Kein Stuhl mehr frei - Salonlesung Februar 2013


Kein Stuhl mehr frei - Salonlesung Februar 2013
 
Kein Stuhl mehr frei
Der kleine Salon Jean-Paul musste fast wegen Überfüllung geschlossen werden, doch die zwanzig Gäste fanden dann doch ihren Platz. Ob einige davon auch einen Platz in den höheren Weihen der Literaturlandschaft finden werden, bleibt abzuwarten. Das Gehörte klang aber alles in allem nach guten Chancen dafür. Der literarische Himmel muss erklommen werden und die vehemente Kritik der LitOff-Autoren fühlt sich manchmal nicht nach Himmel und rosa Wolken, sondern eher wie eine kleine Vorhölle an. Wie es trotzdem gelingt erhobenen Hauptes wieder heraus zu kommen, zeigten uns zehn(!) Lesende im literarischen Salon des kleinsten Verlagshauses Heidelbergs.
„Mann, waren das viele man’s in Deinem Text“, „naja, aber es geht doch ums Zugfahren, da weiß man, was man hat“, „oder davon hat …“. Denn der Protagonist in Wilhelm Dreischulte`s Zuggeschichte legt Tag für Tag kaugummiziehendlangweilige Kilometer zurück oder eben nicht, wenn die Bahn mal wieder nicht kommen will. Eher ganz kurzweilig vergnügte sich Jobst, der diesmal mit einem munteren erotischen und exotischen Reimgedicht über „Lesben, die schauen aus Westen“ die Runde erheiterte. Nanu, darf man Lesben mit Westen reimen? Jobst darf, denn Jobst macht Lyrik aus Jux, wie er von sich sagt. Künftig wird er uns wieder mit Prosa aus seinen Jugenderinnerungen erfreuen, versprochen ist versprochen.
Der Obst- und Gemüseanteil überwog an diesem Abend die Fleischrationen bei weitem. Schwindende Rosenkohlköpfe, welk schlafender Salat und  Kirschregen spielten in Elisabeth Singh-Noack Haikus die Hauptrollen. Mit rohen Auberginen startete Ulrich Pomplun einen Angriff auf das Zwerchfell der Zuhörerschaft. Der Satz: „Sie war mir nicht unheimlich, aber ich wollte sie auch nicht um mich haben“, kommt zwar eher nicht ins Guinness Buch, aber bestimmt in die LitOff-Notizen für besonders originelle Sätze.
Bojan Dimov führte die Zuhörer mit seinem biographischen Roman über eine Pianistin hinauf in schneebedeckte Höhen. In einer verträumten Hütte, will eine kleine Familie in 1.200 Metern Höhe Weihnachten feiern. „Stehende Schneeflocken“ vor den Fenstern und „verflossene Elche“ an der Wand, lassen fast surrealistisch wirkende Bilder entstehen, die über die vielen vertrackten Einzelheiten der Geschichte und dem kaugummiziehenden Weg dorthin hinwegtrösten.
„Wo ist die Leiche?“ fragten sich Nils Ehlert und Anette Butzmann in der gemeinsamen Krimi-Dramolette, die in der einer freien Ecke des Salons zur Vorführung kam. Die Geschichte von Christine Engel zeigte ebenfalls kriminalistische Tendenzen geleitet von der Frage: Wie kann Rache geübt werden, wenn der Bösewicht eigentlich schon tot ist? Die Antwort ist nicht einfach und wird von der listigen Autorin geistreich ausgeheckt, eine echte Überraschung!
„Das meine ich mit trostlos“, meint das ebenfalls überraschte Gegenüber der Protagonistin aus Edith Brünnlers neuer Geschichte. „wenn das schönste Erlebnis in der Kindheit der Spaziergang auf dem Hauptfriedhof ist, das meine ich mit trostlos“. Heimat ist eben etwas anderes, als die schönen Landschaften aus Touristenkatalogen. So lautet die Antwort der gebürtigen Hemshöferin, die sie auf gewohnt humorvolle, aber auch anrührende Weise, in Worte (diesmal ohne dialektale Anklänge) verpackt.
Aus fallenden Blättern im Rosengarten liest ein tanzender Dichter und ruft  Worte in die Nacht. Ein Narr offenbar, den Thomas Neu so herrlich lyrisch erfindet. Doch die Lyrik kann auch mitschwingen, wenn es in einem Prosastück und Liebe geht. Eindrucksvoll schwingt am Ende der Geschichte eine Kinderschaukel über dem Rasen, erzählt von Judith Ulmer. Zum Schluss überreden die Gäste dann doch noch den Hausherrn, Lothar Seidler, aus seinem Episodenroman über den hoffnungsfrohen Träumer und Realist Edi zu lesen. Er ist immer noch fasziniert von der lesbischen Monika und kann es einfach nicht lassen. Die Versuchung ist allgegenwärtig. Diesmal ist es ein Haschischkeks den er leichtsinnig verschluckt. Trotz der „Aniskrümel“ im Hals verzichtet er darauf noch einen dritten Cocktail „Sex on the beach“ zu trinken und übergibt sich lieber abseits auf einem Zierrasen. Ein guter Abschluss? Auf jeden Fall. Denn wir alle wollen wissen, wie es mit Edi weiter geht. Und nicht nur mit ihm! Der Platz in den höheren Weihen der Literaturlandschaft muss erklommen werden. Wem wird es gelingen? Das echte Leben bleibt doch immer noch die spannendste Geschichte.
Text: Anette Butzmann

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