der Menschenrechtsaktivist Anatoli Baranow. Ähnlich argumentierte die Washington Post, die darauf hinwies, daß Kasachstan Teil der Versorgungsroute für die US-Truppen in Afghanistan sei, und auch viel »Geld auf dem Spiel« stehe, das US-Ölkonzerne in den kasachischen Energiesektor investiert hätten.


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