Kein Seminar für Rechtsstudenten - dafür ein Meisterwerk: "Terror - Ihr Urteil"

Kein Seminar Rechtsstudenten dafür Meisterwerk:

90 Minuten Gerichtssaal-Action: Klingt langweilig, ist's aber mitnichten.

Was wurde nicht in den letzten Stunden und Tagen debattiert und gestritten über den von der ARD als TV-Event angekündigten 90-Minüter "Terror - Ihr Urteil". Ein Blick in die Kommentare der sozialen Netzwerke verrät: Die ARD hat's vermasselt. Wir konnten gar nicht abstimmen. "Und das von unseren Gebühren!!einseinself" Andere  - allen voran FDP-Politiker Gerhart Baum - regten sich über die Abstimmung als solche auf. Der Pöbel als Richter? Das darf doch nicht sein. Und dann gibt's noch die, die die anschließende Talkrunde bei "Hart aber fair" für absolut unnötig hielten. Ja ja ja, mag ja alles so sein. Doch was in der Diskussion über schlicht untergeht: Der Film von Lars Kraume ist schlichtweg ein Meisterwerk und eine TV-Sternstunde der Sonderklasse!
Natürlich sollte man jetzt vorsichtig sein, Wörter wie Sternstunde oder Meisterwerk wirken schnell übertrieben und unangebracht. Aber wann hat es das zuletzt gegeben, einen Film, der sich auf die Macht des Wortes verlässt. Der keine großen Bilder braucht, keine extravaganten Special Effects, keinen Kamera-Schnickschnack. Ein Film, ein reines Kammerspiel, 90 Minuten sehen wir Menschen in einem Raum dabei zu, wie sie sich unterhalten. Menschen, die sich gegenseitig ausreden lassen und - nicht wie in den unzähligen Talks dieser Welt - den anderen nicht unterbrechen. Kraume lässt sein Ensemble machen und lehnt sich zurück. Die Verfilmung des gleichnamigen Theaterstücks von Ferdinand von Schirach ist großartiges Fernsehen geworden.

Kein Seminar Rechtsstudenten dafür Meisterwerk:

Und im Bundestag brennt noch Licht.


Worum geht's in "Terror - Ihr Urteil?"

Lars Koch (Florian David Fitz) ist Kampfpilot. Als Mitglied der sogenannten Alarmrotte hat er einen Airbus mit 164 Menschen an Bord abgeballert. Der Airbus wäre sonst vermutlich in die voll besetzte Allianz Arena gestürzt, 70.000 Menschen mehr wären dabei drauf gegangen. Terroristen  haben den Airbus nämlich entführt. Kochs Vorgesetzte sagten: Nicht abschießen. Koch setzte sich drüber hinweg, auch über unsere Verfassung - unser Verfassungsgericht hatte so einen Abschuss verboten -, und schoss. 164 Menschen - die das Flugzeug wahrscheinlich sowieso nicht lebendig verlassen hätten- tot, 70.000 gerettet - darf er das? Darf er sowas nicht?
Die Staatsanwältin (Martina Gedeck) hält sich natürlich an die Verfassung. Sein Verteidiger (Lars Eidinger) hält dagegen: Prinzipien seien schön und gut, aber manchmal muss man damit halt auch brechen. Das kleinere Übel in Kauf nehmen. Und der vorsitzende Richter (Burghart Klaußner) hört zu und ganz genau hin. Alle Seiten werden gehört, Zeugen aus der Luftwaffe namens Lauterbach (Rainer Bock), auch eine Nebenklägerin (Jördis Triebel), die ihren Mann auf dem Flug verlor. Es wird 90 Minuten geredet. Lang und ausführlich. Mit einer unfassbaren Tiefe. Das Wort hat hier Gewicht. Und am Anfang und am Ende spricht Klaußner direkt zum Zuschauer - im deutschen Fernsehen in der ARD! -, mit der sogenannten vierten Wand. Wir sind die Schöffen, wir haben zu entscheiden: Des Mordes schuldig? Oder unschuldig? Die Zuschauer sollen in die Rolle des Richters schlüpfen. Und je nach der Wahl des Fernsehpublikums wird das entsprechende Ende ausgestrahlt.

