Kein Zug. Kein Flugzeug. Kein Held. Eine Kritik zu Birdman

Weil es in Magdeburg zum Glück auch noch kleine unabhängige Kinos neben den großen Multiplexen gibt, konnten Tom und ich mir den mit viel Lob überschütteten Film von Alejandro González Iñárritu zum Glück noch anschauen. Und das sogar noch vor den Academy Awards, wo der Film mit neun Nominierungen durchaus als Favorit gehandelt wird. Aber schauen wir erstmal auf „Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit”…

Komplexe Inhalte…

Michael Keaton in BirdmanDer eher mäßig prominent wirkende, alternde Schauspieler Riggan Thomson (Michael Keaton) inszeniert am Broadway ein Bühnenstück basierend auf der Kurzgeschichte „What We Talk About When We Talk About Love“ von Raymond Carver. In einem früheren leben war er „Birdman“, den er in drei erfolgreichen Blockbustern verkörperte und der auch jetzt noch in ihm schlummert und mit ihm spricht. Diesen erfolgreichen Teil seines Lebens will er hinter sich lassen und vielleicht sich, vielleicht auch seiner Tochter Sam beweisen, dass er zu mehr fähig ist. Sam (Emma Stone) ist gerade aus dem Drogenentzug zurück und arbeitet widerwillig als Riggans Assistentin. Das Verhältnis scheint eher frostig. Die Proben zum Stück scheinen zu scheitern, als ein Darsteller verletzt ist. Kurzfristig kann Thomsons Freund, Produzent und Anwalt Jake (Zack Galafianakis) allerdings den großen Broadway-Star Mike Shiner (Edward Norton) engagieren, der sich sowohl als Genie als auch als Wahnsinniger entpuppt.
Wir erleben Thomsons Kampf mit sich selbst, die Unsicherheit, die Angst vor der Kritik (und der Kritikerin) und vor dem finanziellen Ruin sowie gleichzeitig das zunächst unklare Verhältnis zu seiner Ex-Frau und seiner Tochter. Das Stück, Riggan selbst und eigentlich alles und jeder um ihn herum ist einem emotionalen Zick-Zack-Kurs unterworfen, der bis zur großen Premiere immer stärker wird.

… verlangen nach minimaler Form

Michael Keaton Christmas lights - BirdmanIch persönlich finde das Thema zwar interessant, aber auch eher mäßig zugänglich, weil es mir doch schwerfällt, mich in die Gefühlswelt eines Schauspielers hineinzuversetzen, der ja nun mal auf viel regelmäßigerer Basis mit seinem möglichen Versagen konfrontiert ist und seine Gefühle jeden Abend auf der Bühne vor Publikum ausbreiten muss. Wirklich nachvollziehen können das wohl nur andere Schauspieler, was nicht bedeutet, dass ich die Narration schlecht finde. Zu einem gewissen Grad ist die emotionale Ebene unabhängig davon natürlich universell zugänglich. Worin der Film aber für mich vor allem glänzt ist die Inszenierung. Die Schauspieler, allen voran Michael Keaton, liefern allesamt eine tolle Leistung ab. Edward Norton glänzt als verrückte Diva und Zach Galifianakis als gar nicht so alberner Mann für’s Grobe. Allein Emma Stone sticht vielleicht nicht sonderlich hervor, ohnehin sind die Frauenrollen nicht unbedingt die stärksten Frauen und finden nur punktuell im Vordergrund statt.
Spannend finde ich aber die Entscheidung, den Film hauptsächlich als eine (scheinbar) einzige, lange und kontinuierliche Sequenz ohne harte Schnitte umzusetzen. Die Kamera folgt ständig den Protagonisten und bleibt meist in Bewegung, Ortswechsel werden entsprechend fließend gelöst und Zeitsprünge durch Zeitraffer oder Schwenks in den Himmel kenntlich gemacht. So wird im einen Moment noch über die Generalprobe diskutiert und im nächsten Moment findet Sie schon statt. Ähnlich wie man auch im Theater nicht die Möglichkeit hat, ohne Umbaupause das Setting komplett zu verändern oder die Perspektive zu wechseln, entsteht im Film so ein schöner Fluss, der durch gezielte Zäsuren in Akte unterteilt ist. Um den richtigen Rhythmus kümmert sich im wahrsten Sinn des Wortes der Jazz-Drummer Antonio Sánchez, der bis auf einige klassische Orchesterstücke den Film fast im Stil eines Stummfilms nur mittels Schlagzeug untermalt. Egal ob Hektik, Spannung, Nachdenklichkeit oder Chaos, der Soundtrack deckt alle Stimmungen mit nur diesem einen Instrument ab.
Sam (Emma Stone) - BirdmanDie innere Auseinandersetzung zwischen Riggan und seinem Charakter Birdman wird mit subtilen Effekten visualisiert, hier spielt der Regisseur auch ein ums anderen Mal mit den gedachten Erwartungen der Zuschauer und wirft implizit die Frage auf, worin eigentlich der Erfolg der großen Blockbuster begründet liegt und wie der Erfolg sich auf die Erfolgreichen auswirkt.

