“Keine Lose für die Nieten!”

Das Kölner Landgericht hat mit einer einstweiligen Verfügung der Westlotto GmbH verboten, Personen, die “Spieleinsätze riskieren, die in keinem Verhältnis zu ihrem Einkommen stehen”, insbesondere Hartz-IV-Empfängern, Lotto- oder Wett-Spielscheine zu verkaufen. Bereits im Januar hatte ein anderes Gericht entschieden, dass, obwohl Lotto-Gewinne ja ansonsten steuerfrei sind, bei Hartz-IV-Bezieher ein Lottogewinn auf vom Regelsatz abgezogen werden muss. (Wo kämen wir auch hin, wenn in Zeiten des Finanzmarktkapitalismus Einkünfte erzielt würden, für die man nicht gearbeitet hat?)

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Photo: sebastianmichalke

Die Begründung des Lotto-Verbots für Hartz-IV-Empfänger mit dem Glücksspielstaatsvertrag und dessen vorgeblichen Ziel der Bekämpfung von Spielsucht erscheint eher wenig überzeugend. Diese ist sowieso eher eine  bloße Fassade, um das staatliche Glücksspielmonopol aufrechtzuerhalten und dem Staat nicht unbeträchtliche Einnahmen zu sichern. Und dies ist äußerst fragil. Im Dezember hatte sogar das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass das bestehende staatliche Sportwettenmonopol in Deutschland nur dann aufrechterhalten werden kann, wenn es zur Bekämpfung von Glücksspielsucht dient. Dem Urteil ging eine Vorabscheidung des Europäischen Gerichtshofs voraus, der geurteilt hatte, dass das deutsche Sportwetten- und Glücksspielmonopol dem europäischen Recht widerspricht und einen Verstoß gegen die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EU darstelle. Zur Bekämpfung der Spielsucht könne ein solches Monopol zwar gerechtfertigt werden, Deutschland verfolge mit der derzeitigen Regelung dieses Ziel aber nicht wirksam. Das Gericht nennt hier etwa die Werbekampagnen für Lotto oder privat betriebene Spielautomaten. Gerade dies zeigt am besten, wie bigott die deutsche Gesetzgebung ist. Der Suchtfaktor von Automaten-Daddelspielen ist der höchste aller Glücksspielarten – trotzdem dürfen ausgerechnet diese privat betrieben werden. Würde man das Thema wirklich ernst nehmen und nicht nur als Alibi benutzen, würde man hier ganz anders handeln müssen – aber bestimmt nicht mit einem pauschalen Verbot für bestimmte gesellschaftliche Schichten.

Hartz-IV-Bezieher leiden schon jetzt unter einer derartigen Beschränkung von bürgerlichen Rechten und Freiheiten, dass es einer freien Gesellschaft Hohn spricht. Faktisch existiert bereits jetzt ein Zwang, jede Arbeit anzunehmen (durch die Möglichkeit einer kompletten Streichung der Bezüge), es gibt eine Residenzpflicht und zahlreiche Pflichten und Formalitäten, die man genauestens befolgen muss, will man nicht Sanktionen befürchten. Und immer wieder werden noch weitere Bevormundungen und Entmündigungen, wie etwa die Austeilung von Gutscheinen statt Geldleistungen, verlangt. Selbst die Kinder sollen durch Bildungsgutscheine stigmatisiert werden. (Aber nein, hört man, man will die Hartz-IV-Bezieher ja nur vor sich selbst schützen! Nach Alkohol und Tabak ist nun auch das Laster des Glücksspiels von ihnen genommen. Danke Staat, dass du sagst, was gut für uns ist!)

Neben der offensichtlichen Entmündigung und Gängelungen: Geht es vielleicht auch darum, Hartz-IV-Beziehern auch noch die letzte, noch so minimale Chance, auf Ausstieg aus Hartz IV und auf Wohlstand zu verwehren? “Jeder kann es schaffen” ist schon jetzt eine billige Lüge. Chancengleichheit, an sich schon ein billiger Abgleich von sozialer Gleichheit, existiert nicht. Deutschland ist sozial undurchlässig wie kaum ein anderes Industrieland. Will man nun manchen Menschen nicht mal den geringsten Funken Hoffnung lassen? Und will man dadurch die Abschreckungskraft, Opfer von Hartz IV zu werde und die Wirksamkeit von Hartz IV als “Disziplinierungsmittel” für Arbeitnehmer weiter steigern? Eine solche Praxis ist nicht nur zynisch, sie ist schlicht inhuman. Wie das ganze Hartz-IV-System.

Links:

Gericht verbietet Lotto-Verkauf an Hartz IV-Bezieher – Erwerbslose outen sich nun! 

Unter dem Titel: „Ich habe West-Lotto gespielt und bin Hartz IV“ (http://www.elo-forum.org/news-diskussionen-tagespresse/70302-habe-west-lotto-gespielt-hartz-iv.html) können sich seit heute Abend Hartz IV-Bezieher zu ihrem Lotto-Spiel bei West-Lotto bekennen.

„Wenn dieser Wettanbieter meint, er müsse auf dem Rücken von Hartz IV-Betroffenen seine Konkurrenz ausschalten, weiß er anscheinend nicht, dass seine Instrumentalisierung und Diskriminierung von Hartz IV-Beziehern, für ihn Folgen haben wird, die er sich so dann nicht gewünscht hätte. Aber auch das Kölner Landgericht muss sich fragen lassen, ob diese Entscheidung noch eine Nachwehe des Karnevals ist oder man Hartz IV-Bezieher zur nicht zugehörigen Kaste zählt“

Feynsinn: Minderleister müssen sich zu erkennen geben


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