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Der Angeklagte.


Wie war "Terror - Ihr Urteil?"

Ganz und gar großartig. Vom besagten Unglück sehen wir - nichts. Keine Rückblende. Nur zu Beginn ein Flugzeug am Horizont. Dann ein schwarzer Schnitt und wir sind eben besagte Schöffen im Gerichtssaal. Anderthalb Stunden wird fortan geredet. Das könnte jetzt ein unfassbar ätzendes und anstrengendes Stück sein. Ist's aber nicht geworden. Denn Kraumes Cast ist ein Gedicht. Fitz spielt seine Figur nicht als reinen Helden, sondern redet sich zwischendurch um Kopf und Kragen. Sein Lars Koch ist ein Mann, der weiß, was er tut. Hochintelligent, aber auch mit dem Hang zum Verrennen.

Kein Seminar Rechtsstudenten dafür Meisterwerk:

Die Staatsanwältin.

Er wird genauso in die Mangel genommen wie der Zeuge aus der Luftwaffe. Bock sitzt da und man merkt ihm mit jeder Sekunde an, wie sehr ihm unbehaglich zumute wird. Gedeck mimt die Staatsanwältin als Frau mit klarer Kante. Mit der ist nicht gut Kirschen essen. Aber sie bleibt nichtsdestotrotz fair. Meistens zumindest. Ihr Kontrahent bringt ein wenig Heiterkeit in die ernste Runde. Eidinger witzelt mit dem Richter, hat ab und an ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Das schockt. Ein lockerer, ja geradezu siegessicherer Strafverteidiger, für den die Welt kein Seminar für Rechtsstudenten ist. Und Klaußner gibt hier den Richter als besonnenen Verhandlungsführer. Der Atem stockt einem dann spätestens, wenn Jördis Triebel ihren Auftritt hat und sie eindringlich die Rolle der verbitterten und trauernden Witwe übernimmt, der nur ein linker Schuh ihres Mannes bleibt.

Kein Seminar Rechtsstudenten dafür Meisterwerk:

Der Richter.

Jede Seite bekommt hier ihre Räume, Kraume und seine Crew schaffen es, dass man tatsächlich selbst irgendwann auf dem Sofa sitzt und sich fragt: Wie hätte man selbst entschieden? Quasi minütlich hadert man, die Meinung verschiebt sich oft im Laufe der Spielzeit von schuldig auf nicht schuldig und wieder zurück. Was ist hier sinnig, was heißt in dem Fall überhaupt Schuld - und was hätte die eine oder andere Entscheidung eigentlich gebracht oder genützt? Wäre das Stadion zu räumen gewesen? Wären die Flugzeuginsassen vielleicht doch dazu gekommen, die Terroristen zu überlisten? War ein Abschuss oder ein Tod der Entführten nicht sowieso unvermeidlich?

Fazit


Fragen über Fragen. Schauspieler halten Monologe, minutenlang, ohne, dass es langweilig wird. Kant wird zitiert, technische Details werden erklärt, andere Abläufe, die anderswo schnell zum Dahinsiechen veranlassen. Hier nicht. Weil Kraumes Kameraarbeit nette Perspektiven bietet. Mal kreist er um den Angeklagten, mal sieht er ins Publikum, mal schaut er aus der Perspektive des Gerichtszeichners. Die Abstimmung des TV-Publikums endet letztlich mit knapp 87% für "Nicht schuldig". Wenig überraschend. Auch der Talk verläuft im Nachgang wenig überraschend. Aber das ist alles egal. Denn der Film im Vorfeld wurde seinem schwierigem Thema mehr als gerecht. Und das von unseren Gebühren.

Kein Seminar Rechtsstudenten dafür Meisterwerk:

Und alle, diesmal auch mit dem Verteidiger (l.).


BEWERTUNG: 10/10Titel: The GiftGenre: DramaLaufzeit: 95 MinutenRegisseur: Lars KraumeDarsteller: u.a. Florian David Fitz, Lars Eidinger, Burghart Klaußner, Martina Gedeck, Jördis Triebel
Bilder: ARD Degeto/RBB/Moovie GmbH/Julia Terjung

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