Das eine nicht ohne das andere…

Riga Thomson am Times Square - BirdmanEs zeigt sich bei Birdman ganz klar, dass eine Unterscheidung zwischen Form und Inhalt hier keinen ergäbe. Was ist der Inhalt, was das Thema? Geht es um eine Kulturkritik, die auch auf das Publikum und seine Erwartungen abzielt? Geht es um eine authentische Abbildung des Theatermétiers? Geht es um eine zerfallene Familie, die wieder zu einander zu finden versucht oder auch nicht? Oder um den “Zirkus der Eitelkeiten“, den man aus zahlreichen Illustrierten zu kennen glaubt? Geht es um Kunst? Oder Medienkritik? Oder die Frage, was unsere menschliche Existenz begründet, die sogenannten „human condition“, und unsere tentative Suchbewegung ob der komplexen, verrückten modernen Welt? Oder, oder, oder…
Der Film berührt offenbar viele Themen und so klar, minimalistisch und poliert wie die Erscheinung des Films auf mich wirkt, so breit, unklar und mannigfaltig sind doch die Fragen, die er aufwirft.
Möglicherweise ist der Film darum auch sperrig, zumindest sehen das wohl die Verleiher so, die ihn einem breiten Multiplexpublikum in Deutschland eher vorenthalten (man korrigiere mich, wenn das ein falscher Eindruck ist), obwohl die Kritik sich überschlägt (92% bei rottentomatoes, 88 bei metacritic) und auch das Publikum den Film mag (84% bei rt, 8,0 bei mc)
Auseinandersetzungen - BirdmanUnd sicherlich hat es einen solchen Film in vielerlei Hinsicht noch nicht gegeben, was ihn schwer oder gar unmöglich zu vergleichen macht. Für mich scheint das aber nur ein Grund mehr, sich auf etwas Unerwartetes einzustellen, das Popcorn wegzulassen und den Film anzuschauen. Denn inmitten der Superheldenfranchises, die in Hollywood scheinbar das Allheilmittel gegen frische Ideen und für konstante Einnahmen bilden, ist dieser Film die komplette Antithese, vielleicht sogar eine Rechtfertigung dem Film auch heute noch hin und wieder das Anhängsel -kunst zu genehmigen. Dazu gehört eben wohl leider auch, dass er kein Blockbuster sein kann oder sogar sein muss.

Hier nochmal der Trailer und auch die großartige Website, die dem Film mehr als gerecht wird, ist sehr zu empfehlen. Und wer eine Kritik zum anderen großen Oscar-Anwärter „American Sniper“ lesen will, wird bei Kino-Kumpan Tom fündig.

Bilder: collider.com


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